Michael Böhm:"Ich schaue in den Spiegel und sehe einen Mörder"

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Als Michael Böhm 2011 in den Ruhestand ging, hatte er endlich Zeit, Romane zu schreiben. (Foto: Toni Heigl)

Michael Böhm hat mit einem Krimi über den eigenartigen Herrn Petermann den Friedrich-Glauser-Preis gewonnen. Er genießt es, als Autor moralisch unkorrekt zu sein.

Von Gerhard Fischer

Leo Petermann ist reich, er lebt an einem namenlosen See in Oberbayern, es dürfte der Ammersee sein. Petermann ist eigentlich ein sympathischer älterer Herr, vornehm, liebenswürdig und zurückhaltend - aber er tötet Menschen, die ihm auf die Nerven gehen.

Michael Böhm ist höflich. Er spricht sein Gegenüber im Café Eder in Dachau mit dem Namen an. Er hört zu und lässt seinen Gesprächspartner ausreden. Er hält sich an alle Vereinbarungen, die man getroffen hat. Böhm, 69, zeigt damit Respekt. Oder ist er einfach korrekt, wie so viele ältere Menschen, die in der Adenauer-Zeit groß geworden sind?

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Im richtigen Leben ist Michael Böhm korrekt, als Autor nutzt er dagegen die literarische Freiheit, moralisch unkorrekt zu sein: Er hat diesen Leo Petermann erschaffen, einen gewissenlosen Mann, der Menschen tötet, aber nicht erwischt wird. Böhm hat für sein Buch "Herr Petermann und das Triptychon des Todes" gerade den Friedrich-Glauser-Preis in der Kategorie "Bester Kriminalroman" bekommen.

Michael Böhm, der in Oberursel im Taunus geboren wurde, lebt seit 1972 in Dachau. Er hat als EDV-Leiter einer großen Druckerei und im Rechenzentrum in der Automobilindustrie gearbeitet. Als er 2011 in den Ruhestand ging, konnte er endlich schreiben. Er ist eine Spätlese, sozusagen. Man sieht deutlich, wie er sich darüber freut, das zu tun, was er immer schon tun wollte. Man sieht es vor allem an den Augen - sie glänzen, wenn er sagt, dass sein Ruhestand "durch das Schreiben ein Abenteuer" sei, und dass durch sein Schriftsteller-Sein "ein Traum in Erfüllung gegangen" sei.

Mit elf Jahren verfasst er ein Stück über Bratkartoffelverhältnisse

Böhm schrieb schon als Kind. Er war in Oberursel in einer Clique, und im Winter haben sie im Keller Kasperltheater gespielt. Als ihnen die Stücke ausgingen, hat Böhm selbst welche geschrieben. Mit elf Jahren hat er dann ein längeres Stück über Bratkartoffelverhältnisse verfasst, vermutlich weil ihm der Name so gut gefiel.

Heute nennt man Fernbeziehungen so, nach dem Krieg hatte die Bezeichnung eine andere Bedeutung: Eine Soldatenwitwe bezog eine Rente; und wenn sie mit einem neuen Mann zusammen lebte, hat sie ihn nicht geheiratet - sie hätte sonst keine Witwenrente mehr bekommen. "Ich wusste damals gar nicht, was ein Bratkartoffelverhältnis ist, aber ich habe über diesen Ausdruck meinen ersten Roman geschrieben", erzählt er. Roman ist etwas übertrieben - das Werk war so dick wie ein Schulheft.

Später hat er in der Redaktion der Schülerzeitung mitgemacht, der Klassiker also, und im Urlaub hat er dann stets Tagebücher geführt, er hat sich auch im Alltag Notizen gemacht, Erlebnisse festgehalten, Ideen gesammelt, ein Leben lang. Er hält die Hand etwa 20 bis 30 Zentimeter über dem Tisch: "So hoch ist der Stoß mit meinen Notizen", sagt er, "die kann ich jetzt als unschätzbaren Fundus in meine Bücher einbringen."

Er räumt ein, dass seine Bücher "keine einfache Kost" seien; er habe zum Beispiel keinerlei wörtliche Rede in seinen Romanen. Er habe seinen eigenen Stil. Dafür gebe es keine Vorbilder. Böhm könnte einige haben, denn er liest sehr viel: Hermann Hesse mag er, auch Thomas Mann, Klaus Mann, Lion Feuchtwanger, Mark Twain, Ernest Hemingway oder Lawrence Durrell, einen britischen Schriftsteller, der mit dem "Alexandria-Quartett" bekannt wurde und den Böhm "ganz ausgezeichnet" nennt. "Unsere Wohnung steht voller Bücher", sagt er, "ich finde, lesen und schreiben gehört zusammen."

