Peter Gauweiler zur Griechenland-Krise:"Früher nannte man das Konkurs-Verschleppung"

Wenn es um die Milliardenhilfen für Griechenland geht, kennt CSU-Politiker Peter Gauweiler keinen Kompromiss: Er ist dagegen - und für einen klaren Schuldenschnitt. Ein Gespräch über die "Schwarmintelligenz" deutscher Politiker und warum ein gemeinsamer EU-Finanzminister das Problem nicht lösen wird.

Birgit Kruse

"Esperanto-Geld" nannte Peter Gauweiler einst den Euro: Der CSU-Bundestagsabgeordnete war schon immer einer der größten Euro-Skeptiker in seiner Partei. Auch die Milliardenhilfe für Griechenland hält der 62-Jährige für falsch - und hat in Karlsruhe Verfassungsklage gegen das erste Rettungspaket aus dem Jahr 2010 eingereicht.

Peter Gauweiler, 2011

Peter Gauweiler: "Egal, um wie viele Milliarden die Geldmenge des Euro noch vermehrt werden wird: Griechenland ist pleite und hat mehr Schulden als es je bezahlen kann."

(Foto: Alessandra Schellnegger)

sueddeutsche.de: Herr Gauweiler, während europäische Spitzenpolitiker mit Milliardenspritzen Griechenland vor der Pleite bewahren wollen, lassen Sie das erste Rettungspakt aus dem vergangenen Jahr in Karlsruhe auf Verfassungsmäßigkeit überprüfen. Aber was ist falsch daran, wenn man ein Land vor dem Ruin retten will?

Peter Gauweiler: Die Situation der Griechen wird durch immer neue Rettungspakete nicht besser. Im Gegenteil: Die neuen Bürgschaften und Schuldenaufnahmen verschlimmern die Lage nur noch, das sind keine Rettungspakete, sondern Mühlsteine - und zwar nicht nur am Hals der armen Griechen, sondern für den Euro insgesamt.

sueddeutsche.de: Das müssen Sie erläutern: Die Hilfen sollen doch gerade Griechenland und den Euro retten.

Gauweiler: Egal, um wie viele Milliarden die Geldmenge des Euro noch vermehrt werden wird: Griechenland ist pleite und hat mehr Schulden, als es je bezahlen kann. Jeder Euro, der nun zur Verfügung gestellt wird, ist ohnehin nur eine Stützung der Gläubigerbanken und ein Aufschub für die Europäische Zentralbank, die meiner Ansicht nach ohne rechtliche Grundlage und zu Lasten ihrer Eigentümer Schrottpapiere in Milliardenhöhe aufgekauft hat und - was die Bereinigung ihrer Bilanzen angeht - die Stunde der Wahrheit hinausschieben will. Was wir derzeit erleben, nannte man früher Konkursverschleppung ...

sueddeutsche.de: ... die ganz Europa an den Rand des Abgrundes treibt?

Gauweiler: Die Situation ist grotesk. Der Euro war einst als Klammer für Europa gedacht. Jetzt wird die Einheitswährung zur Gefahr für den Zusammenhalt der Staaten. Die Schuldenkrise Griechenlands führt die EU in eine Systemkrise - ein Land, das weniger Einwohner hat als Bayern. Ein Land, das mit seinen phantastischen touristischen Möglichkeiten die besten Voraussetzungen für einen Neuanfang hätte. Die europäischen Spitzenpolitiker hätten schon im letzten Jahr Griechenland empfehlen sollen, sich mit Hilfe des Internationalen Währungsfonds (IWF) für einen klaren Schuldenschnitt und ein Schuldenmoratorium, für die Wiedereinführung der Drachme und eine realistische Abwertung zu entscheiden. Und ich bin mir sicher: Griechenland wäre heute schon wieder auf dem Weg der Gesundung.

sueddeutsche.de: Aber Experten warnen doch immer wieder, dass die Risiken einer ungeordneten Staateninsolvenz noch weniger absehbar sind als die Risiken weiterer Rettungspakete.

Gauweiler: Eine Staatsinsolvenz zieht ein klares Prozedere nach sich, Schuldenschnitt, Rückzahlungsmoratorium und konsequente Abwertung der Währung. All dies mit Hilfe des IWF. Bei Staaten wie Argentinien, Russland und der Türkei hat dies in den letzten Jahren sehr erfolgreich funktioniert. Diese Länder stehen heute viel besser da als noch vor einigen Jahren. Staaten haben es beim Pleitegehen bekanntlich leichter als Privatpersonen.

