Bewegte Bilder:Ein Gif sagt mehr als 1000 Worte

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Ein Offline-Pionier aus dem 19. Jahrhundert: Der Fotograf Eadweard Muybridge wurde mit seinen Schnellschüssen berühmt. (Foto: Science Museum/SSPL/Süddeutsche Zeitung Photo)
  • Gifs etablieren sich zum Standard in der Kommunikation mit dem Smartphone. Wer etwas zu sagen hat, greift nicht mehr auf Worte zurück, sondern auf Animationen.
  • Giphy profitiert vom Comeback der Gifs. Die Firma stellt Nutzern eine Suchmaschine für Gifs zur Verfügung.
  • Die Seite wird pro Monat von 55 Millionen Menschen genutzt.

Von Hakan Tanriverdi, New York

Adam Leibsohn spricht nicht gern über seine Gefühle. Er verschickt sie lieber als Gif. Die Abkürzung steht für Graphics Interchange Format. Das ist ein Dateityp, der 1987 erfunden wurde. In den Anfangsjahren des Internets ging es darum, Farbe und Animationen überhaupt erst einmal auf digitale Geräte zu bringen. Heutzutage sind Gif-Dateien Minifilme in Endlosschleife, in aller Regel dauern sie zwei bis fünf Sekunden. Für Leibsohn jedoch sind sie deutlich mehr: Gifs sind für ihn der Weg zu 20 Millionen Dollar Risikokapital, hinein in die Büros der großen Filmstudios wie 20th Century Fox oder Disney - und eben der Weg, um seine Gefühle auszudrücken. "Wörter sind gut, um konkrete Dinge zu benennen. Wenn ich Tisch, Stuhl oder Tasse sage, ist vollkommen klar, was gemeint ist", sagt Leibsohn. Doch wenn ein Mensch von Liebe rede, von Wut, Hass, Begierde, Freiheit, Neugier, sei das nicht so einfach. "Damit verbindet jeder etwas anderes."

Leibsohn ist 34 Jahre alt. Schulterlange braune Haare, Vollbart, die Hosenbeine hochgeschlagen. Er hat Philosophie studiert und ein Faible für Ludwig Wittgenstein und dessen Sprachtheorie. Abstrakt und konkret, das kommt von Wittgenstein. "Die Sprache ist eine Falle", sagt Leibsohn. Sie täusche vor, zu erklären, tue dies aber nicht. Zum Beispiel das Wort "Liebe", da fragt sich Leibsohn: Von welcher Sorte Liebe reden wir überhaupt? Platonisch, ein bisschen mehr als Zuneigung, heißblütig?

"Ich liebe dich", wie soll man das zeigen? Vielleicht mit einem küssenden Minion

Leibsohn leitet das operative Geschäft der Firma Giphy. Sie betreibt eine Suchmaschine für Gifs. Das Google für Emotionen sozusagen. Wer die Seite besucht, fühlt sich an die Fernsehabteilung im Elektronikfachmarkt erinnert: überall Bewegtbilder. Dazu gibt es eine Suchmaske. Wer "Liebe" eingibt, findet die Schauspieler Ryan Gosling und Rachel McAdams im Film "Wie ein einziger Tag". Dazu einen knutschenden Minion (das gelbe Zeichentrickwesen, das gerade im Kino so erfolgreich ist), japanische Anime-Zeichnungen, in denen es Herzen regnet, und viele, viele Küsse. Die Auswahl der passenden Emotionen ist seitenlang. "Bilder sind für uns so verständlich wie ein konkreter Begriff", sagt Leibsohn.

Bildergeschichte
:Mit diesen GIFs kommen Sie gut durch den Arbeitstag

Warum mit Texten antworten, wenn es auch in Bildern geht?

Giphy wurde im Februar 2013 gegründet. Nach der vergangenen Finanzierungsrunde Anfang des Jahres ist man von Brooklyn nach Manhattan umgezogen. Ein Großraumbüro, das seinen Charme daraus bezieht, dass die Wände unverputzt sind. Würde in der nächsten Sekunde ein Bauarbeiter eintreten, dürfte das auf den ersten Blick niemanden verwundern. Aber dafür sind dann doch zu viele Designermöbel zu sehen. Die wenigen Zimmer, die es gibt, haben Glaswände.

