Nördlingen:Sekten-Lehrer steht wegen Schlägen auf den Po vor Gericht

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Unterstützer der "Zwölf Stämme" vor dem Amtsgericht Nördlingen. (Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa)
  • Ein ehemaliges Mitglied der "Zwölf Stämme" wirft seinem damaligen Lehrer vor, ihn als Schüler mehrmals mit Schlägen auf den Hintern und die Handflächen gezüchtigt zu haben.
  • Der Lehrer streitet die Vorwürfe ab, seine Verteidiger wollen Ungereimtheiten in der Aussage des Schülers entdeckt haben.
  • Ein Urteil wird frühestens im Dezember erwartet.

Von Stefan Mayr, Nördlingen

Diese beiden Männer trennen Welten, das sieht man auf den ersten Blick: Hier Christian R., 23 Jahre jung, akkurate Kurzhaarfrisur, Turnschuhe, Jeans und eine graue Kapuzenjacke mit modischem Streifen-Muster. Keine zwei Meter von ihm entfernt sitzt auf der Anklagebank des Amtsgerichts Nördlingen sein ehemaliger Lehrer Klaus-Ulrich H.. Der 54-Jährige hat einen buschigen Vollbart und lange Haare, die hinter dem Kopf zusammengebunden sind. Er trägt ein weites grünes Hemd und eine weite graue Hose.

Auf den Po - "direkt ohne alles"

Auch die Aussagen der Beiden gehen weit auseinander: Der Jüngere ist Zeuge und wirft dem Älteren vor, er habe ihn mehrmals mit einer Rute auf den Po geschlagen. Manchmal auf die Unterhose, manchmal auch "direkt ohne alles". Der Angeklagte sagt dagegen nur: "Dazu kann ich keine Aussage machen, weil es diesen Vorfall nie gegeben hat."

Wer hat recht? Wer lügt? Haben die Lehrer der ultrachristlichen Glaubensgemeinschaft "Zwölf Stämme" in ihrer Schule in Klosterzimmern (Kreis Donau-Ries) tatsächlich systematisch ihre Schüler geschlagen? Und dies aus "banalen Gründen", wie der Zeuge sagt? Christian R. hat die Sekte vor Jahren verlassen, er hat nicht nur sein Äußeres verändert, sondern sogar seinen Vornamen geändert.

Er und seine Geschwister seien "tagein tagaus" geschlagen worden. "Wenn man getuschelt hat, wenn man jemanden ausgelacht hat, wenn man unaufmerksam war, wenn man angeblich rumgeblödelt hat" - immer dann habe es Schläge gegeben. Entweder auf den Hintern oder die Handflächen. Die Erwachsenen hätten geprügelt, "wie sie gerade lustig waren".

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Schläge als Akt der Liebe

Dass die Kinder der "Zwölf Stämme" mit Schlägen gezüchtigt werden, steht eigentlich außer Zweifel. Mitglieder der Glaubensgemeinschaft haben dies in Interviews und öffentlichen Informationsveranstaltungen offen eingeräumt. Sie haben Videos veröffentlicht, in denen sie die Schläge als Akt der Liebe darstellen. Dabei berufen sie sich auf diverse Bibelstellen. "Wer seine Rute schont, der hasst seinen Sohn; wer ihn aber lieb hat, der züchtigt ihn bald", heißt es bei Sprüche, 13,24.

Nachdem der Fernsehsender RTL über die Prügelstrafen berichtet hatte und die Schläge mit versteckter Kamera gefilmt hatte, gab es 2013 in den Anwesen der Glaubensgemeinschaft im schwäbischen Deiningen und im mittelfränkischen Wörnitz groß angelegte Razzien. Dabei wurden den Eltern etwa 40 Kinder weggenommen, sie kamen in Heimen und Pflegefamilien unter.

Die Behörden werfen den Vätern, Müttern und Lehrern Misshandlung von Schutzbefohlenen und gefährliche Körperverletzung vor. Bislang wurden zwei Mütter verurteilt, ihnen konnte man wegen der Videos konkrete Taten nachweisen.

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Schläge auf die Unterhose - viele Male

Im Fall von Klaus-Ulrich H. ist der Nachweis schwieriger. Es gibt keine Filme seiner Taten, und die Erinnerungen des Zeugen sind lückenhaft. Angeklagt ist nur ein einziger Vorfall aus dem Jahr 2006. Damals war das vermeintliche Opfer 14 Jahre alt, das Ganze ist neun Jahre her. R. berichtet, H. habe ihn mit "etwa fünf" Schlägen gezüchtigt. "Er hat eine Rute von einem Busch gepflückt", sagt R. "Dann musste ich mich nach vorne beugen, und er hat mich mehrmals auf die Unterhose geschlagen."

Der Berufskraftfahrer spricht mit brechender Stimme, er macht einen angeschlagenen Eindruck. Er berichtet auch von psychischen Beeinträchtigungen, die er aber nicht genauer benennen kann. Seine Aussage lässt auch weitere Fragen offen. So berichtet er dem Gericht, er sei "in der Mühle" geschlagen worden. Bei der Polizei hatte er aber ausgesagt, die Züchtigungen hätten "zwischen den Büschen bei der Mühle" stattgefunden. Auf Nachfrage des Staatsanwalts begründet er diese Diskrepanz so: "Es gab viele, viele Vorfälle."

Glaubwürdigkeit trotz TV-Aufwandsentschädigung?

Die zwei Verteidiger stürzen sich auf diese vermeintlichen Widersprüche. "Erinnern Sie sich konkret an einen Vorfall oder vermischen Sie eine Vielfalt von Erfahrungen?", fragt Anwalt Michael Langhans. Er versucht, die Glaubwürdigkeit des Zeugen zu erschüttern - auch und vor allem mit der Tatsache, dass er von zwei TV-Sendern für Auftritte eine Aufwandsentschädigung bekommen hat.

Klaus-Ulrich H. ist der erste Lehrer der Sekte, der sich vor Gericht verantworten muss. Das Urteil fällt frühestens im Dezember. Die Staatsanwaltschaft Augsburg hat noch eine weitere Lehrerin sowie zwei Männer angeklagt. Diese Prozesse haben noch nicht begonnen.

Die Eltern der "Zwölf Stämme" gingen ihrerseits gegen die Wegnahme ihrer Kinder vor den Familiengerichten vor. In einigen Fällen bekamen sie die Kinder zurück, einige Verfahren laufen bis heute. Inzwischen dürfen die "Zwölf Stämme" keine eigene Schule mehr betreiben. Jüngst verkauften sie ihr Anwesen in Klosterzimmern und kündigten an, nach Tschechien zu ziehen.

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Beitrags wurde in der Bildunterschrift behauptet, es handele sich bei den Teilnehmern der Gesangsdemonstration um Mitglieder der "Zwölf Stämme". Das ist nicht korrekt. Bei den abgebildeten Personen handelt es sich nach deren eigenen Angaben nur um Unterstützer der "Zwölf Stämme".

© SZ vom 17.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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