Landgericht Bayreuth:Mamdohs zwei Gesichter

Lesezeit: 3 min

Ein 19-jähriger Syrer muss sich wegen der Planung eines Terroranschlags verantworten. Er lebte offensichtlich ein Doppelleben

Von Olaf Przybilla, Bayreuth

Wenn es zutrifft, was die Staatsanwaltschaft dem 19-jährigen Mamdoh A. vorwirft, dann hat dieser einen Terroranschlag in Deutschland oder Syrien geplant. Und wenn es zutrifft, was seine 17-jährige Freundin aus Oberfranken schildert, dann hat sie nicht nur von solch mutmaßlichen Plänen nichts gewusst. Sie hat überhaupt nicht mitbekommen, dass A. auch nur im Ansatz ein religiöser Fanatiker sein könnte. Und sie war glücklich mit ihrem Partner. Auch weil dieser, so sagt sie als Zeugin vor der Jugendkammer des Bayreuther Landgerichts aus, sich so fürsorglich um sie gekümmert habe: "Meine Probleme hatten Vorrang", sagt sie.

Und seine Probleme? Immerhin hat A. als 16-Jähriger seine Eltern und sechs Geschwister im zerbombten Raqqa zurückgelassen. Immerhin hat er dabei zusehen müssen, wie die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) Gefangene mit Sack überm Kopf in seine Heimatstadt gefahren und dort öffentlich geköpft hat. Und schließlich hat er große Teile des Weges von seiner Heimat aus zu Fuß zurücklegen müssen und dabei furchtbar Hunger gelitten. Seine Probleme aber? Darüber, sagt die 17-Jährige, habe er fast nie gesprochen.

Die Fachoberschülerin hat A. auf der Mittelschule im oberfränkischen Pegnitz kennengelernt. Anfangs haben sie wenig gesprochen miteinander, bald tauschte man sich über Facebook aus, am Heiligen Abend 2016 wurden die beiden ein Paar. Die Schülerin feierte Weihnachten zuhause bei der Familie. Ein Paar wurde man trotzdem an dem Abend, über Whatsapp.

A. lebte zunächst in einem Heim für minderjährige Flüchtlinge, inzwischen aber hatte er eine eigene Wohnung. Dort verbrachten die beiden ihre Wochenenden. Natürlich, sagt die Schülerin, habe sie ihrem Freund Fragen gestellt über Syrien. Er aber habe ihr geantwortet, dass er darüber nicht so viel sprechen will. Dass er noch nicht so weit sei, darüber zu reden. In diesen Momenten habe es mitunter Streit gegeben. Weil sie eben schon habe wissen wollen, was ihren Freund bedrückt.

Einmal sprach er dann doch. Das war, als im Nachbarhaus seiner Eltern in Raqqa eine Bombe detoniert ist. Da habe sich ihr Freund große Sorgen gemacht, sagt sie. Und habe ihr erzählt, wie sehr er seine Mutter vermisse; und gelegentlich mit dem Gedanken spiele, zurückzukehren zu seiner Familie nach Syrien. Sie habe darauf geantwortet: Wenn er glaube, das machen müsse, dann müsse er das eben machen. Kurz darauf wurde Mamdoh A. in seiner Wohnung festgenommen. Terrorverdacht.

Nach ihrer Aussage macht die Zeugin das, was Zeugen in Verfahren tun dürfen: Sie setzt sich in den Zuschauerraum. Und muss dort mitverfolgen, was die Ermittler auf Computer und Handy ihres Freundes sichergestellt haben. Eine Anleitung zum Bombenbau, von der er einen Screenshot gemacht hat. Ein selbst gedrehter Kurzfilm, auf dem A. zu sehen ist, wie er mit Dolch in der Hand gegen "die Agenten der Kreuzzügler" wettert und dabei lächelt - womöglich eine Art Bekennervideo. Ein Film, den A. einem Freund geschickt hat, und der über Minuten zeigt, wie Gefangene des IS sadistisch hingerichtet werden. Zuschauer im Saal sehen das Video nicht. Aber sie hören die Sprechgesänge über verstümmelte Gesichter von "Ungläubigen".

Man traut sich kaum, die 17-Jährige dabei im Zuschauerraum zu beobachten. Sie hat zuvor berichtet, dass sie A. als sehr einfühlsamen Menschen erlebte. Sie hat geschildert, warum ihre Eltern zunächst skeptisch waren, warum sie das aber nicht blieben, nachdem sie ihren Freund persönlich kennengelernt hatten. Die Schülerin wird gefragt, ob ihr Freund sich irgendwie verändert habe in der gemeinsamen Zeit. Ja, einen Vollbart hatte er irgendwann. Den fand sie schön. Symbole oder Hinweise auf religiösen Fanatismus? Gar nichts.

Womöglich eine mäßige Menschenkenntnis? Es sagt noch eine zweite Frau aus vor den Blicken der 17-Jährigen. Sie ist 47 Jahre alt; sie reinigt unter anderem in Flüchtlingsheimen; über Dritte hat sie A. kennengelernt. Wie eng ihre Beziehung zu ihm war, wird nicht ganz klar, dass sie aber enger war, das schon. Irgendwelche Hinweise auf Fanatismus? Null, sagt sie.

Das alles war am zweiten Verhandlungstag, am dritten sagt ein Psychologe aus der Justizvollzugsanstalt Stadelheim aus. A. wurde dort an einem heißen Freitagnachmittag untergebracht, daran erinnert er sich noch genau. Der Psychologe weiß noch, dass er von Ermittlern mitgeteilt bekam, wie mutmaßlich "brandgefährlich" der kurz zuvor Festgenommene sei, anhand des sichergestellten Materials. Und er weiß noch, wie sehr ihn das als Psychologen unter Stress gesetzt hat. Immerhin musste er auf die Schnelle eine Prognose darüber abgeben, ob der junge Mann suizidgefährdet ist. Was dem Zeugen seither nicht mehr aus dem Kopf gehen will: "Diese Lücke zwischen dem, was mir über den Festgenommen gesagt worden ist, und dem, was ich vor mir hatte."

Dieser Terrorverdächtige sei ihm vorgekommen, wie einer, der sich selbst im falschen Film wähnt, labil, entwicklungsverzögert. Ein junger Mann mit ausgesuchten Manieren, einem offenbar wohlhabenden Elternhaus und starkem Willen, Deutsch richtig gut zu lernen. Aber auch einer, der vor allem seine Mutter vermisst, und sagt, er wolle nichts mehr, als dass seine Mama stolz auf ihn sei. Der aber beim ersten Versuch in Deutschland durch den Quali gefallen ist. Natürlich, sagt der Psychologe, habe er ihn auf diese unfassbaren Videos angesprochen, die da in seinem Zimmer gefunden worden sind. "Und was hat er geantwortet", fragt Oberstaatsanwalt Andreas Franck. "Er gab unterschiedliche Erklärungen", sagt der Psychologe, "die aber nicht richtige Erklärungen sind."

© SZ vom 10.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: