Regionalkrimi:Spurensuche auf der Führerkanzel

Dirk Kruse

Der Fototermin auf der Zeppelintribüne in Nürnberg bereitet Dirk Kruse offensichtlich Spaß. In seinem Roman "Requiem" herrscht eine andere Stimmung.

(Foto: Olaf Przybilla)

In seinem Buch "Requiem" lässt Dirk Kruse den Ermittler den Mord an einem stadtbekannten Neonazi aufklären. Die Geschichte ist zwar nur erfunden, könnte aber genauso gut Realität sein.

Von Olaf Przybilla

Dirk Kruse kann sich noch ziemlich genau erinnern, wie das war, als er zum ersten Mal im Leben auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände in Nürnberg stand. Selbstverständlich ist das nicht, das Ganze ist immerhin mehr als drei Jahrzehnte her, der Norddeutsche Kruse hatte damals gerade ein Theaterwissenschaftsstudium in Erlangen begonnen.

Und dann also Nürnberg, diese ebenso unwirkliche wie torsohafte Tribüne und diese Leute mit ihrer Lust auf merkwürdige Erinnerungsfotos von dort, "where the Führer used to stand".

Kruse hat sich gerade ein Flaschenbier aufgemacht und sich auf eine Stufe der Tribüne gehockt, von hier weitet sich der Blick dorthin, wo einst die Massen einem geifernden Mann auf der Kanzel zujubelten. Wie das war, dieser erste Moment auf der Tribüne, damals in den Achtzigerjahren?

Kruse ist einer, der rasch die richtigen Worte findet. Aber jetzt überlegt er eine Weile, bis er sagt: "Ich war befremdet." Hinten spielten sie damals noch Tennis mit der Rückwand der Tribüne, vorne liefen Teenager Rollschuh. Aber was auf diesem Feld los war ein paar Jahrzehnte zuvor, wie überhaupt dieser monströse Steinhaufen dort hinkam, das stand nirgends. Keine Schautafel, kein Doku-Zentrum, nichts.

Bild wie aus einem NS-Porno

In Kruses Krimi "Requiem" lässt sich Frank Beaufort, der Ermittler, an einem Morgen ungeduscht zu diesem Ort fahren, der zum Tatort geworden ist. Beaufort hat gelegentlich schon Touristen dabei beobachtet, amerikanische vor allem, wie sie auf Höhe der Tribünenmitte die rechte Hand gehoben haben fürs Ich-war-hier-Foto, Grinsen inklusive. Nun aber steht da ein Toter an der Brüstung der Führerkanzel, steif wie eine Puppe aus dem Schaufenster, nackt, den rechten Arm zum Gruß fixiert von Besenstielen und Stricken.

Ein Bild wie aus einem NS-Porno, opulent inszeniert, als wäre ein verhinderter Bühnenbildner am Werk gewesen. Beaufort kennt den Toten, der Mann war ein stadtbekannter Neonazi. Beaufort hat ihm kurz zuvor zugehört, wie er als Angeklagter im Nürnberger Justizpalast über Stunden hinweg rechtsextremistische Grundsatzerklärungen abgegeben hat.

Dort also, wo sich nach dem Krieg die NS-Kriegsverbrecher vor der Welt verantworten mussten. Kurz darauf ist der Mann tot, drapiert wie ein nationalsozialistischer Schmerzensmann in NS-Ruinenlandschaft.

Die Szene auf der Zeppelintribüne in "Requiem" ist kurz, wenige Seiten lang. Aber sie zeigt exemplarisch, wie Kruse als Krimiautor arbeitet, wie nah an der Realität er bleibt. Es gibt einen Mann, der in Nürnberg solche nationalsozialistischen Gerichts-Tiraden zum Vortrag bringt, immer wieder, in immer neuen Verfahren. Kruse hat ihn sich angehört, seine Detektiv-Figur Beaufort tut dies ebenfalls, unter Schmerzen.

Wer einmal einen Vormittag bei der Vorlage für diese Figur verbringen musste, im Gerichtssaal, bei den immer gleichen monomanischen Reden, der weiß, wie komplex Kruse seine Wirklichkeits-Fiktionen entwirft. Auf so einen Salbaderer im Gerichtssaal kann man in Nürnberg treffen, auf den Schmerzensmann vom Reichsparteitagsgelände nicht. "Meine Fiktion", sagt Kruse, "muss immer so nah an die Wirklichkeit heranreichen, dass sie die Realität sein könnte."

Der Plot in Kruses Krimis ist reine Erfindung. Aber sein Buch "Requiem" könnte man auch als beklemmende Enzyklopädie herannehmen zum Thema "Neue Nazi-Umtriebe in Franken". Wunsiedel spielt als Schlagwort ebenso eine Rolle darin wie die "Wehrsportgruppe Hoffmann", diese Paramiliz aus dem fränkischen Unterholz. Eine Familie aus Fürth, die von Rechtsextremisten angefeindet wurde, findet genauso Erwähnung wie ein verhinderter Laden für Nazi-Klamotten im Zentrum Nürnbergs.

