München:Winter ist immer

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In vielen Landkreisen werden derzeit, wie hier in der Turnhalle in Taufkirchen, Notunterkünfte für Flüchtlinge eingerichtet. (Foto: Claus Schunk)

Steigende Flüchtlingszahlen belasten die Landratsämter. Der Notfallplan für die kalte Jahreszeit gilt auch jetzt

Von Christian Sebald, München

Der Anruf aus München kam Anfang Juli. "Die Regierung von Oberbayern hat uns angewiesen, binnen 14 Tagen unseren Notfallplan für 200 Asylbewerber zu aktivieren", sagt Gerhard Brandl vom Landratsamt Miesbach. Also haben sie in der Turnhalle der Miesbacher Berufsschule 100 Stockbetten aufgestellt, die Sanitärräume hergerichtet und bei einem Caterer Essen für die Flüchtlinge bestellt. Am Landratsamt haben sie Mitarbeiter abkommandiert für die Registrierung der Flüchtlinge. Außerdem haben sie die Ärzte am Kreiskrankenhaus Agatharied informiert, dass sie dort die ankommenden Asylbewerber medizinisch untersuchen lassen werden. Dann, an einem Sonntag, rollte der erste Bus mit Flüchtlingen an - aus Afghanistan, Eritrea, Syrien und anderen Krisenregionen der Welt. "Nach drei Tagen war die Halle belegt", sagt Brandl. "Jetzt ist sie eine Außenstelle der Erstaufnahmeeinrichtung in der Bayernkaserne in München."

So wie den Miesbachern geht es praktisch allen Landkreisen und kreisfreien Städten im Freistaat. Überall aktivieren die Bezirksregierungen derzeit die Notfallpläne, um die Erstaufnahmeeinrichtungen zu entlasten. In Niederbayern und der Oberpfalz müssen derzeit sogar alle Landkreise dafür Unterkünfte zur Verfügung stellen. Dabei waren die Notfallpläne ursprünglich nur für die Winterzeit gedacht. Angesichts der permanent steigenden Flüchtlingszahlen verpflichtete Staatskanzlei-Chef Marcel Huber (CSU) im Oktober 2014 alle 71 Landkreise und die 25 kreisfreien Städte in Bayern, Notunterkünfte für jeweils 200 bis 300 Flüchtlinge zu melden. 30 000 zusätzliche Plätze wollte die Staatsregierung so bereithalten, um zu verhindern, dass sie in der kalten Jahreszeit nicht weiß, wohin mit all den Flüchtlingen. Huber sagte damals: "Der Notfallplan ist für ein Szenario gedacht, das niemand vorhersehen kann." Die Kommunen machten bereitwillig mit, in der Hoffnung, dass sich die Zahlen im Frühjahr einigermaßen stabilisieren werden.

Das war nicht der Fall. Auch in der warmen Jahreszeit stiegen die Ankunftszahlen von Woche zu Woche an und tun es weiter. Inzwischen rechnet die Bundesregierung mit 800 000 Asylbewerbern in diesem Jahr. Und aus Hubers Winter-Notfallplan wurde ein Notfallplan für alle Jahreszeiten. Keine Woche, in der er nicht in Kraft ist. In einigen Kommunen sogar durchgängig. Wie im Landkreis Fürstenfeldbruck. Dort hat Landrat Thomas Karmasin (CSU) der Regierung ein leer stehendes Seniorenheim zur Verfügung gestellt. Seither ist es eine Dependance der Erstaufnahmeeinrichtung in der Münchner Bayernkaserne. "Wir bemühen uns wirklich um die Flüchtlinge", sagt Karmasin. "Aber unsere Mitarbeiter sind längst alle am Anschlag."

So wie bei der Bundespolizei und im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) sind sie auch an den Landratsämtern inzwischen komplett überfordert. "Denn der Aufwand für die Notfall-Unterkünfte fällt ja zusätzlich zu all der Arbeit mit den Flüchtlingen an, die uns aus den Erstaufnahmeeinrichtungen zugewiesen werden", sagt Gerhard Brandl vom Landratsamt Miesbach. "Es sind unsere Leute, die die Asylbewerber registrieren, die sie zu den ärztlichen Untersuchungen begleiten und all das andere mit ihnen erledigen, was anfällt." Der Deggendorfer Landrat und Präsident des Landkreistags, Christian Bernreiter, beklagt, dass viele Behörden-Mitarbeiter "praktisch rund um die Uhr arbeiten" und natürlich auch samstags und sonntags. "Sie leisten Übermenschliches", sagt Bernreiter, "so kann es einfach nicht weitergehen."

Wird es aber. Diese Woche hat die Regierung von Oberbayern den Notfallplan für den Landkreis Rosenheim aktiviert. Seither rüsten sie dort die Turnhalle des Gymnasiums in Bad Aibling für die Aufnahme von 199 Flüchtlingen um. Ab Mitte nächster Woche ist auch sie eine Außenstelle der Erstaufnahmeeinrichtung in der Münchner Bayernkaserne.

© SZ vom 21.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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