Spielwarenmesse in Nürnberg:Ganz normales Spielzeug ist out

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Sandkasten war gestern: Mit Knetsand sollen Kinder auch in ihrem Spielzimmer lustige Figuren formen können, ohne dass es krümelt und staubt. (Foto: Daniel Karmann/dpa)

Einfach nur spielen? Zu simpel. Der größte Trend auf der Spielwarenmesse heißt "Train your brain". Fördern von der Wiege bis zum Doktortitel, was ehrgeizige Eltern eben verlangen.

Von Anna Günther, Nürnberg

Der Mann im Anzug steckt seine Hand in den pinkfarbenen Indoor-Sand, hebt sie zum Mund, streckt die Zunge raus und - traut sich doch nicht. Die anderen aus der Besuchergruppe lachen und bauen weiter Burgen aus Förmchen. Endlich mal ein Stand zum Rumblödeln. Spielen eben.

Solche Aussteller muss man heuer auf der Spielwarenmesse in Nürnberg etwas suchen. Der größte Trend heißt "Train your brain", Dutzende der 2851 Aussteller werben mit Lerneffekten und wertvollen Erfahrungen für die Entwicklung der Kinder. Mehr als eine Million Produkte können Fachbesucher bis zum 1. Februar auf der Messe ansehen, edukatives und technisches Spielzeug bilden die größte Gruppe. Einfach nur spielen? Zu simpel. Das Credo lautet Fördern von der Wiege bis zum Doktortitel, was ehrgeizige Eltern eben verlangen.

Spielwarenmesse in Nürnberg
:Spiel dich schlau!

Astronomie, Paläontologie, Ethnologie: Ganz normales Spielzeug ist out, die Hersteller setzen lieber auf bestmögliche Förderung.

In der Trendabteilung steht das Bauset für Nachwuchs-Architekten neben einem Mikroskop, das mit dem Smartphone koppelbar ist. Die Firma Kosmos bietet eine App, die Teenies das Programmieren beibringt - und gewinnt einen Toy Award 2016. Drei der vier Sieger pushen Talente und Entwicklung. Nur die Wasserbomben-Halterung von Zuru ist so sinnfrei wie genial: ein Aufsatz für den Wasserhahn mit vielen Strohhalmen, an denen Ballons mit Gummiverschluss hängen. Aufdrehen, schütteln, Wasserschlacht.

Die Wasserbomben sind eine der wenigen Ausnahmen in Halle 3 A. Dort, wo bisher Holzspielzeug-Hersteller Gutes von früher und ethisch Korrektes von heute präsentierten, reihen sich in diesen Tagen Dutzende Stände aneinander, die mit schmissigen Slogans ideale Förderung fürs Kinderhirn anpreisen. Bei Beleduc aus dem Erzgebirge gibt es Dutzende Brettspiele, Puzzles und bunte Klötzchen, alle garniert mit Erklärkärtchen zum Lerneffekt. Mit dem Puzzle "Mein Leben" sollen schon Vierjährige in sechs Phasen kennenlernen, was sie später auch mal erleben werden. Nebenbei soll das Puzzle Sprachentwicklung, Auge-Hand-Koordination, Vorstellungs- und Zuordnungsvermögen fördern und den Entwicklungsprozess eines Menschen aufzeigen.

"Erziehen und verziehen kann ich alles"

Ricarda Schiffler muss darüber den Kopf schütteln. "In dem Moment, in dem das Objekt ein Einzelkind bleibt, werden oft alle Hoffnungen, Träume und Erwartungen auf dieses Kind projiziert", sagt sie mit leisem Bedauern in der Stimme. Diese Entwicklung zeige sich mittlerweile sogar etymologisch: Kindergärtner heißen heute Erzieher. "Gärtner müssen Rücksicht auf die Anlagen ihrer Pflänzchen nehmen, erziehen und verziehen kann ich alles."

Dabei produziert die Firma ihrer Familie seit 1925 Spielwaren vor allem für Krippen und Kindergärten. Der Ansatz sei bei Dusyma aber ein anderer, sagt Schiffler. Auch ihre Schwester Lulu Schiffler-Betz, die seit mehr als 30 Jahren die Firma führt, kann mit dem Optimierungsdrang wenig anfangen. Wenn Kinder in Ruhe spielen dürften, lernten sie automatisch. "Der Mensch kann gar nicht anders. Wenn er spielt, entwickelt er sich weiter", sagt Schiffler-Betz. Es bringe ohnehin wenig, Kleinkindern Lernprojekte zu geben, wenn sie noch nicht bereit sind. Diese Lernzielorientierung sei in China noch extremer, die Kleinen dort hätten kaum Zeit, sich zu entwickeln. Das Wichtigste ist für Schiffler-Betz, dass Kinder Selbstvertrauen bekommen, weil sie etwas geschafft haben. Überforderung helfe nicht.

