Kosten der Energiewende:Regierung rechnet mit steigenden Strompreisen

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Die Bundesregierung räumt erstmals ein, dass die Ökostromumlage im Herbst deutlich steigen kann. Sie will die stockende Energiewende mit einer ganz eigenen Strategie beschleunigen: weniger Umweltschutz beim Ausbau neuer Stromautobahnen.

Markus Balser und Michael Bauchmüller

Die Energiewende wird den Strom in Deutschland schon in den nächsten Monaten deutlich verteuern. Die Regierung habe geglaubt, man könne die milliardenschwere Ökostromumlage stabil halten. Dies sei kaum möglich, räumte Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) am Dienstag beim 7. Deutschen Energiekongress des Süddeutschen Verlages in München ein. "Wir werden schon im Herbst über eine höhere Umlage sprechen." Er wolle den zuständigen Fachleuten nicht vorgreifen - es sei aber möglich, dass die Umlage auf 5,3 Cent steige, so Rösler weiter.

Vor allem Geringverdiener belastet ein neuer Anstieg stark. Für einen Vier-Personen-Haushalt mit einem Jahresverbrauch von 3500 Kilowattstunden könnte die Belastung von 125 auf 175 Euro im Jahr steigen. (Foto: dpa)

Damit heizt der Vize-Kanzler die Debatte um hohe Strompreise in Deutschland weiter an und bringt auch noch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in Verlegenheit. Denn nun wird klar: Die Regierung kann eines ihrer zentralen Versprechen in der Energiepolitik nicht halten. Merkel hatte im Sommer 2011 vor dem Bundestag die Pläne zur Energiewende vorgestellt und dabei versichert, dass die EEG-Umlage nicht "über die heutige Größenordnung" steigen werde. Da lag sie bei 3,5 Cent. Für das laufende Jahr gelang es noch, die Förder-Umlage halbwegs stabil zu halten, sie liegt derzeit bei 3,59 Cent. Doch eine Erhöhung für 2013 um mehr als 50 Prozent dürfte in Deutschland neuen Streit um die Förderung grünen Stroms - vor allem der Solarenergie - auslösen. Denn die Erhöhung der Umlage trifft die Deutschen direkt. Sie wird über die Stromrechnung auf alle Verbraucher umgelegt.

Vor allem Geringverdiener belastet ein neuer Anstieg stark. Für einen Vier-Personen-Haushalt mit einem Jahresverbrauch von 3500 Kilowattstunden könnte die Belastung von 125 auf 175 Euro im Jahr steigen. Vor allem die FDP fordert einen Umbau des Förderregimes. Rösler plädierte erneut für eine schnelle Reform des Ökostrom-Gesetzes. Umstritten ist allerdings noch, ob es die vor der Bundestagswahl geben soll. Während Rösler sich für eine Änderung noch in dieser Legislaturperiode aussprach, will Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) sich bis nach der Wahl Zeit lassen, um alle Optionen zu prüfen.

"DIe Energiewende wird es nicht zum Nulltarif geben"

Dafür plädiert auch die SPD. Zunächst müsse die Bundesregierung "Gehirnschmalz" darauf verwenden, wie sich der Ausbau der Netze und der erneuerbaren Energien besser in Einklang bringen lasse. "Ich rate von einer schnellen Reform ab", sagte SPD-Generalsekretär Hubertus Heil. Nötig sei aber eine schnelle Debatte über eine solche Reform. Sozialtarife, für ärmere Haushalte, wie sie unter anderem die Linkspartei fordert, lehnte Heil aber ab: "Das halte ich für ein populistisches Versprechen." Zugleich wandte er sich gegen Forderungen, die Stromsteuern zu senken, um die Verbraucher bei der bevorstehenden Erhöhung der Umlage zu entlasten. Das würde Milliardenlöcher in den Bundeshaushalt reißen, sagte der SPD-Politiker. "Die Energiewende wird es nicht zum Nulltarif geben. Wir brauchen neue Stromautobahnen, und das kostet richtig Geld."

Auch EU-Kommissar Günther Oettinger warnte vor weiteren Preissteigerungen beim Strom. Ausgerechnet in der tiefen Krise des Kontinents könne das schwere Folgen für ihre stärkste Volkswirtschaft nach sich ziehen. "Eine weitere Steigerung wäre mit dem Standort nicht vereinbar", warnte er. "Ich glaube, dass Deutschland über die Strompreise beraten muss", sagte er in München. Die Rolle des Strompreises als Standortfaktor werde weltweit zunehmen, der Strombedarf weiter steigen: "Strom wird das Maß aller Dinge werden." Angesichts fallender Energiepreise in den USA drohe Europa im globalen Standortwettbewerb ein großer Rückschlag: "Wir sind mitten in einem Prozess der Reindustrialisierung der USA und einer Deindustrialisierung Europas", sagte Oettinger weiter.

Die Bundesregierung plant wegen der wachsenden Kosten und des stockenden Umbaus der Energiewirtschaft nun rasche Gesetzesänderungen. Wirtschaftsminister Rösler forderte abermals, den Naturschutz in Deutschland einzuschränken, um das Stromnetz schneller auszubauen. "Wie bei der Wiedervereinigung müssen wir für einen bestimmten Zeitraum umweltrechtliche Bestimmungen außer Kraft setzen, um beim Netzausbau schneller voranzukommen", sagte er bei dem SV-Kongress. Auch ließen sich Netze leichter durchsetzen, wenn sie nicht an Wohngebieten angrenzen.

"Unser Ziel ist es, den Netzausbau deutlich zu beschleunigen", so Rösler. "Von derzeit zehn Jahren wollen wir auf vier Jahre runter." Geht es nach den Vorstellungen des Wirtschaftsministers, sollen Bürger künftig weniger Rechte haben, sich gegen Stromtrassen zu wehren. Der Instanzenweg für Klagen gegen neue Stromfernleitungen müsse verkürzt werden, forderte Rösler. Nur Bundesgerichte sollten über Streitfälle entscheiden. Neben Landes- und Bundesebene müsse allerdings in puncto Naturschutz auch die EU Zugeständnisse machen.

Der Ausbau der Netze ist das Problemkind der Energiewende

Zumindest bei Oettinger läuft er damit offene Türen ein: Um Belange des Umwelt- und Naturschutzes hinreichend zu prüfen, seien drei Jahre genug. "In acht Jahren macht man die Sache auch nicht besser", sagte der EU-Kommissar. Nur durch eine solche Beschleunigung ließen sich erneuerbare Energien schnell genug integrieren, um rechtzeitig die abgeschalteten Kernkraftwerke abzuschalten. Umweltverbände und auch das Bundesumweltministerium sehen das freilich etwas anders.

Zudem will Rösler die milliardenschweren Netzprojekte auch für private Investoren öffnen. Die 4000 Kilometer neue Stromleitungen sollten auch durch Anleger mitfinanziert werden können. "Ich plädiere sehr dafür, dass wir die Netze für externe Investoren öffnen." Auch Bürger sollten sich finanziell beteiligen können. Denkbar sei etwa, nach dem Vorbild von "Bürgerwindparks" auch "Bürgernetze" zu ermöglichen, sagte Rösler. Der Ausbau der Stromnetze gilt als potenzieller Engpass bei der Energiewende. Bisher sind nur gut 200 Kilometer der Stromleitungen gebaut.

© SZ vom 05.09.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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