Mangel an Bädern in Bayern:Wenn der Schwimmunterricht zur Theorie wird

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Das Kultusministerium schreibt in den Lehrplänen regelmäßigen Schwimmunterricht vor. Doch die Praxis sieht vielerorts oft anders aus. (Foto: Salger)

Mehr als ein Drittel aller Kinder verlässt die Grundschule als Nichtschwimmer, Tendenz steigend. Das liegt auch daran, dass es in Bayern immer weniger Schwimmbäder gibt. Einige Schulen müssen schon auf Trockenübungen zurückgreifen.

Von Lukas Meyer-Blankenburg

Bayern ist das Land der Seen und Flüsse, nur nicht der Schwimmbäder. Weil diese geschlossen oder saniert werden müssen, wissen viele Schulen im Freistaat nicht mehr, wo sie ihren Schülern das Schwimmen beibringen sollen.

Das hat drastische Folgen: Mehr als ein Drittel aller Zehnjährigen kann nicht schwimmen. Immer mehr Kinder verlassen die Grundschule als Nichtschwimmer. Die Deutsche Lebensrettungsgesellschaft (DLRG) findet die Zahlen alarmierend. "Der Trend wird immer dramatischer", sagt Thomas Meier, Geschäftsführer des bayerischen DLRG-Jugendrings. In vielen Grundschulen des Freistaats heißt es, man habe noch nie so viele Kinder gehabt, die überhaupt nicht schwimmen könnten.

Dabei wären gerade Grundschüler im besten Alter, um schwimmen zu lernen, betont Meier. Das Kultusministerium schreibt in den Lehrplänen regelmäßigen Schwimmunterricht vor. Doch an vielen Schulen im Freistaat findet schon lange kein Schwimmunterricht mehr statt, weil die Bäder fehlen. Seit 1996 wurden rund 150 Schwimmbäder im Land geschlossen, schätzt der bayerische Städtetag. Offizielle Zahlen gibt es nicht.

Das kommunale Bädersterben hat mehrere Gründe: Viele Schwimmbäder wurden in den 60er und 70er Jahren mit finanziellem Zuschuss des Freistaats gebaut. Aber seit Mitte der 90er Jahre sind diese Bauten zumeist stark sanierungsbedürftig. Den Kommunen fehlt für die notwendigen Reparaturen das Geld. Hinzu kommen gestiegene Energiekosten und die Tatsache, dass klassische Schwimmbäder sich vielerorts wirtschaftlich nicht mehr tragen. Also werden diese Bäder durch Spaßbäder mit Wellenbecken, Rutschen und Wasserkreisel ersetzt. Die Badelandschaften locken wesentlich mehr Gäste an, haben jedoch den Nachteil, dass man in ihnen keinen Schwimmunterricht geben kann.

Beim Kultusministerium gesteht man zwar ein, dass es "aufgrund fehlender Bäder zu Engpässen im Schwimmunterricht" kommen könne, beteuert aber: "Wir gehen davon aus, dass jeder Grundschüler lehrplankonform Schwimmunterricht erhält."

"Lehrplankonform" aber ist ein dehnbarer Begriff. In der Marktgemeinde Murnau im Landkreis Garmisch-Partenkirchen beispielsweise erhält tatsächlich jeder Grundschüler Schwimmunterricht - allerdings im Trockenen. Murnau hat weder ein öffentliches Schwimmbad noch sind für die örtlichen Schulen welche in erreichbarer Entfernung. In den nahe gelegenen Staffelsee darf Angelika Bader, Rektorin der Emanuel-von-Seidl-Grundschule, mit ihren Schülern auch nicht, "das ist aus Sicherheitsgründen verboten". "Wenn kein Schwimmbad da ist, können wir auch keinen Schwimmunterricht geben", stellt Bader fest. Wie die anderen Schulen des Ortes muss sie daher schon lange ohne echte Schwimmstunden auskommen.

