Piratenpartei vergisst ihre Gründungsprinzipien:Raubkopierer in die Parlamente!

Die Piraten werden in Deutschland derzeit von allen Seiten hofiert. Vor lauter Zuneigung scheinen sie dabei zu vergessen, dass die Partei einst als digitale Bürgerrechtsbewegung gegründet wurde, die für ein neues Urheberrecht kämpfen wollte. Zeit, sie daran zu erinnern.

Dirk von Gehlen

Jetzt ist es passiert: Die Metaphern sind ausgegangen. In den Berichten über die erste Sitzung des Berliner Abgeordnetenhauses in den vergangenen Tagen mussten bereits mehrfach abgenutzte Freibeuter-Vergleiche wiederverwendet werden, um den Erfolg der Piratenpartei vermeintlich anschaulich zu beschreiben.

Parteitag der Piratenpartei Thueringen

Vergisst die Piratenpartei im Sog der medialen Aufmerksamkeit ihren Gründungsauftrag?

(Foto: dapd)

In Leitartikeln und Kommentaren in ganz Deutschland wurde "geentert" und "gekapert". Und weil es nach dem überraschenden Wahlerfolg vor fast zwei Monaten so gut geklappt hatte, wurde auch mit Beginn der Parlamentsarbeit abermals "Segel gesetzt" und "in See gestochen".

Vordergründig ist all das den so beschriebenen Piraten Beweis für die Rückständigkeit der etablierten Medien und des Systems, für das diese stehen. In Wahrheit scheint es sie aber gar nicht zu stören. Denn solange die Medien mit Freibeuter-Bildern befasst sind, stellt niemand auf großer Bühne die Frage: Warum heißen die überhaupt Piraten?

Die Antwort auf diese Frage könnte die Erzählung der wilden, aber wohlmeinenden Andersmacher zerstören, an der Piraten und Medien gemeinsam seit Wochen schreiben.

Märchenonkel Peter Altmaier

Sie sind jung, sie sind engagiert und haben keine Ahnung (aber bestreiten das auch nicht und arbeiten sich ja auch gerade ein) - auf diesen Nenner lässt sich diese Geschichte bringen, die stets bebildert ist mit der Latzhose eines Neu-Abgeordneten, die den Medien als Symbol fürs Wilde, den Piraten als Zeichen ihrer Bodenständigkeit dient.

Märchenonkel dieser medialen Erzählung ist Peter Altmaier. Der CDU-Politiker sitzt seit 1994 im Bundestag. Er hat 2007 für die Vorratsdatenspeicherung und 2009 für das Netzsperrengesetz gestimmt. Er müsste das personifizierte Feindbild der Piraten sein.

Wer sich umarmt, kann sich nicht streiten

Doch anders als diese scheint er das bemerkt zu haben und hat sich deshalb nach einem Auftritt in der Sendung "Anne Will" Ende September väterlich über die junge Bewegung gebeugt. Wer sich umarmt, kann sich nicht streiten, scheint Altmaiers Strategie zu sein, die er in einem langen Geständnis in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung verpackte: Er habe die Dimension der Digitalisierung bisher unterschätzt, schrieb er und eröffnete ein Twitter-Konto.

Seitdem versorgen sich Konservative und Piraten dort mit Freundlichkeiten. Die Frage nach politischen Inhalten wird hingegen von den Piraten ausgespart - die Antwort würde weniger freundlich ausfallen.

Berauscht von der eigenen Bedeutung scheinen die Piraten vergessen zu haben, wo sie eigentlich herkommen und wofür sie gewählt wurden. Vermutlich nicht, um Menschen wie Peter Altmaier im Jahr 2011 über die Existenz des Internet zu informieren.

Haben die Piraten ihren Gründungsauftrag vergessen?

