Gewalt im Livestream:Krieg auf Facebook: Dämonen in der Dauerschleife

Iraqi security forces military a vehicle is seen during an operation to attack Islamic State militants in Mosul

Irakische Truppen beschießen IS-Kämpfer in der Schlacht um Mossul.

(Foto: REUTERS)

Der Sturm auf Mossul wird live in sozialen Netzwerken gestreamt. Die Menschen müssen lernen, damit umzugehen. Sonst ist der Konsens der Gesellschaft gefährdet.

Kommentar von Andrian Kreye

Für Tom Hanks' Filmfigur Forrest Gump war das Leben eine Schachtel Pralinen, bei der man nie weiß, was man bekommt. Nur eines war für den Zwangsoptimisten garantiert. Süß würde es sein. Spielt man das weiter, ist das Internet seit einiger Zeit ein Schachtelteufel. Man weiß nie, ob gleich ein Clown oder ein Dämon aus dem Deckel springt.

Eines ist sicher: Man entkommt den Abgründen nicht mehr. Mit den neuen Funktionen der sozialen Netzwerke, die Bilder und Videos ungefiltert in den Strom der Kurznachrichten stellen, muss man immer öfter an- oder zusehen, wie ausländerfeindliche Menschen Flüchtlinge anpöbeln, amerikanische Polizisten schwarze Autofahrer erschießen, oder wie Truppen im Irak die Stadt Mossul vom IS befreien. Herausfiltern lässt sich das kaum. Selbst wenn man keine Nachrichtenströme abonniert hat, wird irgendein Freund oder Bekannter solche Bilder und Videos ins Netz stellen. Gleichzeitig entsteht hier gerade eine neue Medienöffentlichkeit, die noch unerforscht ist.

Der Sturm auf Mossul - live bei Facebook

Der globale Nachrichtensender Al Jazeera aus Katar überträgt den Sturm auf Mossul auf seiner Facebookseite zum Beispiel live. Dabei greift er auf die Kameras des kurdischen Senders Rudaw zu. Mehr als 900 000 Facebook-Nutzer hatten das bis Redaktionsschluss am Freitag verfolgt. Besonders dramatisch ist das nicht. Man sieht Kriegsfahrzeuge in der Landschaft, Soldaten, die gestikulieren, hin und wieder eine Rauchsäule am Horizont.

Die Unmittelbarkeit der Kriegsberichterstattung ist nichts Neues. Von den Radioreportern des 20. Jahrhunderts über die Nachrichtenkanäle des Kabelfernsehens bis hin zum Livestream des Sturms auf Mossul ähneln sich die Eindrücke. Lähmendes Warten, kurze Kampfhandlungen, hin und wieder ein Opfer. Neu sind die Kommentare. Wie Comicblasen schwirren die Symbole übers Bild, mit der Nutzer ihre Laune markieren können. Auf anderen Kanälen können Nutzer Kommentare schreiben, die von Entsetzen über Häme bis zu Hetze reichen.

Der vernünftigste Reflex wäre nun, dass man die Abstumpfung der Öffentlichkeit bei einer solchen Flut der Bilder befürchtet. Auch die Gefahr der Propaganda ist gewachsen; ein kurdischer Fernsehsender ist keine neutrale Quelle. Von den Bilderströmen, die Kämpfer ins Netz stellen, die ihre Einsätze mit Körperkameras abfilmen, ganz abgesehen.

Allerdings kann man das Internet nicht abschalten. Die Allgegenwärtigkeit der Kameras und Netzzugänge verschiebt natürlich den Sinn für Realität. In Amerika kann man das beobachten. Dort herrscht der Eindruck, die Übergriffe der Polizei auf Schwarze hätten inflationär zugenommen. Der Eindruck täuscht. Zugenommen hat vor allem die Zahl der Kameras. Die Auswirkungen sind jedoch nicht nur ein Problem. Die Bürger wehren sich. Die Protestbewegung #blacklivesmatter gehört inzwischen zu den stärksten außerparlamentarischen Organisationen des Landes.

Es bleibt die Aufgabe der Zivilgesellschaft zu verstehen, wie man mit diesen neuen Medien umgeht. Je mehr Bilderfluten ungefiltert in Umlauf kommen, desto wichtiger wird es, Bürger und vor allem Schüler im Umgang mit neuen Medien zu schulen. Journalisten müssen der Analyse ein noch größeres Gewicht geben. Der gesellschaftliche Konsens muss immer wieder neu definiert werden. Was nutzt einem der Livestream der Panzerkolonne, wenn man nicht weiß, wer da wo gegen wen und um was kämpft. Das ist eine gewaltige Aufgabe. Denn viel zu schnell verkleiden sich sonst Dämonen als Clowns.

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