Prozessauftakt:Kirchenasyl vor Gericht

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Macht sich ein Flüchtling in der Obhut einer Pfarrgemeinde strafbar? Die Frage muss nun das OLG München klären. Die Staatsanwaltschaft Landshut erwartet sich ein Grundsatzurteil, das Hunderte betreffen könnte

Von Dietrich Mittler, München

Etwas verloren steht der Angeklagte an diesem Donnerstag vor dem Sitzungssaal A 124, in dem der 4. Strafsenat des Oberlandesgerichts München (OLG) über eine Revision der Staatsanwaltschaft Landshut befinden soll - und damit über sein weiteres Schicksal. Zur Last gelegt wird dem 31-jährigen Nigerianer, er habe sich 2016 im oberbayerischen Freising durch das "Untertauchen" ins Kirchenasyl der drohenden Abschiebung entzogen. Damit habe er sich des illegalen Aufenthalts schuldig gemacht. Doch es geht um mehr: Die Strafverfolger aus Landshut streben über den konkreten Fall hinaus ein Grundsatzurteil an. Zu einer Frage, die auch anderen Staatsanwaltschaften zu schaffen macht: Wie soll die Justiz künftig mit dem sogenannten Kirchenasyl umgehen? Gab es doch über das Jahr 2017 verteilt geschätzt 350 bis 400 Kirchenasyle in Bayern.

Augenblicklich weiß die ökumenische Bundesarbeitsgemeinschaft "Asyl in der Kirche" von deutschlandweit 445 aktiven Kirchenasylen. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) geht davon aus, dass sich derzeit bundesweit (Abfragestand 10. April 2018) etwa 710 Personen im Kirchenasyl befinden. Über die Zahl der augenblicklichen Kirchenasyle in Bayern gibt es nur Schätzungen. "Weniger als hundert", sagt Hans-Günther Schramm vom Ökumenischen Kirchenasylnetz Bayern.

Der Fall des aktuell wieder vor Gericht stehenden Nigerianers liegt indessen bereits einige Zeit zurück. Vom 15. Juli bis zum 19. Oktober 2016 war er in Freising im Pfarrhaus der katholischen Kirchengemeinde St. Jakob im Kirchenasyl. Für ihn war das die einzige Möglichkeit, jene Zeit zu überbrücken, in der ihn Bayerns Behörden nach Italien hätten abschieben können - gemäß der Dublin-III-Verordnung, nach der Flüchtlinge dort Asyl beantragen müssen, wo sie erstmals europäischen Boden betreten haben.

Der 31-jährige Nigerianer ist damit kein Einzelfall, denn die überwiegende Mehrzahl der Flüchtlinge, die sich ins Kirchenasyl begeben, sind sogenannte Dublin-Fälle. Eines aber macht dem Angeklagten zu schaffen: Ausgerechnet er soll nun für ein Grundsatzurteil herhalten. "Es ist kein gutes Gefühl, zum Präzedenzfall zu werden", sagt er. In erster Instanz war das Amtsgericht Freising dem Plädoyer der Staatsanwaltschaft Landshut nicht gefolgt. Ende Oktober vergangenen Jahres sprach es den 31-Jährigen vom Vorwurf des illegalen Aufenthalts frei. Damit aber hatten die Landshuter Staatsanwälte gerechnet. Für sie war die Freisinger Entscheidung die Gelegenheit, ein Grundsatzurteil herbeizuführen.

Bereits Monate vor Beginn des OLG-Verfahrens hatte ein Sprecher der Landshuter Staatsanwaltschaft klargestellt: "Im deutschen Recht gibt es das Kirchenasyl als Rechtsinstitut gar nicht." Jene, die sich vor der Abschiebung in ein Kirchenasyl retteten, machten sich folglich strafbar. Doch letzte Gewissheit, ob das tatsächlich so ist, gab es nicht. "Es handelt sich hier um eine ungeklärte Rechtsfrage", hieß es dazu. Und weiter: Es gehöre zu den Aufgaben einer Staatsanwaltschaft, unklare Rechtsverhältnisse obergerichtlich auf den Prüfstand zu stellen. In diesem Sinne wird die Entscheidung des OLG von bundesweiter Relevanz sein. Und auch von hoher Brisanz, denn es könnte wieder jene Pfarrer ins Visier der Justiz rücken, die Kirchenasyl gewähren.

Nach den Worten des Vorsitzenden Richters Rainer Koch soll das Urteil am 3. Mai verkündet werden. Koch weiß, dass dieses Verfahren ihm und seinen beiden Kolleginnen viel abverlangt. Die Vertreter der Anklage sowie den Verteidiger des Nigerianers hat er daher am Donnerstag hartnäckig ins Gebet genommen. Die beiden Anklagevertreter aus Landshut sind erwartungsgemäß nicht von ihrer Sichtweise abgewichen. Der Begriff Kirchenasyl habe keinerlei rechtliche Bedeutung. "Er beschreibt lediglich einen Zustand", argumentieren sie. "Ohne rechtliche Wirkung" sei auch die Vereinbarung zwischen dem BAMF und den Kirchen aus dem Jahr 2015, die die Standards definiere, nach denen Kirchenasyle ablaufen sollen - sofern ein solches nicht vermieden werden könne.

Der Münchner Anwalt Franz Bethäuser geht in seinem Plädoyer als Verteidiger des Nigerianers indes in eine ganz andere Richtung: Bedingt durch die heftigen Proteste nach der polizeilichen Räumung eines Kirchenasyls in Augsburg im Februar 2014 habe Bayerns Innenminister Joachim Herrmann eine folgenreiche Erklärung abgegeben: Gegen den Willen der jeweiligen Pfarrer werde die bayerische Polizei künftig "in solchen Fällen weder kirchliche Räume betreten noch gewaltsam Personen abführen". Auf diese Anweisung hätten sich die Beamten in Freising berufen, und darauf habe sich auch sein Mandant verlassen. Durch den Verzicht der Behörden auf Räumung und Abschiebung habe sein Mandant im Kirchenasyl faktisch Anspruch auf eine Duldung gehabt - auch wenn die schriftlich nicht erteilt wurde. Und von wegen "Untertauchen" - ein Begriff, den es im Strafrecht nicht gebe: Jeder habe gewusst, wo sich sein Mandant aufhielt, weil die Kirchengemeinde diese Information sofort an das BAMF weitergegeben habe.

Vorsitzender Richter Rainer Koch, der bereits ahnt, welche Folgerungen das Urteil haben könnte, stellt indes eines gleich einmal klar: "Das Gericht hat hier nicht über das Kirchenasyl an sich zu entscheiden, sondern über einen konkreten Fall."

© SZ vom 27.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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