Volksbegehren:Gemeinsam gegen Flächenfraß

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Bei einer Anhörung im Landtag sind sich die Experten einig, dass in Bayern zuviel Grund und Boden verbraucht wird. Was dagegen zu tun ist, darüber herrschen unterschiedliche Vorstellungen

Von Christian Sebald, München

Eines haben die Grünen und die anderen Initiatoren des Volksbegehrens "Betonflut eindämmen" schon geschafft: Fachleute, Kommunen, Bauern und Umweltverbände machen gemeinsam Druck auf Staatsregierung und Parlament, den Flächenfraß in Bayern einzudämmen. Das ist das zentrale Ergebnis einer Expertenanhörung am Donnerstag im Landtag. Einigkeit herrschte auch darin, dass eine Verringerung des Flächenverbrauchs nicht ohne neue gesetzliche Regularien etwa im Baugesetzbuch erreicht werden kann. Viele Experten teilen sogar die Forderung des Volksbegehrens nach einer Obergrenze für den Flächenfraß. Städtetag und Gemeindetag lehnen eine solche weiter strikt ab. Auch der Bauernverband sprach sich dagegen aus.

"Der Flächenverbrauch ist ein sogenanntes persistentes Umweltproblem", sagte Jana Bovet vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig. "Das heißt, er hält seit langer Zeit auf hohem Niveau an, er kann nicht zurückgedreht werden und er hat ein sehr hohes Schadensrisiko für Natur und Umwelt." Deshalb braucht es nach Bovets Überzeugung ein "verbindliches Flächensparziel", wie es die damalige Bundesregierung 2002 in ihrer Nachhaltigkeitsstrategie formuliert und die aktuelle große Koalition in ihrem Koalitionsvertrag bestätigt hat. Die dort von 2030 an festgeschriebene Obergrenze von bundesweit 30 Hektar am Tag bedeutet eine Halbierung des aktuellen Flächenfraßes in Deutschland. Zugleich entspricht sie auf Bayern heruntergebrochen jenen fünf Hektar täglich, die das Volksbegehren "Betonflut eindämmen" als gesetzliches Limit von 2020 an für den Freistaat fordert.

Manfred Miosga, Professor an der Universität Bayreuth für Stadt- und Regionalentwicklung, kritisierte, dass viele Kommunen sehr verschwenderisch mit unverbautem Grund und Boden umgingen. Mit einem aktuellen Flächenverbrauch von zehn Hektar am Tag sei Bayern noch weit entfernt von den Zielen des Bundes. Vor allem kleine und mittlere Kommunen weisen nach Miosgas Worten viel zu viele neue Wohn- und Gewerbegebiete aus. Der Grund: Sie wollten sich dadurch zusätzliche Einnahmen durch die Gewerbesteuer und die Beteiligung an der Einkommensteuer erschließen.

Miosga hält die Obergrenze von fünf Hektar am Tag, die das Volksbegehren verlangt, aber für "problematisch". Nach seiner Vorstellung ist das Jahr 2020 als Zeitpunkt ihre Einführung zu früh. Stattdessen sollte der Flächenverbrauch bis 2030 auf eine "Netto-Null verringert und bis dahin eine Flächenkreislaufwirtschaft installiert werden". Das bedeutet: Von 2030 an sollte freie Landschaft nur noch dann in Bauland für Wohnen, Gewerbe und Verkehrswege umgewandelt werden dürfen, wenn anderswo Gewerbe- und Wohnbrachen, aber auch nicht mehr benötigte Verkehrswege renaturiert werden.

Für die Kommunen schießen all diese Forderungen weit übers Ziel hinaus. Aber auch sie verlangen inzwischen gesetzliche Handhaben. "In unseren Städten und Gemeinden sind so viele Brachflächen vorhanden, dass man auf Jahre hinaus kein einziges Neubaugebiet ausweisen müsste, wenn man sie aktivieren könnte", sagte Matthias Simon vom Bayerischen Gemeindetag. "Im unterfränkischen Landkreis Haßberge etwa summieren sie sich auf 1500 Grundstücke mit einer Gesamtgröße von etwa 1,6 Millionen Quadratmetern." Die Kommunen hätten zu wenige Handhaben, damit diese Flächen schnell bebaut werden können - gleich ob mit Wohnungen oder Gewerbehallen. "Dabei gäbe es viele gesetzliche Möglichkeiten", sagte Simon, "etwa Erleichterungen beim gemeindlichen Vorkaufsrecht, einem schärferen Baugebot in ausgewiesenen Baugebieten und Erleichterungen beim Rückbau und der Renaturierung von Bauruinen."

Auch der Bauernverband beklagte in der Anhörung den Flächenfraß. "Seit 1960 sind in Bayern mehr als 840 000 Hektar landwirtschaftliche Flächen verloren gegangen", sagte Bauernpräsident Walter Heidl. Das entspreche dem aktuellen Agrarland in ganz Schwaben und Unterfranken. Heidl forderte "den Erhalt der heutigen land- und forstwirtschaftlichen Nutzflächen". Auf die Frage nach dem Wie hatte er vor allem eine Antwort: Der Ausweisung von Ausgleichsflächen - also der Ökoflächen, die die Schäden an der Natur durch den Flächenfraß abmildern sollen - müsse "weitestgehend Einhalt geboten werden". Denn durch Ausgleichsflächen gehe den Bauern ebenfalls Land verloren.

Vor einer Woche hatte das Innenministerium den Antrag auf Zulassung des Volksbegehrens "Betonflut eindämmen" dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof zur Entscheidung vorgelegt. Staatsregierung und CSU lehnen die geforderte gesetzliche Obergrenze ab, sie wollen weiter ausschließlich auf Beratungen, Förderprogramme und andere freiwillige Initiativen setzen, die es zum Teil schon seit Jahren gibt - ohne dass sie einen Erfolg gebracht hätten. Das Volksbegehren hat bislang eine große Resonanz. 46 000 Wahlberechtigte haben sich in die Unterstützerlisten eingetragen. Voraussetzung dafür, dass sich die Staatsregierung mit der Zulassung beschäftigen muss, waren 25 000.

© SZ vom 20.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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