Pläne für Gymnasien:"Mir hat sich der Magen umgedreht"

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Die Gymnasialreform bewegt seit langem die bayerische Politik - Schüler und Lehrer reagieren nun mit Enttäuschung. (Foto: dpa)

Zugangsbeschränkung für die G-9-Klasse und keine Wahlfreiheit: Lehrer, Schüler und Opposition kritisieren die Regierungspläne für die Mittelstufe Plus am Gymnasium massiv. Die SPD befürchtet Ungerechtigkeiten und Willkür.

Von Tina Baier, München

Mit Enttäuschung und Empörung reagieren Schüler, Lehrer und Bildungspolitiker auf den Kabinettsbeschluss zur Reform des bayerischen Gymnasiums. "Dialogforen, Expertengespräche, Anhörungen - das alles hätte es nicht gebraucht für diesen Murks", sagt Thomas Gehring, Bildungssprecher der Grünen.

Die Einführung einer "Sitzenbleiberklasse" sei keine Reform. "Das führt zu Ungerechtigkeiten und Willkür", sagt Martin Güll (SPD), Vorsitzender des Bildungsausschusses. "Mir hat sich der Magen umgedreht, als ich das gelesen habe", sagt Karl-Heinz Bruckner, Vorsitzender der Bayerischen Direktorenvereinigung. "Ich habe ein Problem damit, wenn man versucht, innerparteiliche Schwierigkeiten auf unsere Schulen abzuladen. Die CSU muss sich klar darüber werden, was sie eigentlich will."

Der Ministerrat hatte am Dienstag beschlossen, die Zahl der Schüler, die künftig wieder nach neun statt nach acht Jahren Abitur machen wollen, zu deckeln. "Es wird davon ausgegangen, dass zirka 25 Prozent der Schülerschaft pädagogisch begründbaren Bedarf nach einem zusätzlichen Lernjahr in der Mittelstufe haben können", heißt es in einem internen Papier. "Übersteigt die Nachfrage das einer Schule zur Verfügung stehende Kontingent, so trifft diese eine Auswahl unter Abwägung der pädagogischen Aspekte. Ein Rechtsanspruch auf Aufnahme in die Mittelstufe Plus und eine Wahlfreiheit zwischen drei- und vierjähriger Mittelstufe bestehen nicht."

In krassen Widerspruch zu Seehofers Aussagen

Das steht in krassem Widerspruch zu dem, was Ministerpräsident Horst Seehofer noch Ende September erklärt hat: Es hänge im Wesentlichen vom Wunsch der Schüler, Eltern, und Lehrer ab, welches System sich langfristig in Bayern durchsetzt. Seehofer ging sogar so weit zu sagen, es könne sein, dass die achtjährige Zeit bis zum Abitur für die Mehrheit der Schüler die Regel bleibt, womöglich sei dies in ein paar Jahren aber auch der neunjährige Zweig. Das sei das Wesen der Wahlfreiheit. Er sehe darin auch das "Prinzip unserer bayerischen Lebensart" erfüllt. Und dann fügte der Ministerpräsident noch hinzu: Am Geld werde die Reform des Gymnasiums nicht scheitern.

Das war kurz vor der CSU-Klausurtagung in Kloster Banz, auf der Eckpunkte der Reform beschlossen wurden und auf der die G-9-Gegner in der CSU-Fraktion in einer nächtlichen Sitzung Änderungen in dem ursprünglichen Papier durchsetzten.

Im Kabinettsbeschluss steht jetzt unter dem Stichpunkt Ressourcen: "Die Klassenbildung erfolgt auch bei der Mittelstufe Plus im Rahmen des regulären Budgets, sodass während der Pilotphase keine Mehrkosten entstehen." Und weiter: "Um für die Pilotphase mit den gleichen Rahmenbedingungen wie für die spätere flächendeckende Einführung operieren zu können, wird für die Pilotphase kein Budgetzuschlag gewährt. Dadurch wird sichergestellt, dass keine allzu kleinen Klassen eingerichtet werden, d.h. Klassenmehrungen vermieden werden."

"Die Schüler fühlen sich übergangen"

"Es ist wirklich ärgerlich", sagt Julian Fick, Landesschülersprecher für die Gymnasien. "Die Schüler fühlen sich übergangen." Noch vor zwei Wochen sei ihm bei Gesprächen mit CSU-Politikern signalisiert worden, dass die Gymnasialreform "finanziell entsprechend unterfüttert" werde, und dass die Zahl der Schüler für den G-9-Zug noch "in der Diskussion" sei. "In der Theorie klingt es gut, dass die G-9-Schüler nach pädagogischen Gesichtspunkten ausgewählt werden", sagt Fick. Doch in der Praxis werde es so sein, dass vor allem Schüler mit schlechten Noten in die Mittelstufe Plus kommen.

Das Konfliktpotenzial ist schier unendlich: Was passiert zum Beispiel, wenn Eltern und Lehrer der Meinung sind, ein Schüler solle aufgrund seiner schlechten Leistungen in die Mittelstufe Plus, dieser aber nicht will, weil er das Stigma der Sitzenbleiberklasse fürchtet? "Ich kann mir gut vorstellen, dass mehr Eltern ihre Kinder für die Mittelstufe Plus anmelden, als Plätze zur Verfügung stehen", sagt Karl-Heinz Bruckner. "Und ich muss dann die enttäuschten Eltern beruhigen? Ich weiß nicht, ob ich das kann." Susanne Arndt, Vorsitzende der bayerischen Gymnasialeltern (LEV), glaubt dagegen, dass ohnehin nicht mehr als 25 Prozent der Schüler Interesse an der Mittelstufe Plus haben werden.

Heinz-Peter Meidinger, Vorsitzender des Deutschen Philologenverbands und Schulleiter des Robert-Koch-Gymnasiums in Deggendorf, warnt davor, die 25-Prozent-Quote auf jede einzelne Schule anzuwenden. "Vor allem auf dem Land wird es Gymnasien geben, an denen sich deutlich mehr Schüler für die Mittelstufe Plus interessieren", glaubt er. Dafür könnten es in städtischen Gymnasien weniger sein. Um den unterschiedlichen Situationen der Schulen gerecht zu werden, schlägt Meidinger vor, die 25 Prozent wenigstens in Bezug auf die Zahl aller bayerischen Schüler eines Jahrgangs gelten zu lassen.

© SZ vom 20.11.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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