Nach Zugunglück:Was sich die Opfer von Bad Aibling jetzt wünschen

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Zwölf Menschen starben bei der Kollision zweier Züge zwischen Holzkirchen und Rosenheim. (Foto: dpa)
  • Nach dem schweren Zugunglück bei Bad Aibling erhebt die Staatsanwaltschaft nun Anklage gegen den Fahrdienstleiter.
  • Hinterbliebene und Überlebende sind längst noch nicht wieder im Alltag angekommen - der Strafprozess könnte ihnen helfen, sagt ein Opfervertreter.
  • Sie hoffen auf eine lückenlose Aufklärung.

Von Matthias Köpf, Bad Aibling

Die Frage, wer und was im Stellwerk in Bad Aibling nicht vorschriftsmäßig und plangemäß funktioniert hat, versuchen seit dem tödlichen Zugunglück vom 9. Februar die Polizei, die Staatsanwälte und mindestens zwei Gutachter zu beantworten. Ihre Arbeit mündet nun in eine Anklage gegen den damaligen Fahrtdienstleiter. Die Staatsanwaltschaft Traunstein wirft dem Mitarbeiter der Deutschen Bahn fahrlässige Tötung in zwölf Fällen und fahrlässige Körperverletzung in 89 Fällen vor.

Doch während die Ermittlungen ihren gewohnten Gang gingen, ist für viele andere Menschen seit mehr als fünf Monaten nichts mehr, wie es war.

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Laut Staatsanwaltschaft verursachte der 39-Jährige so den Zusammenstoß der beiden Züge bei Bad Aibling. Der Beschuldigte sitzt nun in Untersuchungshaft.

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Die körperlichen Verletzungen mögen bei den meisten Überlebenden ausgeheilt sein, aber die seelischen Wunden bei ihnen und bei den Hinterbliebenen der zwölf Toten sind es noch lange nicht. Auch dabei könnte der Strafprozess helfen, sagt der Opferanwalt und Nebenklage-Vertreter Friedrich Schweikert.

Der 36-jährige Jurist aus Bad Aibling vertritt mehrere Überlebende und die Hinterbliebenen von drei Toten. Einige seiner 16 Mandanten seien längst noch nicht wieder im Alltag angekommen, könnten sich kaum um ihr tägliches Leben kümmern und seien seit dem Unglück arbeitsunfähig geschrieben. Schweikert interpretiert seine Rolle als Rechtsbeistand nach eigenen Angaben umfassend, besorgt Therapeuten, nimmt Behördengänge ab und hat auch Beerdigungsfeierlichkeiten organisiert.

Seine Rolle als Vertreter der Nebenklage in dem bevorstehenden Prozess werde vor allem eine fragende sein. Denn seinen Mandanten gehe es nicht um eine harte Strafe für den Fahrdienstleiter, der die beiden Züge - offenbar abgelenkt von einem Handy-Spiel - gleichzeitig und in gegenläufigen Richtungen auf die eingleisige Strecke geschickt hat. Nötig sei vielmehr eine lückenlose Aufklärung aller Umstände dieses Versagens, um den Hinterbliebenen die Trauerarbeit möglich machen.

Wie unterschiedlich diese Trauerarbeit begonnen hat, zeigt sich an zwei seiner Mandatinnen. Eine Frau, die ihren Ehemann im Zug Richtung Rosenheim wusste, wollte Gewissheit und fuhr zur eilends eingerichteten Versorgungsstation im Feuerwehrhaus in Kolbermoor. Dort nahmen sich Helfer ihrer an, der Leichnam ihres Mannes wurde sofort nach der ersten Spurensicherung gewaschen und zugedeckt im würdigen Umfeld eines Bestattungsinstituts aufgebahrt, damit sie ihn dort sehen und identifizieren konnte. Danach kam der Leichnam zu Obduktion. "Besser geht's nicht", fasst der Anwalt Schweikert, der selbst Erfahrung als Berg- und Höhlenretter hat, seine Schilderung zusammen.

Nicht immer ist alles vorbildlich gelaufen

Doch so vorbildlich dies und das meiste andere in diesem Großeinsatz gelaufen ist - im Gewirr und in der bei aller Professionalität unvermeidlichen Überforderung der Einsatzkräfte kam es auch zu anderen Erfahrungen. Etwa jener, von der eine andere Hinterbliebene ihrem Anwalt seither immer wieder erzählen muss: Ihr Sohn saß an dem Morgen im Unglückszug Richtung Bad Aibling, und so versuchte sie über viele Stunden bis in den Nachmittag hinein immer wieder, am Telefon etwas zu erfahren.

Irgendwann erhielt sie doch die knappe Auskunft, dass ihr Sohn unter den Toten war, eine Polizeistreife holte sie etwas später ab und brachte sie in die Inspektion in Bad Aibling, wo der Sohn blutig und schmutzig in einem metallenen Transportsarg am Boden lag. Nach eiliger Identifizierung brachten die Polizisten sie nach Hause, wo sie mit ihrer Verzweiflung allein blieb, bis Schweikert ihr nach eigenen Angaben seine Kameraden vom Kriseninterventionsteam der Bergwacht schickte, die sich dafür selbst noch schnell einen Auftrag von der Einsatzleitung geholt haben.

Mit den Obduktionsberichten sind die Hinterbliebenen laut Schweikert dann ganz unterschiedlich umgegangen. Manche wollten alles über die Todesumstände erfahren, andere möglichst wenig. Eines aber wollen sie im bevorstehenden Prozess alle erfahren: warum.

© SZ vom 18.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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