Nachrichten in der Filterblase:Es gibt übrigens noch andere Meinungen

Nachrichten in der Filterblase: Raus aus der Blase: Apps wie Read Across the Aisle oder Plugins wie Politecho sollen helfen, Nachrichten bewusster zu konsumieren und sich auch mit abweichenden Meinungen zu befassen.

Raus aus der Blase: Apps wie Read Across the Aisle oder Plugins wie Politecho sollen helfen, Nachrichten bewusster zu konsumieren und sich auch mit abweichenden Meinungen zu befassen.

(Foto: Sergei Supinsky/AFP)
  • Echokammern, in denen sich Menschen nur noch mit der eigenen Meinung auseinandersetzen, gelten zunehmend als Problem.
  • Mehrere Apps sollen den Medienkonsum ihrer Nutzer überwachen und warnen, wenn er zu einseitig wird.
  • Bisher hinterfragen nur wenige Nutzer ihr Leseverhalten so kritisch.

Von Karoline Meta Beisel

Die zuverlässigste Wetter-App ist der Blick aus dem Fenster, und wer wissen will, was die Menschen umtreibt, der könnte sich einfach mit jemandem unterhalten. Aber wann redet man schon mal mit Fremden, die einen ganz anderen Blick auf die Welt haben als man selbst? Wenn man nicht gerade an der Käsetheke oder in der Meinungsforschung arbeitet: nicht besonders häufig. Das gilt für die analoge Welt genau wie für das Internet. Gleich und gleich gesellt sich eben gern, das ist nicht neu.

Spätestens seit dem Brexit und der US-Wahl im November gilt diese Art der Informationszufuhr aber als unzureichend: Zumindest ein Teil der Leute hatte das unangenehme Erlebnis, die Welt nicht mehr zu verstehen. Darum versuchen immer mehr Start-Ups, dem Problem mit technischen Hilfsmitteln beizukommen.

Das Schimpfwort dazu ist die "Filterblase", in der man vor allem mit Ansichten konfrontiert wird, die der eigenen Weltsicht weitgehend entsprechen. Die sozialen Netzwerke mit ihren durch Algorithmen bestimmten Nachrichtenströmen verstärken diesen Effekt - wenn auch in geringerem Maße als angenommen, wie das Fachblatt Science neulich nachwies: Entscheidend für die Nachrichtenzufuhr in der digitalen wie der analogen Welt ist vor allem, mit wem man vernetzt ist.

Menschen, sortiert nach Filterblasen

Für das Internet hat die Wissenschaft außerdem den Begriff der "Echokammer" entwickelt: Wenn an einem Ort alle laut die gleiche Meinung rufen, vergisst man leicht, dass an anderen Orten die Leute anders denken. "The Great Sorting", wie der damalige US-Präsident Barack Obama in seiner Abschiedsrede warnte - also die Einsortierung aller Menschen in ihre jeweiligen Filterblasen - sei eine Gefahr für die Demokratie. Und der US-Moderator John Oliver stellte fest: "Eine gesunde Medienzufuhr muss breiter sein."

Der 35-jährige Nick Lum glaubt, dass Hillary Clinton die Wahl hätte gewinnen können, wenn sie früher gemerkt hätte, welche Berichte bei Trumps Unterstützern kursierten und wie weit sich diese Meldungen verbreiteten. "Die Leute dachten, dass die Nachrichten, die sie lesen, eben die Nachrichten waren, und nicht nur eine Teilmenge der Nachrichten", sagt er. Seine App "Read Across the Aisle" soll das ändern.

Es ist wie bei den Programmen, die messen, ob man genug schläft oder genug Treppen steigt

Die Anwendung ordnet die wichtigsten Nachrichtenseiten der USA nach ihrer politischen Ausrichtung auf einem Farbspektrum an: von liberal und dunkelblau (Huffington Post) bis konservativ und knallrot (Fox News). Ein kleiner Balken zeigt an, ob der eigene Medienkonsum eher zu blau oder eher zu rot tendiert. Ist die Versorgung zu einseitig, schlägt die App Alarm: ganz ähnlich wie all die Programme, die ständig messen, ob man genug schläft und ausreichend Treppen steigt.

