Hypo Alpe Adria:Harakiri in den Alpen

Bei der Bank Hypo Alpe Adria wurde jedes zweite Darlehen unzureichend geprüft. Trotzdem investierte die BayernLB ein Vermögen in Kärnten.

Hans Leyendecker und Klaus Ott

Vielleicht müssen Verwaltungsräte einer Landesbank wie der BayernLB nicht viel von verschachtelten Finanzinnovationen verstehen. Womöglicher ist es auch nicht notwendig, dass sie neue Vokabeln wie Junk Bond oder CDO buchstabieren können. Aber sie sollten wissen, wenn der Vorstandschef einer Bank die Bilanz fälschen lässt, um die Zahlen aufzuhübschen. Auch sollte es zu denken geben, wenn dieser Chef anschließend gelenkig in den Aufsichtsrat wechselt und dort das Kontrollgremium leitet.

Hypo Alpe Adria, AP

Skandalbank Hypo Alpe Adria: Die BayernLB investierte massiv - und verlor alles.

(Foto: Foto: ap)

Normalerweise müssten alle Alarmglocken schrillen, wenn ein solches Geldhaus wegen dieser und anderer Geschichten in den Zeitungen nur noch die "Skandalbank" heißt und die Bankenaufsicht mangels genügend Eigenkapital darüber nachgedacht hat, die Lizenz zu entziehen. Also: Warum hat der Verwaltungsrat der BayernLB im Frühsommer 2007 - als amerikanischen Investmentbanken schon die Papiere wegfaulten und es aus allen Kanälen zu stinken begann - ohne lange Prüfung der Übernahme der streng riechenden Hypo Alpe Adria Bank in Klagenfurt zugestimmt? Warum haben sich nur einige der Räte für das dann folgende Milliardendesaster entschuldigt? Warum verklären Multifunktionäre ihre Ämterhaberei zur Pflichterfüllung, wenn sie ihr Pflichten womöglich nicht ausreichend erfüllen?

Seit Monaten suchen Staatsanwälte und Wirtschaftsprüfer nach Antworten auf die großen und kleinen Fragen. Bislang unveröffentlichte Dokumente der Kärntner Bank, Akten diverser Untersuchungsausschüsse und vertrauliche Unterlagen der BayernLB verschaffen jetzt neue Einblicke in ein Milieu, in dem den Beteiligten das Gefühl für Größenordnungen außer Kontrolle geraten ist. Was ist schlimmer - der Größenwahn und die Maßlosigkeit der Manager oder die Unwissenheit und Inkompetenz ihrer Kontrolleure?

Ob die Vernichtung von viel Kapital am Ende zu nennenswerten strafrechtlichen Sanktionen führen wird, ist mit Blick auf die bisherige Aufarbeitung der Finanzkrise durch Strafverfolgungsbehörden höchst ungewiss. Sicher scheint, dass einige Bankmanager mit erheblichen Schadenersatzforderungen rechnen müssen. Aber auch Kontrolleure tragen unternehmerische Verantwortung. Wenn der Aufsichtsrat von seinen Möglichkeiten unzureichend Gebrauch mache, entlaste ihn "der Hinweis auf Mängel der Vorstandsberichte in keiner Weise", heißt es in dem 2008 erschienen Standardwerk "Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats".

"Dann gibt es Krieg"

Wenn am Ende etwas an den Kontrolleuren haften bliebe, besäße ein solcher Vorgang weit mehr politische Brisanz als die Scharmützel über Schadenersatzforderungen bei Siemens hatten: Die CSU-Spitze müsste gegen ihre Vorgänger vorgehen. Im neuen Verwaltungsrat sitzt Finanzminister Georg Fahrenschon, im alten Kontrollgremium saßen etwa Kurt Faltlhauser, Günther Beckstein und Erwin Huber. "Wenn die das machen", droht ein Weggefährte der Alten, "dann gibt es Krieg. Die haben das doch alles mit gutem Gewissen gemacht."