Wenigstens einmal im Jahr versuchte die Rektorin deshalb einen Schwimmtag zu organisieren, der war aber teuer, zeitaufwendig, und es konnten nicht alle Schüler mit. Darüber haben sich Eltern beschwert. Die Folge daraus ist, dass es in diesem Jahr gar keinen Schwimmausflug mehr gibt. Die Lehrer erklären den Schülern die Baderegeln nun stattdessen im trockenen Klassenzimmer, lehrplankonform.

Murnau ist kein Einzelfall. Mit Aktionen wie "Sichere Schwimmer" will die DLRG nun vom kommenden Schuljahr an gezielt Schwimmkurse in den Grundschulen anbieten. Nur dort erreiche man alle Kinder, erklärt Meier. Für die Kampagne ist man auf private Unterstützer angewiesen, denn "das Geld wird knapp".

Und doch gibt es noch Schulen, die Unterstützung durch derartige Aktionen nicht nötig haben. Die Caspar-Löner-Grund- und Mittelschule im mittelfränkischen Markt Erlbach zum Beispiel. Hier darf man sich Ende des Jahres über die Eröffnung eines neuen Lehrschwimmbads freuen, zehn Meter vom Schuleingang entfernt. Wenn die Rektorin Marion Schurek aus dem Fenster blickt, kann sie den Neubau sehen: "Das ist natürlich luxuriös für uns." Das alte Bad war abgerissen worden. In der Gemeinde genössen die Schule, aber auch der Sport einen besonderen Stellenwert, erklärt Schurek. Man habe sich daher gemeinsam für ein neues Schwimmbad eingesetzt. Mit Erfolg.

Bis dieses allerdings öffnet, müssen die Schüler für den Schwimmunterricht noch ins Schwimmbad des benachbarten Wilhermsdorf, der "Perle im Zenngrund", gefahren werden. Alltag für viele Schulen in Bayern, eine Übergangslösung für Schureks Schüler und doch klagt die Rektorin: "Das ist eine große Belastung und ein enormer zeitlicher Aufwand für uns." Organisation, Hinfahrt, Umkleiden, Rückfahrt - "da bleibt nicht viel übrig."

Von den angesetzten eineinhalb Stunden Unterricht seien die Grundschüler "maximal knappe 40 Minuten" im Wasser. Auf den Schwimmunterricht will Schurek dennoch nicht verzichten: "Wir sehen, dass gerade von den jüngeren Kindern viele einfach nicht schwimmen können. Wir haben einen richtigen Schwund an Schwimmern." Den wird das neue Bad in Markt Erlbach nicht haben. Schulen aus der Umgebung fragten bereits an, sagt Schurek, weil sie hoffen, künftig auch dort schwimmen zu dürfen.

Wie wichtig es ist, schwimmen zu lernen, weiß DLRG-Chef Meier: "Kinder ertrinken lautlos. Sie sinken einfach auf den Grund, wie ein Stein." Doch Ertrinken sei kein "unabwendbares Schicksal". Die meisten Badeunfälle könnten verhindert werden. "Die Schule wird überschätzt, was die Schwimmausbildung betrifft. Früher gab es einen gesellschaftlichen Konsens: Ich bring meinem Kind das Schwimmen bei oder ich stecke es in den Schwimmverein." Heute sei das Schwimmen eher ein Sport wie jeder andere, den man lernen könne oder eben nicht. "Diese Vorstellung unterschätzt die Gefahr im Wasser", warnt Meier. Von der Regentonne bis zum See, ertrinken könnten Kinder überall. "Die Eltern haben Aufsichtspflicht", mahnt Meier, "Ertrinken dauert keine Minute."

Auch in diesem Sommer hat der Badespaß für mehrere Kinder in Bayern tragisch geendet. Vergangenen Sonntag ertrank ein Sechsjähriger im Frensdorfer Badesee. Zuvor starb im Juni ein Siebenjähriger im Waldschwimmbad in Wörth an der Donau. Er spielte mit seiner Schwester im Wasser. Ein Nichtschwimmer, ohne Aufsicht.

© SZ vom 27.07.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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