Prozess:Zugunglück von Bad Aibling: Zwölf Menschen mussten "wegen eines Computerspiels sterben"

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Zwölf Menschen starben im Februar nach dem Zugunglück bei Bad Aibling. (Foto: dpa)
  • Der Fahrdienstleiter war von einem Handyspiel abgelenkt, darin ist sich die Staatsanwaltschaft sicher.
  • An seiner Schuld an dem Zugunglück bei Bad Aibling besteht beim Prozess vor dem Landgericht Traunstein kein Zweifel.
  • Nun geht es um das Strafmaß für den Angeklagten. Die Staatsanwaltschaft fordert eine Freiheitsstrafe von vier Jahren, die Verteidigung eine Bewährungsstrafe.

Aus dem Gericht von Lisa Schnell, Traunstein

Michael P. ist schuldig, verantwortlich für den Tod von zwölf Menschen, die durch das Zugunglück von Bad Aibling im Februar gestorben sind, für 89 Verletzte. Daran besteht für Staatsanwaltschaft und Verteidigung am Freitag, dem sechsten Verhandlungstag im Prozess vor dem Landgericht Traunstein, kein Zweifel.

P. hat die Züge als Fahrdienstleiter auf eine eingleisige Strecke geschickt, er hat sich dafür über die Technik hinweggesetzt, einen Fehler nach dem anderen begangen. Und er hat gespielt. Vor seinem Dienstbeginn, während seines Dienstes, sogar noch kurz vor dem Zusammenstoß lief auf seinem Handy Dungeon Hunter 5. Dass er von dem Spiel abgelenkt war, darin ist sich die Staatsanwaltschaft sicher. Die Verteidigung merkt lediglich leise Zweifel an. Nicht einig sind sich Staatsanwaltschaft und Verteidigung aber, wenn es um das Strafmaß für den Angeklagten geht.

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Ein Gutachter sagt: Vor dem Zugunglück sei der Angeklagte "zu 72 Prozent" mit Handy-Spielen beschäftigt gewesen. Wenige Minuten in einer Fantasiewelt, die echte Menschen das Leben kosteten.

Aus dem Gericht von Annette Ramelsberger

Oberstaatsanwalt Jürgen Branz fordert eine Freiheitsstrafe von vier Jahren, ein Jahr unter der Maximalstrafe für fahrlässige Tötung, wie sie P. zum Vorwurf gemacht wird. Die Verteidigung dagegen will eine Bewährungsstrafe für P. Falls es doch eine Freiheitsstrafe sein müsse, dann nicht mehr als zweieinhalb Jahre, meint Rechtsanwalt Thilo Pfordte.

Für Staatsanwalt Branz ist klar, dass die einzige Ursache für den Zusammenprall das Handyspiel war. P. darf sein Handy während der Arbeitszeit nicht benutzen, so steht es in der Dienstvorschrift, doch P. könne seine Arbeit "fast im Schlaf". Seit 19 Jahren ist er Fahrdienstleiter, nur alle 30 Minuten kommt ein Zug. "An und für sich eine relativ einfache Tätigkeit", sagt Branz. Die Idee, sich die Zeit mit einem Spiel zu vertreiben, sei aber "unsinnig", "unglaublich" gar. Über eineinhalb Stunden spielte P. Aber kein gewöhnliches Spiel, sondern eines, das einen zum "Sklaven" mache, wie ein Nebenklägeranwalt sagt.

In Dungeon Hunter 5 jagte P. als Kopfgeldjäger durch eine Mittelalter-Fantasiewelt. Mit dem linken Daumen ließ er seinen Helden gehen, mit dem rechten die Waffe ziehen. Er brauchte dazu beide Hände und musste eigentlich immer spielen, um den Tod seines Helden zu verhindern. Über 70 Prozent der Zeit, in der er die Züge lenkte, spielte er auch, wie ein Gutachter im Prozess sagte.