Klar, hinterher ist man immer schlauer, aber die Lektüre von Unterlagen, die deutsche Ermittler am 14. Oktober vergangenen Jahres bei der Bank in Klagenfurt und anderswo beschlagnahmen ließen, macht schon fassungslos. Die in vielen Ordnern aufbewahrten Papiere erzählen von der wilden Vergangenheit dieser Bank davon, wie es zum Fiasko kam.

Zurück ins Jahr 2006. Die 1896 gegründete Hypo Bank wächst stetig und leidet gleichzeitig unter chronischem Kapitalmangel. Der (im Oktober 2008 verstorbene) Landeshauptmann Jörg Haider braucht das Geld der Landesbank für Brot und Spiele im hochverschuldeten Kärnten. Dafür sind immer mehr Zahlenzaubereien und neue Konstruktionen vonnöten. So kassiert das Land beispielsweise Hunderte von Millionen Euro mittels einer 2005 aufgelegten Wandelanleihe, die eine Art Vorschuss auf einen fiktiven Börsengang ist.

Es geht ums Geld

13. September 2006: Im Sitzungszimmer der Landesregierung tagt der Aufsichtsrat der Kärntner Landesholding, die Kärntens Anteile an der Hypo Alpe Adria verwaltet. Es geht - wie so oft - um Geld, das fehlt. Eine Kapitalerhöhung soll her. Die "Eigenmittelsituation" der Bank sei "dramatisch". Der langjährige Bankchef, Wolfgang Kulterer, redet über "nicht vorhersehbare" Entwicklungen. Der studierte Land- und Forstwirt hat Verluste in Höhe von rund 330 Millionen Euro, die ein Mitarbeiter mit Währungswetten verursacht hatte, verschleiern lassen. Cooking the books heißt das in den USA. "Kein anderes Bankinstitut in Österreich hatte im Zeitraum der letzten fünf Jahre so häufig negative Schlagzeilen", steht in einem Bericht einer Wiener Untersuchungskommission, die Österreichs Banken durchleuchtet hatte.

Seit Jahren beschäftigt sich auch die Österreichische Nationalbank (OeNB) intensiv mit dem Kärntner Geldhaus. In den Prüfberichten ist immer wieder von "fehlender Konzernsteuerung", "falschen Bewertungen der Hypotheken im Ausland", "falschen Sicherheits - und Bonitätsdarstellungen" die Rede. Eine Überprüfung der Hypo-Tochter in Slowenien endet 2005 mit den Feststellungen: "Risikoappetit sehr hoch", "keine Entwicklung einer Gesamtrisikosteuerung", "Sanktionen durch slowenische Zentralbank verhängt". Der Vorstand sei "verwarnt" worden. In Kroatien fehlt es an vielem, was bei Banken für einen geregelten Betrieb üblich ist. Der Vorstand wurde "zur Gänze ausgetauscht", heißt es in einem Bericht aus dem Jahr 2006.

Prüfung? Welche Prüfung?

Die Österreichische Nationalbank vermerkt in einem Prüfbericht über die Hypo Group: "Laut Statistik der Innenrevision gab es in der Stichprobenprüfung 2005 für rund 35 Prozent der beantragten Kredite keine nachweislich vorlegte Stellungnahme des Risikomanagements. Im Jahr 2006 erhöhte sich dieser Prozentsatz sogar auf 54 Prozent." Jeder zweite beantragte Kredit wird also unzureichend geprüft. Die Bilanzen werden gedehnt, die faulen Kredite wachsen. Der Balkan ist bei dieser Bank nicht nur nebenan sondern fast überall.

Im Getriebe fällt kaum noch auf, dass im November 2006 die liechtensteinische Hypo-Tochter in Kanada in den Handel mit "Spam-Aktien" einsteigt: Pump and dump - "Aufpumpen und Wegwerfen", heißt die Methode. Billigst-Aktien werden via Internet mit Kaufempfehlungen hochgejubelt. Sobald Dumme aufspringen, zocken Gauner ab. In Kanada wird also ein Blendfeuerwerk gezündet, in Österreich ist gerade eins verraucht.