Ein Rummel auf dem früheren Reichsparteitagsgelände - geht das?

Sogar als Anstoß für grundsätzliche Debatten, die merkwürdigerweise so nicht geführt werden, könnte Kruses Krimi taugen. Da tritt etwa ein Professor aus Holland auf, der sich wundert, wie selbstverständlich sich das Riesenrad vom Nürnberger Volksfest vor der Kulisse des NS-Kolosseums dreht. Ein Rummel auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände, darf man das? Gute Frage. In einer anderen Szene verleibt sich Beaufort in Sichtweite der Sebalduskirche allerlei Schoppen ein und gerät mit einem Kumpel ins Philosophieren.

Wie das denn sein könne, fragen sich die beiden, "dass Nürnberg immer noch als ,Stadt der Reichsparteitage' wahrgenommen" werde. "Während das mit dem Nationalsozialismus mindestens ebenso eng verbandelte München sein einst stolz getragenes Etikett ,Hauptstadt der Bewegung' klammheimlich gegen das sympathische ,Weltstadt mit Herz' eingetauscht" habe. Auch das kann man schon mal fragen, spätestens nach dem dritten Riesling.

So fragt sich die Figur Beaufort durch den Tag, er kann sich das leisten, seine Eltern waren erfolgreiche Spielzeugfabrikanten. Der Mann schreibt eigentlich Kulturkritiken, weil ihm das auf Dauer aber offenbar zu öde ist, betätigt er sich nebenher als Freizeitfahnder. Auch diese privaten Ingredienzien seines Ermittlers hat sich Kruse mit Akkuratesse ausgedacht.

Seine Hauptfigur Beaufort ist ein ziemlicher Schnösel, Typus altenglischer Reitlehrer, was dem Autor Kruse nicht wirklich nahe kommt, der besorgt sich für den Termin auf der Zeppelintribüne ein Flaschenbier und hat offenkundig einigen Spaß daran. Und Richard-Wagner-Kenner ist Beaufort, das wiederum kommt Kruse nahe, sehr sogar.

Wer die Berichterstattung des Bayerischen Rundfunks vom Grünen Hügel in Bayreuth verfolgt, der muss Kruse schon mal gehört haben. Dafür ist der 52-Jährige nämlich genauso zuständig wie für die Buchtipps aus Nordbayern im BR-Fernsehen. BR-Nachrichtenjournalist ist er zusätzlich, Kruse hat da ein erstaunliches Spektrum. In seinen Krimis kommt diese Rolle wiederum der Partnerin des Ermittlers Beaufort zu, einer zum Ehrgeiz neigenden Reporterin im BR-Studio Franken.

So entwirft Kruse eine Art persönliches Spiegelkabinett in seinen Krimis, in denen er als Autor in allerlei Reflexen vorkommt, aber trotzdem angenehm unerkannt bleibt. Zumindest fast: Auf Seite 230 in "Requiem" steht ein bärtiger Mann mit längeren Haaren an der Theke des Nürnberger Staatstheaters, "der häufiger Premierenkritiken für Bayern 4 Klassik" verfasst.

Das habe, sagt Kruse lachend, schon der Franken-Dichter Jean Paul so gehalten, lange vor Hitchcock: Plötzlich tritt er selbst auf in seinen Werken. Wer mag, kann auch Georg Büchner entdecken in "Requiem", Arno Schmidt und allerlei anderes Bildungstreibgut: Beaufort ist eben Schöngeist, sein Erfinder bibliophil. Wer darauf keine Lust hat, für den bleibt "Requiem" einfach ein sehr welthaltiger Krimi.

Zur Person

Geboren wurde Dirk Kruse 1964 in Geesthacht, einer Kleinstadt bei Hamburg. Sein größter Erfolg aus dieser Zeit: Kreismeister im plattdeutschen Vorlesewettbewerb. Nach einer Ausbildung zum Krankenpfleger verschlug es ihn zum Studium nach Franken. In Nürnberg wurde er Mitarbeiter des BR, Schwerpunkt: Kulturkritik. Nebenher ist Kruse Dozent an der Hochschule Ansbach, künstlerischer Leiter des Krimifestivals in Weißenburg und Moderator beim Poetenfest, das an diesem Wochenende in Erlangen stattfindet. "Requiem", 2009 im Ars Vivendi Verlag Cadolzburg erschienen, ist der zweite Krimi aus Kruses Beaufort-Reihe. 2012 erschien "Tod im Botanischen Garten", Beauforts dritter Fall.

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