Ein großer Nachteil von Read Across the Aisle ist, dass das Programm nur registriert, was der Nutzer von der App aus ansteuert - aber zum Beispiel nicht, wenn er bei Facebook einen Artikel liest, den sein bester Freund ihm dort empfohlen hat.

Freunde und abonnierte Seiten beeinflussen den Nachrichtenkonsum

Genau an dieser Stelle setzt "Politecho" an. Das Miniprogramm analysiert, wie einseitig die eigene Facebook-Umgebung ist - damit das funktioniert, muss man Politecho Zugriff auf die entsprechenden Daten gewähren. Zunächst erscheint dann jeder Facebook-Freund mit seinen jeweiligen Nachrichtenvorlieben als farbiger Punkt in einem Diagramm, wie bei Read Across the Aisle irgendwo zwischen dunkelblau und feuerrot. In einem zweiten Schritt misst Politecho aber auch die Zusammensetzung des ganzen Nachrichtenstroms: Der wird ja nicht nur durch Freunde aus dem persönlichen Umfeld beeinflusst, sondern auch durch Medienunternehmen oder Prominente, deren Seiten man abonniert hat.

Konkrete Verhaltensvorschläge macht Politecho aber nicht. "Die Umstände sind bei jedem Menschen anders. Wir wollen vor allem auf das Problem aufmerksam machen", sagt Zachary Liu, der das Programm mit Kommilitonen der Universität Princeton entwickelt hat. Einsicht als erster Schritt zur Besserung also. Natürlich hofft Liu trotzdem, dass sich mit der Erkenntnis auch das Verhalten der Nutzer ändert, dass sie "eher bereit sind, sich in Andersdenkende hineinzufühlen", sagt er.

"Grünes Netz, Blaues Netz" bei Hofer und Van der Bellen

In Europa gibt es erst wenige dieser Angebote. Der britische Guardian veröffentlicht auf seiner Homepage seit Kurzem die Kolumne "Burst your Bubble", etwa: lass Deine Blase platzen. Darin empfiehlt er jede Woche fünf Artikel aus eher konservativen US-Medien, die sich mit Trumps Politik befassen. Und vor der Bundespräsidentenwahl in Österreich ahmte der Standard eine Idee des Wall Street Journal nach: Das Angebot "Grünes Netz, Blaues Netz" simulierte, wie unterschiedlich eine Facebook-Seite aussehen könnte, je nachdem ob er von Unterstützern Alexander Van der Bellens oder Norbert Hofers aufgerufen wird.

Während Politecho nur US-Medien in liberal und konservativ einsortiert, will Lum für Read Across the Aisle bald auch internationale Versionen anbieten.

Einen Haken haben aber alle Angebote, ob sie nun aus den USA oder aus Österreich kommen: Sie erreichen vor allem jene, die ihren Medienkonsum sowieso schon hinterfragen. Politecho erhebt zwar keine Daten darüber, wer das Programm installiert. "Aber wir haben noch nicht viele Auswertungen gesehen, in denen eher rechtsgerichtete Nachrichtenquellen dominiert haben", sagt Liu. Das wäre auch logisch: Aus der Sicht der Trump-Blasen-Bewohner ist die Wahl ja gelaufen wie geplant.

Lum dagegen weiß, dass die meisten Leser von Read Across the Aisle liberale Nachrichtenseiten bevorzugen. "Das kann aber auch daran liegen, dass die von mir und meinen Freunden davon erfahren haben", meint er, und es ist nur halb ein Scherz, wenn er sagt: "Ich schätze, es hängt davon ab, in welcher Filterblase man ist, ob man überhaupt weiß, dass es solche Programme gibt."

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