"Das Kind wird seinen Vater nie kennenlernen"

Seine eigentliche Arbeit aber regelte der Fahrdienstleiter P. "gedankenlos", "wie nebenbei", sagt Staatsanwalt Branz. Deshalb verrutschte der Angeklagte im Fahrplan. Deshalb bemerkte er nicht, dass er zwei Züge auf eine eingleisige Strecke schickte, überprüfte nicht wie vorgeschrieben, ob die Strecke frei war, blendete die rot, blau und weiß leuchtende "Lichterkette" auf dem Schaltpult vor ihm aus. So die Interpretation des Staatsanwalts.

Sicher, die Technik im Stellwerk sei veraltert, manche Dienstvorschriften widersprüchlich. Die Ursache aber für den Unfall sei einzig das "kopflose Agieren des Angeklagten" mit der schrecklichen Folge, dass zwölf Menschen "wegen eines Computerspiels sterben mussten", sagt Staatsanwalt Branz. Auch viele Angehörige litten bis heute unter den Folgen des Unglücks.

So etwa die Frau, die schwanger war, als ihr Lebenspartner beim Zugunglück starb. "Das Kind wird seinen Vater nie kennenlernen", sagt ein Nebenklägeranwalt. Der nächste erzählt von seinem Mandanten, in dessen Armen ein Opfer des Unglücks starb. Als P. das hört, muss er die Augen schließen, kann die Tränen kaum zurückhalten. Sie fließen, als ein Nebenkläger sagt: "Die Damen und Kinder, die ich vertrete, die nehmen Ihre Entschuldigung an."

P. hat sich entschuldigt, er hat gestanden und bei den Ermittlungen mitgewirkt. Das rechnet ihm auch der Staatsanwalt an. Ebenso, dass P. keine Vorstrafen hat, nicht einmal einen Parkverstoß. Und dass er sein ganzes Leben lang gestraft sein wird mit der Schuld, aber auch mit den Schulden, die durch Schadensersatzforderungen auf ihn zukommen.

Die Schaltfläche leuchte nur "wie ein Christbaum"

Die Verteidigung versucht noch andere Gründe zu finden, warum P. einen Fehler nach dem anderen beging. Die Schaltfläche sei unübersichtlich, leuchte nicht nur für Laien, sondern auch für den Fahrdienstleiter P. nur "wie ein Christbaum". Außerdem mache er seit Jahren dieselbe eintönige Arbeit: "Knöpfe bedienen. Sitzen. Knöpfe bedienen", sagt sein Anwalt Thilo Pfordte. Auch das könne ein Grund dafür sein, warum er so viele Fehler beging, nicht nur das Handyspiel.

Dass P. durch sein Spielen abgelenkt war, dafür spreche "sehr viel, aber es ist nicht vollständig sicher", sagt Pfordte. Der Anwalt appellierte an das Gericht, bei seinem Urteil außerdem an all die anderen Urteile zu tragischen Zugunglücken zu denken. Seit 1975 sei kein Täter mehr zu einer Haftstrafe verurteil worden, obwohl es eine Vielzahl von Toten und schlimmes Fehlverhalten gab.

Zum Schluss erhebt sich Michael P. selbst noch einmal. Während des Prozesses hatte er die Augen oft gesenkt, starrte ins Leere, jetzt aber blickt er hoch zur Empore, dort wo einige Angehörige sitzen. "Ich leide massiv unter den Ereignissen und bin davon stark betroffen", sagt P. im bayerischen Dialekt. Er sei froh über die Erkenntnisse, die gewonnen wurden, und hoffe, dass sie den Angehörigen "auf ihrem eigenen Weg weiterhelfen können".

Das Urteil wird am Montag erwartet.

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Landgericht Traunstein
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Außerdem spricht der Sachverständige von einem Schaltfehler im Stellwerk. Seine Einschätzung ist wichtig, schließlich geht es in dem Prozess auch um eine Mitverantwortung der Bahn.

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