Eine dramatische Entwertung der Gemeinschaftswährung

sueddeutsche.de: Wenn das Prozedere eines Staatsbankrotts so klar geregelt ist, warum entscheiden sich die Europäer dann nicht für einen Schuldenschnitt?

Gauweiler: Welche Europäer? Wir dürfen die Menschen in den europäischen Ländern nicht mit dem abgeschlossenen Kreis der Konferenzeuropäer verwechseln, der über den Geburtsfehler des Euro nicht hinwegkommt: Ein Währungsraum aus Gebieten unterschiedlicher Leistungsbilanzen und ohne staatliches Dach. Dessen Stabilitätskriterien keiner einhält. Schon die einzelnen Staaten schaffen es ja kaum, unterschiedliche Leistungsbilanzen im Inneren auszugleichen: Siehe die deutsch-deutsche Währungsunion, die bis heute nur durch Transfers funktioniert, siehe den innerdeutschen Streit um den Länderfinanzausgleich, siehe die Kluft zwischen Nord- und Süditalien seit 150 Jahren. Auf Ebene eines Erdteils ist ein solches Unterfangen erst recht nicht zu bewältigen. Und es hilft schon gar nicht, wenn sich die Konferenzeuropäer wie jetzt über das von ihnen zusammengebastelte Vertragsrecht auch noch hinwegsetzen nach dem Motto: "Not kennt kein Gebot." Da kommt dann wirklich Panik auf, weil eben das Geld aller auf dem Spiel steht.

sueddeutsche.de: Auch die nationalen Parlamente sind in der Pflicht. Bei der Abstimmung im Bundestag könnten sich die Parlamentarier auch gegen weitere Rettungspakte für Griechenland aussprechen.

Gauweiler: Da bin ich skeptisch. Die Führungsleute in den Fraktionen werden auch dieses Mal die Griechenland-Hilfen durchziehen, obwohl doch in der Sache alles anders läuft, als sie angekündigt haben. Die Unterschiede der Parteien sind beim Euro ja seit seiner Einführung nur auf dem Millimeterpapier sichtbar. Und die Fraktionen des Bundestages können sich nur wie Sardinenschwärme bewegen, wo Richtungswechsel nur gemeinsam gehen, dann freilich blitzschnell. Der deutsche Filmemacher Alexander Kluge nennt das in seinem neuen Buch "Schwarmintelligenz". Vielleicht sollte man darauf hoffen!

sueddeutsche.de: Und Sie schwimmen als Einziger gegen den Strom?

Gauweiler: Ich werde gegen das Mühlsteinpaket stimmen - aber hoffentlich nicht allein.

sueddeutsche.de: Gegner eines Schuldenschnittes führen als Argument immer wieder an: Dann suchen sich die Spekulanten nach Griechenland eben ein anderes Opfer. Etwa Portugal oder Spanien.

Gauweiler: Glauben Sie, dass Spekulanten nach diesem "Rettungsschirm" Ruhe geben? Was steht denn am Ende der Spirale? Eine dramatische Entwertung der Gemeinschaftswährung.

sueddeutsche.de: Also braucht es Maßnahmen, die die Spekulanten bremsen. Sind Eurobonds das Mittel der Wahl?

Gauweiler: Das ist nur eine neue Schelle für das gleiche, geistlose Rezept: Auf Kosten der eigenen Bevölkerung neue Schulden für andere machen.

sueddeutsche.de: Was braucht Europa dann, um Krisen bewältigen zu können? Mit einem europäischen Finanzminister, wie ihn Jean-Claude Trichet fordert?

Gauweiler: Sicher nicht. Europa muss sich von dem Irrglauben verabschieden, dass alles besser funktioniert, wenn alle nur noch auf ein Kommando in Brüssel hören: Einheitsessen, Einheitskleidung, Einheitsregierung. Die Zukunft Europas liegt in seiner Vielfalt, auch was die staatliche und regionale Organisation angeht. Wenn wir diese kleinteilige Struktur zugunsten kontinentaler Instanzen zerstören, dann zerstören wir die Demokratie in Europa.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: