Urteil:Volkes Stimme bleibt stumm

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Der Verfassungsgerichtshof erklärt unverbindliche Volksbefragungen, wie sie die CSU plante, für unzulässig. Das ist eine herbe Niederlage für Horst Seehofer und ein Triumph für die Opposition, die dagegen geklagt hatte

Von Wolfgang Wittl, München

Nein, eine Prognose will Markus Rinderspacher nicht abgeben. Gleich wird der Bayerische Verfassungsgerichtshof entscheiden, ob das von der CSU-Landtagsfraktion und der Staatsregierung verabschiedete Gesetz zu einer unverbindlichen Volksbefragung rechtens ist. Vor Gericht und auf hoher See, man wisse ja nie, sagt der SPD-Fraktionschef. Doch Minuten später leuchten Rinderspachers Augen vor Glück. Und Katharina Schulze von den Grünen weiß nicht, wie sie ihr Grinsen aus dem Gesicht bekommen soll, während Gerichtspräsident Peter Küspert die Entscheidung begründet. Denn Schiffbruch in Saal 270/II des Münchner Justizpalastes erleiden am Montag allein die CSU und ihr abwesender Chef, Ministerpräsident Horst Seehofer, der die Bürgerteilhabe zum Markenkern seiner Politik erhoben hat.

Unerwartet deutlich erklären Bayerns Verfassungsrichter das im Februar vergangenen Jahres erlassene Gesetz für nichtig. Es ist eine klassische Watschn, die sich in dieser Heftigkeit nicht einmal SPD und Grüne erhofft hatten. Der Verfassungsgerichtshof sei sogar über die eigenen Anträge hinausgegangen, staunt Rinderspacher. Tatsächlich zerpflücken die Richter die von der CSU installierte unverbindliche Volksbefragung aus mehreren Gründen.

Kritikpunkt eins: Die Volksbefragung stelle einen "Akt der Staatswillenbildung" dar. Um neben den bereits seit 1946 verankerten Volksbegehren und Volksentscheiden aber weitere plebiszitäre Elemente einzuführen, hätte es einer Verfassungsänderung bedurft. Diese hätte die CSU mit ihrer einfachen Landtagsmehrheit mangels Zustimmung anderer Fraktionen nie bekommen, deshalb änderte sie das Landeswahlgesetz. Zu Unrecht, wie Küspert sagt.

Kritikpunkt zwei: Wer die direkte Demokratie stärken wolle wie in diesem Fall die CSU, der schränke im Gegenzug die repräsentative Demokratie ein, das Parlament verliere an Bedeutung. Auch "diese Verschiebung im fein austarierten staatsorganisationsrechtlichen System" dürfe "ohne Verfassungsänderung nicht vorgenommen werden". Zwar sei das Volk der Träger der Staatsgewalt. "Hieraus folgt jedoch nicht, dass jegliches staatliche Handeln unmittelbar vom Volk selbst vorzunehmen ist", erklären die Richter. Weil die Volksbefragung allerdings nur von der Landtagsmehrheit und der Staatsregierung initiiert werden konnte, nicht aber von der Opposition, wäre vor allem die Stellung der Regierung gestärkt worden.

Kritikpunkt drei: die Gefahr politischer Willkür. Nach Ansicht der CSU hätten sich die Bürger etwa zu landesweit wichtigen Infrastrukturprojekten äußern sollen. Doch: Wenn man damit anfängt, wo hört man auf? Wird die Bevölkerung zu einem bestimmten Projekt einmal nicht befragt, könnte der Vorwurf aufkommen, "den Willen des Volkes als Souverän zu ignorieren". Die Volksbefragung sei daher "geeignet, den politischen Handlungsspielraum der zuständigen Organe faktisch einzuschränken". Außerdem: Auch wer die Bürger unverbindlich befrage, werde sich über deren Votum nur schwer hinwegsetzen können.

Die CSU lässt am Montag offen, wie sie mit der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs umgehen wird. "Wir sind natürlich enttäuscht, dass unsere Auffassung nicht bestätigt worden ist", sagt Josef Zellmeier, der parlamentarische Geschäftsführer der Landtagsfraktion. Seine Partei werde aber nicht von ihrem Weg abweichen, die Bürger mehr zu beteiligen. Eine Entmachtung des Landtags durch die Staatsregierung liege der CSU fern, versichert Zellmeier. Doch halte sie es für richtig, die repräsentative Demokratie mit plebiszitären Elementen künftig weiter zu verbessern. Mit welchen Instrumenten dies geschehe, werde die Fraktion jetzt beraten. Dass die CSU die Zusammenarbeit mit der Opposition sucht, um die Volksbefragung doch noch mit einer Verfassungsänderung hinzubekommen, gilt als unwahrscheinlich.

Er gehe davon aus, dass das Thema nach diesem weitreichenden Richterspruch vom Tisch sei, sagt Rinderspacher. Für den SPD-Fraktionschef ist es bereits der dritte Erfolg vor dem Verfassungsgerichtshof gegen die CSU. Erst zwang er die Staatsregierung zur Herausgabe sogenannter Resonanzstudien über politische Gegner, dann in der Verwandtenaffäre zu Auskünften über die Kabinettsmitglieder. "Das ist ein Sieg für die Demokratie", frohlockt Rinderspacher. Die Volksbefragung wäre nur ein Instrument gewesen, die Opposition "an die Kandare" zu nehmen.

Katharina Schulze, die innenpolitische Sprecherin der Grünen, spricht von einem "Freudentag". Das Gericht habe ihre Partei in allen Punkten bestätigt. Anstatt über unverbindliche Volksbefragungen den Willen der Bürger zu erkunden ("das können Meinungsforschungsinstitute billiger"), sollte die CSU die Hürden bei Volksbegehren und Volksentscheiden senken. Auch die Freien Wähler freuen sich über eine "verdiente Ohrfeige". Die CSU müsse nun rechtlich verbindliche Volksbefragungen auf den Weg bringen, die von der Bevölkerung selbst initiiert werden könnten.

Eines sagt Zellmeier auch noch: Er finde es "schade, dass die Opposition immer wieder vor Gericht zieht, weil sie offensichtlich auf politischem Weg über Wahlen nicht die nötigen Mehrheiten bekommt". Um aber Wahlen zu gewinnen, sei "etwas mehr notwendig als gelegentliches juristisches Glück". Da wundert sich die Opposition nach diesem bemerkenswerten Richterspruch doch etwas: Der CSU sei die Verfassung offenbar "wurscht", Hauptsache, sie gewinne Wahlen, sagt Rinderspacher. Schulze erwidert kühl: Würde CSU öfter auf die Opposition hören, "dann würden wir uns nicht immer vor Gericht sehen".

© SZ vom 22.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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