16. November 2006: Die 37. Sitzung des Aufsichtsrats der Kärntner Landesholding dauert nur von 12.08 Uhr bis 14.41 Uhr. Wegen der Bilanzfälschung musste bei der Hypo Alpe Adria ein neuer Konzernabschluss für 2004 erstellt werden. Im Protokoll steht, man nehme den Bericht des Vorstandes "sowie den Konzernabschluss für das Jahr 2004 zustimmend zur Kenntnis." Aufsichtsratschef der Bank ist jetzt Kulterer, der später vor dem Klagenfurter Landgericht wegen der Bilanzfälschung zu 140 000 Euro Geldstrafe verurteilt wird. Die falsche Bilanzierung sei "ökonomisch richtig, aber rechtlich unrichtig" gewesen, verteidigt sich Kulterer.

Bewegung hinter den Kulissen

19. Dezember 2006: Eine Aufsichtsrätin klagt in der 40. Sitzung, dem Land und der Kärntner Landesholding, die über die Beteiligungen wacht, sei "aufgrund unrichtiger Angaben" die Platzierung der Wandelanleihe nahegelegt worden. Ein Haider-Vertrauter vertröstet sie: Niemand sei über die Entwicklung glücklich. Er warnt aber vor öffentlichen Diskussionen über Probleme der Bank.

Hinter den Kulissen kommt Bewegung auf. Eine Investorengruppe um den Hamburger Vermögensverwalter Thilo Berlin, der smart ist und sehr virtuos agiert, steigt mit privaten Investoren bei der Hypo Alpe Adria ein: "Endlich eine Bank, die ich im Prinzip kenne und von ihrem System verstehe", sagt er später. Die Gruppe erwirbt zunächst 4,5 Prozent und stockt diesen Anteil auf rund 25 Prozent auf. Berlin ist mit dem damaligen Chef der Bayerischen Landesbank, Werner Schmidt, gut bekannt. Beide saßen einmal im Vorstand der Landesbank Baden-Württemberg. Einen Teil der für den Einstieg der Berlin-Gruppe nötigen 650 Millionen Euro finanziert später die BayernLB. Eine Aufsichtsrätin der Kärntner Landesholding wundert sich, es sei "schwer nachvollziehbar", warum die Investorengruppe bereit sei, für die Hypo Alpe Adria "mehr zu bezahlen, als der Markt derzeit offensichtlich hergibt".

30. März 2007: Der Aufsichtsrat der Landesholding befasst sich mit Alltagskram wie Landesbeteiligungen und neuen Vorstandsmitgliedern. Nur wenige der Kontrolleure sind informiert, dass Manager der Bank und Haider mit der Spitze der Bayerischen Landesbank über einen Einstieg der Münchner reden. Zumindest geostrategisch und historisch, also aus dem Blickwinkel des früheren bayerischen Regenten Edmund Stoiber betrachtet, ist ein Einstieg sinnvoll. Über mehrere Jahrhunderte gehörte das Herzogtum Kärnten zu Bayern; von Istrien, wo die Hypo Alpe Adria viel Geld versenkt hat, ganz zu schweigen. Erst 976 wurde Kärnten von Bayern wieder getrennt. Wenn überhaupt, wollen die deutschen Banker, die gerade vergeblich versucht haben, eine andere österreichische Bank zu kaufen, die Mehrheit an dem Klagenfurter Geldhaus. Zu diesem Zweck würde Investor Berlin das von den Münchnern mitfinanzierte Paket herüberreichen. Vorher aber bedarf es einer Prüfung, Due Diligence genannt.