55 Millionen Menschen besuchen die Internetseite Giphy.com pro Monat. Auch andere Anbieter melden eine massiv ansteigende Nachfrage nach Gifs. Tumblr ist eines der größten sozialen Netzwerke. Die Zahl der hochgeladenen Gifs liegt dort bei 23 Millionen - pro Tag. Die Startseite von Reddit, eine der meistbesuchten Seiten des Internets, ist übersät mit Gifs.

HDGDL, <3, Emojis

Doch warum feiert ein Dateiformat, das zwei Jahre älter ist als das World Wide Web, ein derartiges Comeback? Das Internet ist schneller geworden. Eine Datei, die vier Megabyte klein ist (früher hätte man gesagt: groß), ist schnell geladen. Leibsohn nennt noch einen anderen Grund, und er liegt in den Taschen vieler Menschen: Smartphones. "Gifs passen perfekt in das Medienumfeld, in dem wir uns bewegen", sagt er. "Wir kommunizieren unterwegs, zwischendurch, pausenlos, und in Fragmenten." Noch mal das Beispiel "Liebe". Man müsse sich nur anschauen, was aus einem "Ich liebe dich" geworden sei. Es gab Abkürzungen wie "HDGDL" ("Hab' dich ganz doll lieb"). Dann kam das "<3", das Herz aus Tastatursymbolen, und schließlich das Herz-Emoji, das mit einem Tipp auf dem Smartphone erscheint. "Wir wollen kommunizieren, und wir wollen dabei schnell sein", sagt Leibsohn. Die Menschen wollen aber mehr ausdrücken als Abkürzungen und Symbole - das biete Giphy. Konkurrent Riffsy ist eine Smartphone-Tastatur, die nur aus Gifs besteht.

"Game of Thrones" ist dabei, Universal ebenfalls

Gifs etablieren sich als ein Standard in der Kommunikation. So sehr, dass eine Firma wie Google auf eine Anfrage eines Journalisten nicht "Kein Kommentar" zurückmailte. Der Pressesprecher schickte stattdessen wiederholt Gifs. Die Künstler Reed and Rader basteln aus ihnen Werbekampagnen für das Modelabel Marc Jacobs. Auch Filmstudios und Musikstars zeigen sich interessiert und gehen Partnerschaften mit Giphy ein. Die US-Serie "Game of Thrones" hat einen eigenen Kanal. Sobald es neue Folgen gibt, folgen die Gifs.

"Die Firmen kriegen Zugriff auf unser System" sagt Leibsohn. Teilweise werden die Bilder automatisch verschlagwortet. Wie genau Giphys Datenbank funktioniert, verrät Leibsohn nicht. Jede in den USA ausgestrahlte Sendung muss mit Untertiteln produziert werden. Es ist naheliegend, dass Giphy das ausnutzt. Neue Filmszenen können so automatisch nach Stichwörtern durchsucht und in Giphys System hinterlegt werden. Neben HBO und Disney gehören auch Universal und NBC zu den Kunden von Giphy.

Die bekannteste Suchmaschine hat mittlerweile 20 Millionen Dollar eingesammelt

Die Partnerschaften sind nicht nur wegen des Gelds wichtig. Die Inhalte sind dadurch rechtlich freigegeben, die Urheberrechtsfrage geklärt, es drohen keine Klagen. "Wenn Paramount zu uns kommt wegen des neuen Terminator-Films und ein Nutzer nach Terminator-Gifs sucht, dann kriegt jeder, was er will", sagt Leibsohn.

Mit dem Erfolg kamen die Gerüchte. Angeblich wollte Facebook die Firma aufkaufen. Leibsohn äußert sich nicht dazu. Dass seine Firma niemals aufgekauft wird, will er aber nicht ausschließen. "Wir wollen die Informationen dieser Welt in Form von Gifs verfügbar machen, so dass Leute das teilen können", sagt er. "Wo und wie sie das wollen, bleibt ihnen überlassen". Facebook hat mittlerweile seine Nachrichten-App Messenger für andere Firmen geöffnet. Die können dort beispielsweise Zusatztastaturen anbieten. Giphy ist dabei.

© SZ vom 12.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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