Sie setzt auf Haptik und Optik: Bauklötze vermitteln Mathematik und Statik, beim Sushi-Brettspiel können Eltern mit ihren Buben und Mädchen über japanische Kultur, Essen, Bräuche, Kleidung und die Unterschiede zu China sprechen. Beim Juwelen-Brettspiel lernen die Älteren einfache Regeln und würfeln sich zum Sieg. Die Kleinsten sollen farbige Holzscheiben in die passenden Vertiefungen legen, Plättchen stapeln oder erst einmal nur Glitzersteine bestaunen. Funkelndes freue alle und nebenbei entwickle sich die Feinmotorik, sagt Schiffler-Betz.

"Das ist kein Spielzeug, das ist Lernmaterial"

Eine Ecke weiter würfeln junge Marsforscher um Ressourcen, wer als erstes die Wasserstation auf dem Roten Planeten baut, hat gewonnen. Erziehung zu Nachhaltigkeit kombiniert mit Astronomie-Abenteuer. Die Dichte an Spielzeug mit dem ganz besonderen Lerneffekt ist so groß, dass für die Nachbarhalle, in der eigentlich die edukativen Produkte sein sollten, offenbar nur wenig übrig blieb. Zwischen Schulranzenherstellern und Basteleien jeglicher Art muss man die Produkte für kleine Genies geradezu suchen. Einmal gefunden, ist bitte schön auf die Wortwahl zu achten: "Das ist kein Spielzeug, das ist Lernmaterial", sagt Michael Warneke. Das sei wichtig, Spielzeug werde in der Gesellschaft negativer gesehen. Und schließlich entwickle "Vinco" Produkte mit Pädagogen. In den Regalen stehen Mikroskope neben Zahnmodellen und einer gläsernen Schwangeren - anatomisch korrekt natürlich.

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:Rausch in Rosa

Bei aller pädagogischen Gender-Anstrengung: Mädchen fahren voll auf Pink ab, Jungen auf Technik. Und die Hersteller liefern - durchaus eigennützig.

Von Anna Günther

"Dr. Steve Hunter's" geht noch weiter. Der Zeichentrick-Paläontologe - optisch Firmengründer und Geologe Stefano Piccini nachempfunden - will aus Großstadtkindern kleine Saurierforscher machen. Bei den großen Jungs im Anzug schlägt der brüllende Tyrannosaurus Rex am Stand schon mal voll ein. Die Männer drängen sich vor der Figur. Schnell noch ein Selfie mit T-Rex, sie sind schließlich nicht zum Spaß auf der Messe. In Dr. Steve Hunter's Sortiment sind Brachiosaurus- und Velociraptorskelette zum selber Zusammensetzen, Dinos zum Anmalen oder Höhlenmenschen zum Ausgraben. Dinosaurier stehen seit Jahrzehnten in den Kinderzimmern. Aber auch Irene D'Odorico stellt klar, dass ihre Produkte eben kein bloßes Spielzeug sind. Die Skelette seien anatomisch korrekt und den Ausgrabungssets liegen, natürlich, echte Fossilien bei.

"Unsere Sachen sollen vor allem hübsch sein"

Am Stand von Mark Roake kann man nach all der Über-Förderung etwas aufatmen. Fröhlich und knallbunt stehen Puppenwagen mit Herzchen neben Noahs Arche, rot-schwarzem Piratenschiff und rotem Londoner Doppeldeckerbus. "Unsere Sachen sollen vor allem hübsch sein und sicher für die Allerkleinsten", sagt Roake.

Mit "Indigo Jamm" hat er sich auf Krippenkinder spezialisiert. Die Formen sind simpel, die Teile größer, damit sie nicht verschluckt werden können. Aber Optik ist wichtig: Wenn die Kleinen ihr Spielzeug nicht mögen, liegt es nur in der Ecke rum. Dann lernen wenigstens die Eltern etwas: dass Spielen vor allem Spaß machen muss.

© SZ vom 29.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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