Massive Vorwürfe

Etwa 300 Akten stehen in einem Datenraum zur Einsicht und unter anderem studieren Wirtschaftsprüfer von Ernst & Young die Unterlagen. Die Berater fertigen einen vertraulichen 180 Seiten starken Bericht an, den später offenbar auch die Verwaltungsräte sehen. Er liest sich sehr ernüchternd: "Wir (Ernst&Young) weisen ausdrücklich darauf hin, dass zwischen der ersten und zweiten Datenraumphase eine Vielzahl von Ordnern ausgetauscht wurden (...) Antworten zu von uns (...) gestellten Fragen konnten wir nur sehr eingeschränkt auswerten, da diese in unsortierten Ordnern und unvollständig bereitgestellt wurden. Des Weiteren möchten wir hervorheben, dass wir eine Datenraumzeit von fünfzehn Tagen für eine Transaktion dieser Größenordnung nicht für sachgerecht halten. Wir können nicht ausschließen, dass im Rahmen unserer Arbeiten nicht alle risikobehafteten Sachverhalte, die bei einer unbeschränkten Untersuchung zu Tage getreten wären, aufgedeckt wurden (...) Zugang zu Tochtergesellschaften hatten wir nicht (...) Abschließend möchten wir noch auf das hohe Maß an unzureichenden Informationen in den Bereichen Steuern, Immobilien und Personal hinweisen."

Richtig überzeugt klingt das nicht. Andererseits finden sich in solchen Berichten zum Zwecke der Absicherung immer Hinweise, dass nicht alle Risiken identifiziert werden konnten. So funktioniert Due In-telligence.

Pilgerreise nach München

21. Mai 2007: Der Aufsichtsrat der Kärntner Landesholding wird darüber informiert, dass die Bayern LB ein Angebot über den Kauf von 50 Prozent der Hypo Alpe Adria plus eine Aktie abgegeben habe. Der Deal soll die Bayern 1,625 Milliarden Euro kosten; das entspricht einem Gesamtwert der Hypo Alpe von 3,240 Milliarden Euro. Euphorie bricht aus. Der Aufsichtsratschef, Landesrat Magister Dr. Josef Martinz, der sich mit dem Bischof vorher in Lourdes aufhielt, ist Mitte Mai nach München gepilgert, um bei dem Ereignis dabei zu sein. "Da werden wir eh nie an finden, der das zahlt", hatte Martinz noch Anfang 2007 geglaubt, als es erste Verkaufspläne für die Hypo Alpe Adria gab. Die vorliegenden Schätzungen über den Wert der Bank hatten im Durchschnitt zwischen 1,8 bis 2,5 Milliarden Euro gelegen. Erleichterung macht sich breit, dass es keinen Börsengang braucht. "Bei weitem diffizilere und inhaltlich umfassendere Erklärungen hätten abgegeben werden müssen", sagt ein Anwalt, der die Kärntner Landesholding berät. Eine "Prospekthaftung" wäre nötig gewesen.

Der Fortgang der Geschichte: Die BayernLB zahlte gleich eine Sonderdividende von 50 Millionen Euro, die Investoren-Gruppe um Berlin verkaufte an die Münchner und machte schätzungsweise 150 Millionen Gewinn. Im Kaufvertrag wurde vereinbart, dass Altlasten zu Lasten des neuen Inhabers gehen. Der Verkäufer hafte nur bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit. Bereits im November gab es wieder Kapitalbedarf: 600 Millionen Euro, auch wegen Altlasten.

Der Ruf der Hypo Alpe Adria blieb lädiert. Die Liechtensteiner Finanzaufsicht warf 2008 dem Management der dortigen Tochterbank "Marktmanipulation" vor, sowie "Nichteinhaltung des nationalen Sorgfaltpflichtgesetzes" und von Geldwäschebestimmungen". Die Finanzaufsicht in Kanada schloss den Vaduzer Ableger der Kärntner Bank auf alle Zeiten vom Wertpapier- und Devisengeschäft in der Provinz British Columbia aus. Die Probleme auf dem Balkan nahmen noch zu. Es hagelte Wertberichtigungen, Verträge über Kredite verschwanden. Die BayernLB, die schließlich 67 Prozent an der Klagenfurter Bank hielt und insgesamt 3,7 Milliarden Euro einsetzte, bekam für ihre Anteile beim Ausstieg Ende vorigen Jahres noch einen einzigen Euro.

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