Prien:Video-Chat gegen Depression

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Ein neues Programm will den Weg zum Psychotherapeuten ersetzen

Von Ulrike Schuster, München

Er fühlt sich nicht gut. Er kann nicht mehr ans Telefon gehen, nicht mehr aufstehen, er hat Angst. Martin Schulze-Vorberg kennt sich aus mit der Depression. Die letzte hatte der Immobilienmanager auf den Bahamas. Schnelle therapeutische Hilfe auf einer kleinen Karibikinsel? Fehlanzeige. "Das war eine ganz blöde Situation", sagt der 60-Jährige. Zurück in Regensburg ließ er sich auf ein Experiment ein: Psychotherapie im Video-Chat: Per "MindDoc". So heißt das neue Angebot im Programm der Online-Therapien der Schön Klinik, einer privaten Klinikgruppe mit 17 Standorten in Deutschland. Seit Anfang Dezember können sich Menschen mit Depressionen, Essstörungen oder Burnout von zu Hause aus behandeln lassen. Sonst ändert sich nichts: Gesprächspartner bleiben zwei echte Menschen. Getrennt durch einen Bildschirm. "Es fühlt sich wie eine normale Sitzung an", sagt Schulze-Vorberg. "Nicht unpersönlich."

"Der Video-Chat ist ein Ersatz, keine Ergänzung zur ambulanten Sprechstunde", sagt Bernhard Backes, leitender Psychologe des Chat-Projekts. Nach einem persönlichen Erstgespräch mit Diagnose, findet der erste Video-Chat vier Wochen später statt, 50 Minuten lang; verhaltenstherapeutische Übungen erhält der Patient von seinem MedDoc per SMS. Eine Sitzung kostet 100 Euro, manche Krankenkassen übernehmen die Kosten.

Fünf Therapeuten arbeiten an jedem Schön-Standort für das Video-Projekt. "Der Bedarf ist groß", sagt Backes. Er meint die Menschen und ihr mobiles Leben, zu wenige Therapeuten, mit zu wenigen Plätzen und monatelangen Wartezeiten. "Und viele wollen oder können gar nicht mehr hoch vom Sofa", sagt Backes.

Das Risiko einer Fehleinschätzung sei bei einer Videotherapie genauso hoch wie bei einer Therapie von Angesicht zu Angesicht, sagt Iris Hauth, Mitglied im Präsidium der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde. Claudia Rupp von der Kassenärztlichen Vereinigung hält dagegen. Sie findet Online-Programme oberflächlich. Sie seien mehr auf das Funktionieren des Menschen als auf dessen wirkliche Gesundung ausgerichtet: "Sie sind kein Ersatz für eine echte Face-to-face-Psychotherapie."

© SZ vom 14.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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