Digitalpolitik:Trump poltert, China investiert, Europa schläft

Joint Press Conference With European Council Members In China

EU-Ratspräsident Donald Tusk (l.) und Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker (r.) nehmen mit Chinas Premier Premier Li Keqiang an einer Pressekonferenz in Peking teil.

(Foto: Getty Images)
  • Chinas Wirtschaft hat Europa längst weit hinter sich gelassen. Insbesondere im IT-Sektor sind europäische Konzerne chancenlos.
  • Große europäische Unternehmen investieren ihr Kapital zunehmend in China.
  • Die Politik schläft, während die USA und China vorbeiziehen.

Von Evgeny Morozov

Was industrielle Strategien und den internationalen Wettbewerb betrifft, gibt es keinen größeren Kontrast als den zwischen Europas Resignation und Chinas eiserner Entschlossenheit. Es überrascht nicht, dass es China - und nicht Europa - war, das vorschlug, eine wechselseitige Front gegen Trumps Handels-Tobsucht zu bilden. Mit wenig Erfolg: Selbst Washingtons Schikanen können europäische Politiker nicht aus ihrem Schlummer reißen - oder, wahrscheinlicher, ihrem Nickerchen am Nachmittag.

Kaum eine Woche vergeht ohne eine neue alarmierende Nachricht, dass Peking es mal wieder geschafft hat, Brüssel in einem weiteren Bereich zu überholen. Da vereinte die staatliche China Merchants Group ihre Kräfte mit der SPF Group und Centricus - Vermögensverwalter aus Peking und London -, um einen 15-Milliarden-Dollar-Fonds zu bilden, der mit dem 100 Milliarden Dollar schweren Vision Fund von Softbank konkurrieren soll. Der wurde gegründet, um weltweit in die vielversprechendsten Technologieunternehmen zu investieren. Das geschah wenige Wochen nachdem Sequoia Capital, Amerikas beste Risikokapital-Firma, die erste Fundraising-Runde für ihre eigene, acht Milliarden Dollar schwere Alternative zum Vision Fund beendete.

Contemporary Amperex Technology, einer von Chinas größten Herstellern von Lithium-Ionen-Akkus und Profiteur des Regierungsbestrebens nach Weltherrschaft in diesem Industriezweig, unterschrieb kurze Zeit später einen Milliarden-Deal mit BMW. Man habe die Absicht, eine eigene Fabrik in Europa zu gründen, um der rasch steigenden Batterie-Nachfrage entgegenzukommen. Daimler, ein anderes Kronjuwel der deutschen Autoindustrie, erwägt nun angeblich, eine ähnliche Bestellung aufzugeben.

Die Bolloré-Gruppe, eines von Frankreichs wichtigsten Konglomeraten, das im Bereich Papier, Energie und Logistikunternehmen aktiv ist, hat mit Chinas Technologie-Gigant Alibaba ein Abkommen getroffen. Bolloré hofft, Alibabas Cloud-Computing-Imperium für seine Operationen nutzen zu können - so auch für seine eigene Abteilung für Batterieproduktion.

China bietet mehr Chancen als jede andere Nation

Man kann diese Entwicklungen neutral, sogar positiv auslegen. Europäisches Kapital - im ersten Fall britisches, im zweiten deutsches, im dritten französisches - nutzt eben die Gelegenheit lukrativer Chancen. Und China bietet momentan einfach mehr als jede andere Nation.

Trotzdem offenbart jede dieser drei Entwicklungen ein großes Loch in Europas eigener Industriestrategie. Es ist das eine, wenn europäisches Kapital nur passiv in die vielversprechendsten Roboter- und KI-Projekte investiert wird. Daimler ist zum Beispiel einer der wenigen europäischen Sponsoren des Vision Fund. Es ist jedoch etwas ganz anderes, wenn man es mit dem Ziel tut, Europa zur Vorherrschaft in diesen Feldern zu führen.

Die im April veröffentlichte Strategie der Europäischen Kommission zu künstlicher Intelligenz basiert auf der ungeprüften Annahme, dass es Brüssel gelingen wird, fast 18 Milliarden Euro an Privatkapital aufzubringen, um die paar Milliarden aus existierenden europäischen Programmen zu ergänzen. Dafür muss man allerdings Unternehmen wie Daimler - dessen größter Anteilseigner heute Geely aus China ist - davon überzeugen, dass ihre Investitionen an einen europäischen Tech-Fonds statt an Softbank oder die China Merchants Group gehen sollten.

Die europäische Industrie ist abhängig von Amazon und Microsoft

Diese Herausforderung ähnelt Europas bisher erfolglosen Anstrengungen, die europäische Industrie dazu zu bringen, einen europäischen Batteriehersteller für Elektroautos aufzubauen, um die Abhängigkeit von China und Südkorea zu minimieren. Die europäische Batterie-Allianz, eine industrieweite, von der Europäischen Union veranlasste Initiative, wurde zwar letztes Jahr gegründet, hat aber noch keine Früchte getragen. Europäische Politiker scheinen die Batterie-Herausforderung also zu erkennen, Deutschlands stärkste Gewerkschaften ebenso. Doch wie soll dieses Problem gelöst werden, wenn Konzerne wie BMW und Daimler weiterhin Milliarden-Bestellungen bei chinesischen Batterieherstellern aufgeben?

Die Geschichte des Cloud-Computing, das immer enger mit KI-Dienstleistungen verbunden ist, sieht nicht sehr anders aus: Selbst wenn sich die europäische Industrie von Amazon und Microsoft abwenden wollte, um einen europäischen Lieferanten zu nutzen, hätte sie keine große Wahl. Im Grunde ist sie zwischen amerikanischen und chinesischen Giganten gefangen.

Diese Abhängigkeit konnte man leichter rechtfertigen, als der globale Handel noch reibungslos lief und sich alle Industrien ähnlich sahen (sprich gleichermaßen unwichtig aus der Perspektive nationaler oder regionaler Interessen). Nun, da die europäische Autoindustrie unter starkem Beschuss von Trump steht, ist Brüssel extrem zurückhaltend in seiner Reaktion.

Europa ist wehrlos gegen die Macht des Silicon Valley

Wenn Trump Europas wichtigste Industrie bedroht, wäre die logische Reaktion, mit einem Rückschlag gegen Amerikas wichtigste Industrie zu drohen, die - was auch immer Trump glauben mag - eben im Silicon Valley und in Seattle sitzt, nicht in Detroit.

Das ist jedoch keine Option: Niemand wird glauben, dass Europa, das Dienste von Alphabet, IBM, Microsoft und Amazon tief in die Infrastruktur seiner Krankenhäuser, Transportsysteme und Universitäten integriert hat, eben jene Dienste abschalten wird. Das Beste, worauf Europa zurzeit hoffen kann, ist, seine Abhängigkeiten von den US-Giganten zu diversifizieren, indem es Geschäfte mit den chinesischen macht.

Das sind alles keine guten Vorzeichen für eine Zukunft Europas im Zentrum der Weltwirtschaft. Seine Industriegiganten werden sicherlich nicht verschwinden, aber sie werden zunehmend von außereuropäischen Besitzern und Technologien dominiert werden. Während das in den rosigeren Tagen der Globalisierung vielleicht noch lobenswert gewirkt hätte, grenzt diese Strategie in der neuen Normalität von heute an Selbstmord. Deswegen wirken diese Nachmittagsnickerchen europäischer Politiker sehen zunehmend wie Komata.

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