Auszeichnung:Die Retterin der Nacht

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Susanne Adlmaier aus Rosenheim mit ihrem Sohn Pauli. (Foto: privat)
  • 37 Menschen bekommen von Innenminister Joachim Herrmann die "Medaille für Verdienste der Inneren Sicherheit" verliehen.
  • Sie haben im Alltag Mut bewiesen, hingeschaut und sind bei Verbrechen dazwischengegangen.

Von Lisa Schnell, München/Rosenheim

Die letzten Gäste sind gegangen. Susanne Adlmaier genehmigt sich im Garten noch ein Glas Wein mit ihrem Mann. Heiß ist es in dieser Sommernacht an ihrem 44. Geburtstag, dem 20. Juli 2015, der so friedlich begann und so blutig endete. Es ist die Nacht, in der sie tausend Schutzengel hatte, sagt Adlmaier, die Nacht, in der sie zur Heldin wurde, meinen andere, unter ihnen sogar Innenminister Joachim Herrmann, der ihr dafür an diesem Montag eine Medaille verleiht.

Zurück zu dem Einfamilienhaus in Rosenheim. Drinnen schläft der vierjährige Pauli, Adlmaier nennt ihn ihren Bär. Draußen hört sie ein Poltern, dann Hilferufe. "Bleib du beim Bubi", sagt sie zu ihrem Mann und läuft auf die Straße. Aus der Dunkelheit lösen sich die Umrisse von zwei Personen: Beide barfuß, einer nur in Jeans, der andere in Unterhose. "Der hat meine Frau umgebracht", schreit der eine. Adlmaier wählt den Notruf. Da kommt ein Dritter daher, er trägt T-Shirt, Unterhose und - ein Verkehrsschild unter dem Arm. In Flipflops und Badekleidchen rennt sie den skurrilen Gestalten hinterher.

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Die drei bleiben stehen. Der eine schlägt auf den anderen ein. Dass es Messerstiche sind, weiß Adlmaier erst, als der junge Mann in Unterhosen plötzlich vor ihr steht. In seinen ausgestreckten Armen zwei Klingen. Sie will nicht sterben, will nicht, dass ihr Mann ohne Frau ist, ihr Bär ohne Mutter. In ihr macht es klick, der Urinstinkt übernimmt. Die zierliche Frau ballt ihre schlanken Finger zu Fäusten, reißt sie in die Höhe wie ein Berggorilla und brüllt den Mann mit den Messern zusammen wie einen Schuljungen. "Leg sofort die Messer hin", schreit sie. "Du wagst es nicht, ich bin Mutter!" Sie starrt ihn an, er starrt zurück. Sie sieht den Wahnsinn in seinen Augen. Langsam legt er die Messer auf den Boden. Er hält den Kopf etwas schief und sagt: "Haben Sie was zum Anziehen für mich?"

"Nichts ist so tragisch, dass nicht auch ein Hauch von Komik dabei ist", sagt Adlmaier heute. Sie lacht über die Männer in Unterhose, die durch diese Nacht liefen wie durch einen Quentin-Tarantino-Film. Und sie weint, wenn sie sich an die eigene Angst erinnert. Der Täter ist psychisch gestört. Stimmen in seinem Kopf brachten ihn dazu, seine schwangere Freundin zu erstechen. Im Wahn dachte er, Adlmaiers Nachbar sei der Täter und stach auf ihn ein. Der Mann mit dem Verkehrsschild ging dazwischen, der Nachbar überlebte.

Auf wen wäre der Täter noch losgegangen, wenn da nicht die zierliche Frau mit den geballten Fäusten gewesen wäre? Warum sie stehen geblieben ist, weiß sie auch nicht so genau. Vielleicht weil Mütter zu Löwinnen werden, wenn sie Angst um ihr Kind haben, vielleicht weil Adlmaier von ihrer eigenen Mutter gelernt hat, dass man sich nicht zum Opfer machen lässt. Für ihren Mut bekommt sie diesen Montag von Innenminister Herrmann zusammen mit 36 anderen Bürgern die "Medaille für Verdienste der Inneren Sicherheit" verliehen.

Eine Ehrung für das Einmischen

Seit 23 Jahren ehrt das Innenministerium Helden des Alltags wie Adlmaier, die hinschauen, dazwischengehen, sich einmischen. Wie die fünf, die in Kempten in einem Ladenzentrum einen Messerstecher aufhielten, oder die Autofahrerin, die in Kronach einem Busfahrer zu Hilfe eilte, den zwei betrunkene Männer attackierten. Oder Helden wie Dominik Hausruckinger.

Der 27-Jährige hatte den Abfallbeutel noch in der Hand, als er hinter dem Müllhäuschen Hilfeschreie hörte. Eine Frau lag am Boden, ein Mann über ihr. Er reißt ihr die Handtasche weg, stürmt davon. Und Hausruckinger hinterher. "Halt ihn auf", schreit er einem Fußgänger zu und der rennt glatt mit. Der Dieb schmeißt ihnen Fahrräder in den Weg. Sie weichen aus, es geht immer weiter durch halb München. Kleine Straßen, dann ein Park. Es ist kalt, Januar, der Dieb kann nicht mehr, wird langsamer. Hausruckinger ruft die Polizei. Dann geht es wieder los mit der Lauferei. Hausruckinger schnauft, seine Augen suchen die Straßenschilder, er keucht der Polizei ihre Position ins Telefon, bis die den Täter endlich schnappt.

Der kommt uns nicht aus. Der gibt die Handtasche zurück. Das waren so die Gedanken, die Hausruckinger durch den Kopf gingen während der Verfolgungsjagd. War es die Wut, die ihn antrieb? "Wut?" Hausruckinger klingt verwundert. "Nein, ich wollte nur helfen", sagt er. Es war wie ein Reflex, er lief einfach los, ohne nachzudenken. Erst als ihm die Fahrräder gegen die Beine zu donnern drohten, kam ihm zum ersten Mal, dass ihm der Handtaschendieb vielleicht auch gefährlich werden könnte.

Die Medaille als Anerkennung

Manche rennen einem Täter hinterher wie er, andere stellen sich ihm in den Weg wie Susanne Adlmaier in Rosenheim. "Jeder hat ein anderes Vorleben, andere Gefühle und Ängste", sagt sie. Menschen, die vorsichtiger sind als sie, könne man deshalb keinen Vorwurf machen. Aber man kann den Einsatz von Alltagshelden wie Adlmaier und Hausruckinger ehren. Man muss es vielleicht sogar. Denn auf heldenhaftes Engagement folgen statt eines großen Dankeschöns oft stundenlange Vernehmungen bei der Polizei. So war es bei Hausruckinger. "Da ist die Medaille eine schöne Anerkennung", sagt er.

Bei Adlmaier war es der Prozess, der ihr zusetzte. Im Zeugenstand durchlebte sie ihren am Ende so blutigen Geburtstag noch einmal. "Wie bei einem Film, den man nicht abstellen kann." Sie ist auch unsicherer geworden, ein bisschen ängstlicher sogar. Dass sie jetzt von Innenminister Herrmann für ihre Courage geehrt wird, ist für sie wie "ein kleines Streicheln der Seele". Auch wenn viele es nicht zugeben wollten, so ein "Schulterklopfen" brauche das menschliche Ego, sagt Adlmaier. Für die Rosenheimerin ist die Auszeichnung "eine Ermutigung, so zu bleiben, wie man ist", und auch beim nächsten Mal "zu helfen, wo man kann".

© SZ vom 12.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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