Chancengleichheit:"Die Persönlichkeit spielt bei der Entstehung von Ungleichheit eine wichtige Rolle"

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  • Eine Studie für das Institut zur Zukunft der Arbeit zeigt, dass der Lebensstandard auch vom Beherrschen sozialer Fähigkeiten abhängt.
  • Auf die Kindheit bezogen, meint ein Forscher: "Die frühe Förderung der sozialen Fähigkeiten kann die Spaltung der Gesellschaft verringern."

Von Alexander Hagelüken, München

Jeder dritte Deutsche besitzt nichts oder nur Schulden: Es sind solche Zahlen, die in der Bundesrepublik gerade eine Debatte über Ungleichheit befeuern. Die Frage ist, wie sich etwas ändern lässt. Ist noch mehr finanzielle Umverteilung von oben nach unten viel versprechend und politisch durchsetzbar? Oder gibt es andere Wege? Der Bonner Professor Armin Falk lenkt den Blick jetzt auf versteckte Aspekte der Ungleichheit - und wie sie sich günstig korrigieren lassen, um die Spaltung der Gesellschaft zu verringern.

Wie sehr Bildung über den beruflichen Erfolg entscheidet, haben Forscher längst ermittelt. Falk geht einen Schritt weiter und nimmt soziale Fähigkeiten ins Visier: "Wer mit anderen kooperieren und ihnen vertrauen kann, erzielt tendenziell mehr Einkommen". Positiv wirkten auch Sensibilität für die Erwartungen anderer, Mitgefühl und kommunikative Fertigkeiten. Solche Eigenschaften helfen demnach nicht nur, mit Kollegen klarzukommen, eine Lehre trotz Frustrationen abzuschließen und bei beruflichen Durststrecken dranzubleiben. Durch sie baut jemand leichter Kontakte zu Menschen auf, die ihm bei Krisen wie Trennungen oder Misserfolg beistehen, damit er nicht aus der Bahn fliegt.

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Falk fand nun heraus, wie ungleich solche prosozialen Fähigkeiten in der Gesellschaft verteilt sind. Bei einem mehrjährigen Großversuch mit 700 Kindern stellte sich heraus: Wer in einem Haushalt im unteren Einkommensdrittel mit niedrigen Bildungsabschlüssen aufwächst, weist im Schnitt deutlich weniger von den Eigenschaften auf, die das Berufsleben erleichtern. Das zeigt Falk mit Fabian Kosse und anderen in einer Studie für das Institut zur Zukunft der Arbeit, die die Süddeutsche Zeitung vorab einsah.

Die Forscher gaben sich dabei nicht nur mit Befragungen zufrieden, sie studierten das Verhalten. Zum Beispiel von Sieben- bis Neunjährigen beim Diktator-Spiel: Da darf ein Kind allein entscheiden, wie es Spielzeug zwischen sich und anderen aufteilt, etwa einem Gleichaltrigen aus einer Nachbarstadt oder einem Waisen in Afrika. Das ganze war real genug, dass Spielzeug bis in ein SOS-Kinderdorf in Togo transportiert wurde. Wer dabei Sinn für die Bedürfnisse anderer beweist, verfügt über eine jener Fähigkeiten, mit denen er später besser in der Arbeitswelt zurechtkommt. "Die Persönlichkeit spielt bei der Entstehung von Ungleichheit eine wichtige Rolle", sagt Falk.

Kampf gegen die "Spaltung der Gesellschaft"

Nach der ersten Diagnose machten sich die Forscher daran, die Ungleichheit zu korrigieren. Die eine Hälfte der benachteiligten Kinder nahm an einem bundesweiten Programm teil und bekam ein Jahr jede Woche einen Nachmittag lang Besuch von einem freiwilligen Mentor. Der ging mit dem Kind in den Zoo oder ins Museum, las Geschichten vor, machte Sport, unterhielt sich viel. Alles Aktivitäten, die den sozialen Umgang trainieren, die Persönlichkeit stärken - und bei den Kindern vorher oft zu kurz kamen. Wer etwa Geschichten vorliest, die den Wert des Teilens und des Miteinanders bei der Lösung von Aufgaben betonen, regt ein anderes Verhalten an. Und dass der Mentor sich jede Woche einen Nachmittag Zeit nahm, signalisierte dem Kind Wertschätzung.

Nach einem Jahr zeigten Tests bei Kindern mit Mentoren durchgängig mehr prosoziales Verhalten. Sie schlossen zu den Kindern aus anderen Einkommens- und Bildungsschichten auf - ein Erfolg, der auch bei der Kontrolle zwei Jahre später bestehen blieb. "Die frühe Förderung der sozialen Fähigkeiten kann die Spaltung der Gesellschaft verringern", folgert Falk, der solche Versuche häufiger bei seinem neu gegründeten Institut für Verhalten und Ungleichheit durchführen will. Sein Fazit: Wenn der Staat Geld in die günstigen Mentorenprogramme steckt, kann er die Kluft zwischen Arm und Reich auf neue Art bekämpfen.

© SZ vom 05.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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