Fall Hoeneß:Die groteske Gier des Staates

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Uli Hoeneß, aufgenommen im Gericht (Foto: dpa)

Uli Hoeneß hat Millionen verloren und soll trotzdem Millionen an den Fiskus überweisen: Seit Wochen diskutiert Deutschland über die angebliche Gier des verurteilten Steuerbetrügers. Doch über die Gier des Staates spricht bislang kaum jemand.

Ein Gastbeitrag von Donatus Albrecht

Donatus Albrecht, 42, ist Vorstand bei der Beteiligungsgesellschaft Aurelius und jüngster Sohn des ehemaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten Ernst Albrecht.

Uli Hoeneß war der tragische Held meiner Kindheit. Das war in den Siebzigerjahren, als der FC Bayern und die Nationalmannschaft alles gewannen, was zu gewinnen war. Bereits damals unterschied er sich von seinen Mitspielern. Hoeneß war kein eleganter Spiellenker wie Beckenbauer oder Netzer, kein Abwehrrecke wie Vogts oder Schwarzenbeck. Hoeneß war Stürmer. Er wollte immer angreifen. Der krönende Abschluss seiner Karriere wäre der Gewinn der Europameisterschaft 1976 gewesen. Doch Uli versemmelte den entscheidenden Elfmeter, Deutschland verlor das Endspiel, und die Dominanz im Weltfußball war vorbei. Für mich, damals fünf Jahre alt, war dieser blonde Lockenschopf ein tragischer Versager. Trotz seiner vielen Tore und Erfolge zuvor.

Heute, 38 Jahre später, ist Uli Hoeneß wieder eine tragische Figur - als Steuerbetrüger, der zu einer dreieinhalbjährigen Gefängnisstrafe verurteilt wurde. Doch hinter der persönlichen Tragödie verbirgt sich noch ein anderes, viel gravierenderes Drama, eines, das exemplarisch ist für eine Schieflage in unserem Wertesystem. Denn neben der - verdienten - Gefängnisstrafe hat das Gericht Hoeneß verpflichtet, sehr viel Geld zu zahlen - allein auf Basis der Steuerrückzahlung und den Verzugszinsen werden es wohl mehr als 42 Millionen Euro sein.

Eine stolze Zahl. Wie stolz sie ist, wird einem allerdings erst bewusst, wenn man bedenkt, dass Hoeneß über den gesamten Zeitraum seiner Spekulationen in der Summe wohl keinen Gewinn, sondern einen Verlust erwirtschaftet hat. Dennoch hat er sich strafbar gemacht: Unser Steuerrecht verbietet Privatpersonen, Verluste aus schlechten Jahren mit Gewinnen aus guten Jahren zu verrechnen; auch dürfen Gewinne und Verluste aus unterschiedlichen Einkommensarten nicht addiert werden. Insofern beruht die Steuergeldstrafe, fair enough, auf geltenden und bekannten Steuergesetzen. Trotzdem ist das Ergebnis grotesk: Der Mann hat Millionen verloren und soll trotzdem Millionen an den Fiskus überweisen.

Mindestens so bedenklich wie die rechtliche Schieflage ist die Schieflage in der öffentlichen Diskussion. Seit Wochen diskutieren alle über Hoeneß' angebliche Gier. Über die Gier des Staates spricht niemand. Es gibt auch kein Wort des Bedauerns für die finanzielle Notlage des Mannes. Der hat's nicht anders verdient, lautet der Tenor.

Leider ist dieser Fall nur einer von vielen Fällen. Das Selbstverständnis des Staates ist immer mehr geprägt von Kontrolle und Misstrauen. Lässt man die bestimmenden wirtschaftlichen Problemfelder der vergangenen Jahre - Bankenkrise, Energiewende, Lohngerechtigkeit - Revue passieren, ergibt sich ein klares Eingriffsmuster. Egal, welches gesellschaftliche Thema ansteht: Staatliche Vorgaben und Regularien sollen die Lösung sein. Positive Marktanreize werden nicht gesetzt. Die Bürger werden lieber entmündigt.