Bei den Mordszenen wechselt er in die dritte Person

Das erste Petermann-Buch erschien 2013, das zweite 2015, beide beim kleinen Bookspot-Verlag. Böhm lässt den Mörder in der Ich-Perspektive erzählen, so etwas ist meistens gut, es schafft Nähe; bei den Mordszenen wechselt er dann in die dritte Person - das erzeugt jene Distanz, die Petermann beim Töten zu sich selbst entwickelt. Leo Petermann hat keine Gewissensbisse; er kann keine Empathie empfinden. Das gibt es wirklich. Böhm hat mit einem befreundeten Psychiater darüber gesprochen. Außerdem wird Petermann nicht erwischt. Auch das ist, leider, Realität. "Neun von zehn Morden werden im richtigen Leben nicht erkannt", sagt Böhm, "das ist statistisch erwiesen."

Als er vor einigen Wochen für seinen zweiten Petermann-Roman den Glauser-Preis erhielt, schnellte der Verkauf nach oben. "Innerhalb von zwei Tagen war kein Buch mehr da", berichtet Böhm. Gut, die Auflage lag nur bei 2000 Stück, aber immerhin, die sind jetzt weg. Außerdem werden nun auch die früheren Bücher von Böhm gekauft, der erste Petermann-Roman und die Werke über den Buchhändler und Detektiv Homer, die er vor den Petermann-Büchern geschrieben hat.

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Wieder sieht man, wie er sich darüber freut - Böhm lächelt dieses selige und ein bisschen kokette Lächeln, das man hat, wenn man mit dem, was man gerne tut, auch noch Erfolg hat. Er trumpft nicht auf, das nicht, aber er macht sich keine Mühe, die Freude darüber zu verbergen.

Michael Böhm hat den Glauser-Preis in der Kategorie "Bester Kriminalroman" bekommen, aber er sagt, seine Petermann-Geschichten seien - "obwohl sie natürlich zu dieser Kategorie zählen" - eigentlich keine stilechten Krimis. "Dafür fehlen Zutaten, ich habe keinen Kommissar, keine Aufklärung am Ende und keine Bestrafung." Es gibt auch keine Tätersuche. Der erste Satz im ersten Petermann-Buch heißt: "Ich schaue in den Spiegel und sehe einen Mörder."

"Man kann nicht warten, bis einen die Muße küsst"

Schreiben ist Böhms Leidenschaft, vielleicht auch seine Berufung, dennoch hat er während seines Berufslebens nie gedacht: Ich bin im falschen Film, ich muss meinem Inneren folgen und Schriftsteller sein. Er ist wohl zu nüchtern, zu vernünftig, schließlich leben bloß ein paar Prozent der Schriftsteller in Deutschland von ihren Büchern. "Es war mir zu riskant", bekräftigt Böhm, "vom Schreiben zu leben ist ein Ritt auf der Rasierklinge, ich wollte nicht meine Familie und meinen interessanten Beruf aufs Spiel setzen." Und nebenher schreiben, das ging nicht, er war beruflich sehr eingespannt.

Jetzt ist er nicht mehr eingespannt. Aber er ist immer beschäftigt. "Wir sind entweder auf Reisen", sagt er, "oder ich schreibe, das heißt: auf den Reisen schreibe ich auch." Er schreibe jeden Tag, sagt Böhm, "Disziplin ist sehr wichtig, man kann nicht warten, bis einen die Muße küsst". Die erste Fassung seiner Romane schreibt er immer mit dem Bleistift, die Endfassung dann mit dem Füller, da hat alles seine Ordnung. Die Endfassung tippt dann seine Frau, die er seit der Schulzeit kennt, in den Computer, und Böhm feilt anschließend noch einmal daran.

Jetzt, wo er in Rente ist, könnte er doch auch bloß reisen, ohne zu schreiben, er könnte vor dem Fernseher sitzen, ins Theater und ins Freibad gehen, einfach nichts tun. Was ist so schön am Schreiben? "Es ist der kreative Prozess", sagt Böhm, "ein schöner Satz, ein schöner Absatz, eine schöne Geschichte - das macht mir unglaubliche Freude." Dass es auch andere lesen, und dass es den anderen auch noch gefalle, das sei "die Sahne obendrauf".

Der dritte Petermann-Krimi wird in ein paar Wochen publiziert, und zwei neue Romane hat er auch schon fertig. Er habe noch keinen Verlag für die beiden Werke, sagt er, aber das sei nicht schlimm. Er sei unabhängig, vor allem innerlich. "Klappt die Zusammenarbeit mit dem Verlag, dem Lektor, dann ist das eine prima Sache", sagt er, wenn nicht, wenn er also keinen Verlag finde, "dann hält mich das auch nicht vom Schreiben ab".

© SZ vom 24.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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