Gegründet wurde die Piratenbewegung zum Jahreswechsel 2005/06 mit dem klaren politischen Ziel, Raubkopierer, Downloader und eben Piraten in die Parlamente zu bringen. Deren Lebensrealität sollte Bestandteil parlamentarischer Arbeit werden, um die Welt auf der anderen Seite des digitalen Grabens im politischen System abzubilden.

Es ging darum, schrieb der schwedische Piratengründer Rick Falkvinge am Wochenende in seinem Blog, Urheberrechtsfragen auf die Agenda der Abgeordneten zu heben. Deshalb trägt die Partei diesen Namen, sie will die Zuschreibung des Daten- oder Musikpiraten umdeuten und von seiner kriminellen Konnotation befreien.

Jetzt, da sie erstmals in einem deutschen Parlament sitzen, scheinen sie genau das vergessen zu haben. Sie sprechen über fahrscheinlosen Nahverkehr, aber nicht über das Urheberrecht. Das ist erstaunlich, weil eine Pauschalabgabe fürs S-Bahnfahren genau auf dem urheberrechtlichen Modell basiert, das Juristen unter dem Begriff "Kulturflatrate" für die Netznutzung beschreiben.

Doch die Debatte über eine dafür notwendige Reform des Urheberrechts ist derzeit nicht opportun, sie setzt die Kraft voraus, auch gegen Widerstände zu agieren. Diese Kraft können oder wollen die Piraten nicht aufbringen.

Ökosystem Urheberrecht

Als der schottische Jurist James Boyle Mitte der 1990er Jahre die Forderung nach einem Umweltschutz für das Digitalzeitalter aufstellte, ging es ihm nicht um die heute gern genutzte Parallele zwischen Grünen und Piraten.

Es ging ihm darum, die strukturellen Fragen der Digitalisierung so zu stellen, wie die Umweltbewegung die Fragen nach Ressourcenknappheit und Naturzerstörung stellt: Es soll nicht mehr einzig um den See vor der eigenen Haustür gehen, sondern um das gesamte Ökosystem, in dem dieser sich befindet. Dieses übergeordnete System, erklärt Boyle in seinem lesenswerten Buch "The Public Domain", ist das Urheberrecht.

Dessen Reform erscheint dem Juristen genauso utopisch, wie der Umweltschutz im Amerika der 1950er Jahre utopisch erschien. Und doch rät er dazu, diesen digitalen Umweltschutz einzufordern und die Debatte über ein zukunftsfähiges Urheberrecht zu führen - weil ein Nicht-Handeln oder Beharren auf überkommenen Modellen hier ebenso fatale Folgen für das digitale Ökosystem haben könnte wie die Umweltzerstörung für die Natur.

In der Gründung zahlreicher digitaler Bürgerrechtsgruppen sieht Boyle positive Schritte auf dem Weg hin zu einem Umweltschutz fürs Digitalzeitalter. Er beschreibt eine Bewegung (zu der in Deutschland die Digitale Gesellschaft e.V. zählt), die Fragen des Immaterialgüterrechts und des geistigen Eigentums auch Nicht-Experten zugänglich macht. Diese Bewegung müsse die Debatte über die Reform des Urheberrechts vorantreiben, fordert der US-Jurist.

Urheberrecht muss zentrales Thema werden

Die Piratenpartei ist - ob sie will oder nicht - Bestandteil dieser Bewegung. Doch derzeit wirken ihre Repräsentanten wie Umweltschützer, die über alles sprechen wollen, nur nicht über Luftverschmutzung, Atomenergie oder den Klimawandel.

Auch wenn die patronisierende Aufmerksamkeit des politischen Berlin derzeit angenehmer zu sein scheint: Die Piraten würden gut daran tun, sich an die digitale Bürgerrechtsbewegung zu erinnern und das Urheberrecht auch gegen Widerstände als zentrales Thema zu benennen.

Denn es ist nicht nur so, dass sie aus dieser Bewegung erwachsen sind. Sie sind in weiten Teilen auch von ihr gewählt worden.

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