Zersiedelung:Hügel, Hallen und Hotels

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Flächenfraß: Jeden Tag werden 18 Hektar in Bayern zugebaut. Hier das Gewerbegebiet Hasenheide bei Fürstenfeldbruck. (Foto: Johannes Simon)

Heimatminister Markus Söder will künftig Gewerbegebiete in der freien Landschaft zulassen, um die Wirtschaft zu fördern. Experten und Umweltverbände befürchten, dass in Bayern bald Industrielandschaften nach italienischem Vorbild entstehen

Von Christian Sebald, München

Die Obere Argen ist ein idyllisches Flüsschen im Oberallgäu unweit von Oberstaufen. Still fließt es in Schleifen durch das Hügelland mit seinen Kuhweiden. Nur im Eistobel wird die Obere Argen richtig wild. Dort stürzt ihr Wasser, eingerahmt von bis zu 130 Meter hohen Felshängen, über mehrere Kaskaden hinab, bevor sie dann an Grünenbach vorbei in Richtung Wangen fließt.

Seit Jahren schon wollen die 1500-Einwohner-Kommune Grünenbach und drei weitere Gemeinden ein Gewerbegebiet in das Allgäuer Hügelland betonieren. Bisher vergeblich. Sollten nun jedoch die Pläne von Heimatminister Markus Söder (CSU) Wirklichkeit werden, könnten die vier Oberallgäuer Kommunen doch ihr Gewerbegebiet einrichten. So wie viele andere Landgemeinden auch überall in Bayern, die nichts lieber täten, als Gewerbegebiete in die freie Landschaft zu setzen.

Die Stichworte für Söders Pläne: Landesentwicklungsprogramm (LEP) und Anbindegebot. Das LEP ist jener Masterplan, in dem die Staatsregierung seit mehr als 40 Jahren festlegt, wie sie sich ein starkes und prosperierendes Bayern vorstellt. Das LEP soll Antworten auf alle großen Herausforderungen liefern, vor denen der Freistaat steht: auf den demografischen Wandel und die Entvölkerung der ländlichen Regionen genauso wie auf die Energiewende und den Klimawandel. Das Anbindegebot ist ein zentraler Bestandteil des LEP. Es besagt, dass neue Baugebiete nicht einfach in der freien Landschaft ausgewiesen werden dürfen. Sondern immer nur direkt in Anschluss an Ortschaften. Neubaugebiete müssen gleichsam an Gemeinden angebunden sind.

Eben dieses Anbindegebot will Söder nun aufweichen. Nach seinen Vorstellungen sollen künftig Gewerbe- und Industriegebiete an Ausfahrten von Autobahnen und entlang großer Bundesstraßen auch dann möglich sein, wenn sie dort keinerlei Verbindung zu einer Gemeinde haben. Außerdem sollen Hotels, Spaßbäder und andere große Freizeit- und Tourismusprojekte von nun an einfach in die freie Landschaft gesetzt werden können. So wie auch sogenannte interkommunale Gewerbegebiete. Das sind Gewerbegebiete, die wie jenes im Argental von mehreren Kommunen gemeinsam betrieben werden. Söder verspricht sich von seiner Initiative, so hat er es in seiner Regierungserklärung im November 2014 verkündet, nicht nur neue Einnahmen für die Kommunen. Er will damit auch die Menschen auf dem Land halten - indem er dort neue Arbeitsplätze schafft. Dies gelte vor allem für strukturschwache Regionen.

Experten und Umweltverbände üben heftige Kritik an Söders Plänen. Die Bayerische Architektenkammer, die Akademie für Städtebau und Landesplanung, der Landesverein für Heimatpflege, der Bund Naturschutz (BN) und andere Organisationen haben jetzt sogar eine Massenpetition dagegen gestartet. Ihre Befürchtung: Der Flächenfraß wird explodieren. Schon jetzt beträgt er 18 Hektar am Tag und summiert sich aufs Jahr gesehen auf die Größe einer Stadt wie Regensburg. Aber das ist nicht die einzige Befürchtung gegenüber Söders Plänen. Auch die Zersiedelung der Landschaft könnte schlimme Ausmaße annehmen, wenn Gewerbegebiete, Hotels und andere Projekte einfach in die freie Landschaft gebaut werden können. "Bayern wird schnell aussehen wie die oberitalienischen Industrielandschaften", sagt Heimatpfleger Martin Wölzmüller. Dabei würden die Kommunen nicht einmal von den Lockerungen profitieren. "Der einzige Effekt wäre, dass sie sich im Wettlauf um potenzielle Investoren kannibalisieren", sagt BN-Chef Weiger. "Das ist der Ausverkauf der Heimat." Andrea Gebhard von der Akademie für Städtebau und Landesplanung erinnert daran, dass es so strikte Vorgaben wie das Anbindegebot waren, denen der Erhalt von Bayerns alten Kultur- und Naturlandschaften zu verdanken ist.

Heimatminister Söder dürfte dies alles wenig abschrecken. Er will seine Pläne womöglich noch vor der Sommerpause im Kabinett präsentieren. Wohin die Reise geht, kann man an einer Stellungnahme des Innenministeriums zu dem Gewerbegebietsplänen der vier Oberallgäuer Gemeinden im Oberen Argental ablesen. Nach dem bisherigen LEP habe das Projekt nicht genehmigt werden können, heißt es darin. Daher habe sich die Regierung von Schwaben stets dagegen ausgesprochen. Dann verweist das Innenministerium auf die beabsichtigten Lockerungen durch Söder. Danach sei das Gewerbegebiet sehr wohl möglich. Es dürfte also nicht mehr lange dauern, bis es eingerichtet wird.

© SZ vom 01.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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