Verzugszinssatz wirkt wie Strafgebühr

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Ein Beispiel für die staatliche Maßlosigkeit, das viele kennen, aber kaum noch jemanden aufregt, sind die Verzugszinsen auf nachträglich zu entrichtende Steuern. Dieser Zinssatz beträgt seit den Siebzigerjahren, einer Hochzinsphase, sechs Prozent. Er ist der Grund, weshalb Hoeneß allein etwa 14 Millionen Euro Verzugszinsen überweisen muss. Wer schon mal Steuern nachzahlen musste, zahlt in der Regel zwar deutlich weniger als der frühere Bayern-Chef, aber trotzdem viel zu viel. In der heutigen Marktsituation mit teilweise negativen Zinsen wirkt der Verzugszinssatz wie eine Strafgebühr.

Doch es geht nicht nur ums Geld, es geht auch um den Ton. Die Aufgabe eines Betriebsprüfers, um ein weiteres Beispiel zu nennen, besteht darin, die tatsächliche Steuerlast zu ermitteln - zu Lasten, aber auch zu Gunsten des Steuerbürgers. Zu Gunsten: So steht es im Gesetz. In der Praxis kommt eine nachträgliche Senkung der Steuerlast so gut wie nie vor. Statt fair abzuwägen, begegnet der Staat seinem Steuerkunden mit Unterstellungen.

So zum Beispiel im Falle des selbständigen Chefs einer kleinen Agentur, der 50 000 Euro von seinem Girokonto abgehoben hat. Das Finanzamt forderte ihn auf, nachzuweisen, was er mit dem Geld gemacht hat. Als er antwortete, dass die Verwendung seines bereits versteuerten Geldes Privatsache sei und die Behörde nichts angehe, erhöhte das Amt den Druck. Es verdächtigte den Unternehmer, die 50 000 Euro auf einem Schwarzgeldkonto in der Schweiz angelegt zu haben. Ab sofort habe er deshalb Zinsertragssteuern zu entrichten - für Geld, das er vielleicht gar nicht mehr hatte, auf einem Konto, das es nie gab.

Finanzämter als Profit Center des Staates

Deutsche Finanzämter verhalten sich wie Profit Center des Staates. Sie wollen nicht etwa die korrekte Besteuerung ermitteln, sie sind auf egoistische Gewinnmaximierung aus. In der Folge der prominenten Steuerfälle der vergangenen Jahre hat sich eine Verdächtigungskultur breitgemacht. Statt dem Bürger mit Respekt zu begegnen, tritt der Staat barsch und arrogant auf.

Das ist beängstigend. Und es war eigentlich ganz anders gedacht. Den Gründungsvätern der Bundesrepublik schwebte ein partnerschaftlicher Umgang vor, mit einem Grundgesetz, das die Bürger vor dem Staat schützt, und einem Staat, der den Bürgern dient. Heute veranlassen Finanzämter ab einer Summe von 5000 Euro Strafermittlungsverfahren. Gerne greifen sie dabei auch zur Keule der Hausdurchsuchung - am liebsten morgens um sechs und vor den Augen aller Nachbarn. Und ab der zweiten Hausdurchsuchung geht es so gut wie zwangsläufig in die Untersuchungshaft. Womit wir wieder bei Uli Hoeneß sind.

Der startete bereits drei Jahre nach seinem fatalen Fehlschuss in Belgrad seine beeindruckende Karriere als Vereinsmanager und später auch als Unternehmer. Seine Erfolge waren herausragend, sein großes Herz wurde oft beschrieben. Er diente seinem Verein, und er diente mit Engagement der Gesellschaft. Aber auch er wurde mit zunehmenden Erfolg selbstgerecht, und diese Selbstgerechtigkeit verleitete ihn zu seinem größten Fehler: Steuern ohne Sinn und Verstand zu hinterziehen. Etwas mehr Demut und Selbstreflexion hätte ihm viel Leid ersparen können.

Mindestens genauso viel Demut und Selbstreflexion müssen wir jedoch auch vom Staat einfordern. Finanzminister Wolfgang Schäuble hat erklärt, es sei Aufgabe der Steuerpolitik, die Finanzierung der öffentlichen Aufgaben zu gewährleisten - "und nicht, Gerechtigkeit auf Erden herzustellen". Übersetzt heißt das: Ein gerechtes und faires Steuersystem ist nicht das Ziel dieser Regierung.

So spricht kein dienender Staat. So spricht ein selbstgerechter Staat, der nur auf den eigenen Geldbeutel achtet.

© SZ vom 07.04.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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