Verkehr:Brexit im Nürnberger Nahverkehr

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Britisches Bahnunternehmen National Express zieht sich überraschend aus dem Betrieb des S-Bahn-Netzes zurück. Der Rechtsstreit mit dem unterlegenen Konkurrenten DB Regio soll der Grund dafür sein

Von Katja Auer, Nürnberg

Der fast zwei Jahre währende Streit um die Nürnberger S-Bahn hat eine überraschende Wende genommen. Das britische Bahnunternehmen National Express (NX), das Anfang des vergangenen Jahres - ebenfalls überraschend - den Zuschlag für den Betrieb des S-Bahn-Netzes bekommen hatte, gibt auf. Der Grund sei der Rechtsstreit, den die unterlegene DB Regio gegen die Entscheidung führt. Wegen der "gravierenden Verzögerungen" halte NX sein Angebot nicht weiter aufrecht, teilte die Bayerische Eisenbahngesellschaft (BEG) am Dienstag mit, die das regionale Bahnnetz als Unternehmen des Freistaats betreibt. Die Briten könnten "eine Betriebsaufnahme im Dezember 2018 mit den von NX angebotenen Neufahrzeugen nicht mehr gewährleisten". Außerdem würden durch eine derart kurzfristige Betriebsaufnahme unverhältnismäßig hohe zusätzliche Kosten entstehen. NX wäre das erste Privatunternehmen gewesen, das ein großes bayerisches Eisenbahnnetz betrieben hätte. Deswegen war die Vergabe beinahe eine Sensation und gleichzeitig ein Prestigeverlust für die Bahntochter DB Regio.

Doch NX-Deutschland-Chef Tobias Richter fürchtet weitere Verfahren, wenn sich der S-Bahn-Start seines Unternehmens in Nürnberg verzögere. Diesem Risiko habe sich NX nicht aussetzen wollen. "Um 2018 mit eigenen Zügen an den Start gehen zu können, hätte die Entscheidung für NX spätestens im Frühjahr klar sein müssen", betonte Richter.

Für diesen Mittwoch wurde eigentlich eine Entscheidung des Oberlandesgerichts München erwartet, doch auch das sei schon zu spät. Frühestens Ende 2019 könnten dann die erste Züge fahren. "Eine solche Fristverschiebung wäre aber für NX verheerend. Denn das hätte eine Änderung der Ausschreibungsbedingungen bedeutet und damit anderen Bewerbern erlaubt, erneut gegen die Vergabe an National Express Beschwerde einzulegen", sagte Richter. Auf die damit verbundene Fortsetzung der "Prozessspirale" habe sich NX nicht einlassen wollen.

Damit ist wieder offen, wer künftig das große S-Bahn-Netz mit jährlich etwa 20 Millionen Fahrgästen betreibt, das sich vom oberfränkischen Bamberg im Norden über den Großraum Nürnberg-Fürth-Erlangen bis nach Ansbach im Südwesten und Neumarkt in der Oberpfalz im Südosten erstreckt. Die Bahntochter DB Regio hält an ihrem Gebot weiter fest. Der Rückzug des Konkurrenten komme "zum jetzigen Zeitpunkt überraschend", sagte ein Bahnsprecher. Aber wohl nicht ungelegen. Seit die Briten vor gut anderthalb Jahren den Zuschlag bekamen, prozessiert die Bahn dagegen. Nachdem die Vergabekammer Südbayern einen Nachprüfungsantrag von DB Regio als unbegründet zurückgewiesen hatte, zog diese vor das OLG. Die Bahn-Vertreter hatten bemängelt, dass die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der deutschen NX-Tochter nicht ausreichend geprüft worden sei. Nun werde überprüft, was der Rückzug von National Express für die Ausschreibung bedeutet, sagte der Bahnsprecher. Sicher sei: "Wir stehen weiter zu unserem Angebot."

Und die BEG muss die verbliebenen Angebote erneut bewerten und das wirtschaftlichste ermitteln. Eines betonte ein Sprecher: "Dies bedeutet allerdings nicht, dass die DB Regio, die gegen die Vergabeentscheidung an NX juristisch vorgegangen ist, automatisch den Zuschlag erhalten wird." Bis zum Ende des Jahres soll eine Entscheidung getroffen und der S-Bahn-Betrieb neu vergeben werden. Fahren sollen die Züge des neuen Betreibers von 2018 an und zunächst bis 2030.

Erfreut vom Rückzug der Briten zeigte sich der Nürnberger SPD-Abgeordnete Martin Burkert, der Vorsitzende des Verkehrsausschusses im Bundestag. "Ich hatte bereits in der Vergangenheit große Bauchschmerzen, was eine mögliche Vergabe an National Express anging. Meine Bedenken betrafen insbesondere die Löhne und Sozialleistungen der Beschäftigten", sagte Burkert. Nun bestehe immerhin wieder die Möglichkeit, dass DB Regio den Zuschlag erhalte. Wenn sich die Vergabeentscheidung verzögere, dürfe das nicht zu Lasten der Fahrgäste gehen, sagte Burkert.

© SZ vom 26.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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