Landespolitik:Raus und dann nach links

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Die Landtagsabgeordnete Claudia Stamm gründet ihre eigene Partei und verlässt die Grünen. Zu "kompatibel" sind ihr die inzwischen. Damit gelingt der streitbaren Politikerin ein letzter Paukenschlag, sie hinterlässt eine verwirrte Fraktion. Die fordert den Mandatsverzicht

Von Lisa Schnell, München

Lange habe sie mit sich gerungen, aber es ging einfach nicht mehr. Claudia Stamm, 46, verlässt die Grünen und will zusammen mit vier Mitstreitern ihre eigene Partei gründen. Zehn Jahre waren die Grünen ihre politische Heimat, seit acht Jahren sitzt Stamm für sie im Landtag. Zu gehen, sei auch schmerzhaft, sagt sie. "Aber es ist nicht mehr meine Partei."

Bei den Grünen war Stamm, die Tochter von Landtagspräsidentin Barbara Stamm (CSU), schon immer die Unbequeme, die sich nicht selten gegen den Kurs der Partei stellte. Sie kämpfe für die Belange der Basis und die ursprünglichen Ideen der Grünen, so würde es wohl Stamm nennen. Andere attestieren ihr einen notorischen Drang zur Aufmerksamkeit auf Kosten der Partei. Und einen ungesunden Ehrgeiz. Es ist kein Geheimnis, dass Stamm sich zu Höherem berufen fühlte als zur haushaltspolitischen Sprecherin, obwohl sie als solche durchaus anerkannt war. Auch in anderen Parteien. Doch Stamm hätte sich gerne als Fraktionsvorsitzende gesehen. Von dem Ziel ist sie weiter entfernt denn je, seit die Fraktion die erst 31-jährige Katharina Schulze in dieses Amt wählte. Stamm dagegen stand nicht ernsthaft zur Debatte. Wer so hohe Ansprüche habe, der müsse irgendwann die Konsequenzen ziehen, sagt ein Fraktionsmitglied.

Das hat Stamm nun getan und mit ihr zwei weitere Grüne: Werner Gaßner und der ehemalige Münchner Grünen-Chef Nikolaus Hoenning. Am Mittwochvormittag haben sie Partei und Fraktion über ihre Pläne informiert, in der Zukunft gegen sie anzutreten. Warum? Die Liste der Ärgernisse ist lang. Etwa die Sache mit den sicheren Herkunftsstaaten. Eigentlich lehnten die Grünen ein solches Konstrukt per se ab und stimmten dann 2015 doch dafür, Albanien, Kosovo und Montenegro zu sicheren Herkunftsländern zu erklären. Oder der Vorschlag der Grünen, die Bundeswehr nach Syrien zu schicken im Kampf gegen den "Islamischen Staat". "Wahnsinn" sei das für eine Friedenspartei, sagt Stamm. Das Fass zum Überlaufen gebracht habe für sie aber die jüngste Fraktionssitzung, als wieder grüne Positionen aufgeweicht werden sollten. Die Aussagen der Grünen würden immer schwammiger, nur um "smart" und "kompatibel" zu sein, sagt Stamm.

Es brauche eine Partei mit klaren Positionen. Ihre Partei. "Die Partei ohne Namen", sagt ihr Mitstreiter, der Münchner Universitätsprofessor und Soziologe Stephan Lessenich. "Fällt ihnen ein Name ein?", fragt Stamm. Auch die Parteifarbe fehlt noch, vielleicht ja moosgrün wie sein Hemd, meint Lessenich. An guter Laune scheint es ihnen nicht zu mangeln. Auch nicht an Ideen, sagt Stamm. "Demokratie, Basisnähe und Menschenrechte" - diese Grundwerte stünden über allem und seien nur mit sozialer Gerechtigkeit zu erreichen. Dazu gehörten gleiche Bildungschancen für alle und eine Wohnungsmarktpolitik, die nicht die Schwächeren gegeneinander ausspiele, sagt Mitbegründerin Sabine Richly. "Zukunftsaufgabe Nummer eins" sei außerdem die ökologische Transformation, sagt Lessenich. Die Politik im Freistaat sei alles andere als nachhaltig und das mit globalen Folgen. Wie im Freistaat produziert werde, habe Auswirkungen auf die Fluchtursachen. Das Motto müsse sein: global denken, lokal handeln.

Auch auf der gesellschaftlichen Vielfalt soll ein Schwerpunkt liegen. Es gehe nicht um Gleichmacherei, sondern um den Abbau von Ungleichheiten etwa bei der sexuellen Identität, sagt Schwulenpolitiker Gaßner. Hier brauche es eine "Politik, die Mitgefühl statt Angst vermittelt". Im Bereich Asyl habe das in Bayern gut funktioniert, sagt Stamm. Sie denke da an die "bayerische Herzlichkeit", mit der unzählige Ehrenamtliche die Flüchtlinge empfangen hätten. Die Politik aber höhle das Grundrecht auf Asyl massiv aus. "Hier wollen wir ganz klar dagegenhalten", sagt Stamm. Die genauen Inhalte des Parteiprogramms sollen bei Regionalversammlungen erarbeitet werden. Die erste findet am 7. Mai in Nürnberg statt, weitere in Augsburg, Regensburg und München sollen folgen. Nach der Sommerpause sollen die Inhalte feststehen, genau wie der Name.

Unterstützung erhofft sich Stamm nicht nur von unzufriedenen Grünen-Wählern. Die CSU sei für viele Konservative wegen ihrer Asylpolitik nicht mehr wählbar, sagt Stamm. Die Unzufriedenheit sei nicht mehr in links und rechts einzuordnen, sie gehe quer durch die Gesellschaft. Vor allem viele Ehrenamtliche seien enttäuscht und wüssten nicht mehr, wen sie wählen könnten. Ihnen soll ihre neue Partei eine Stimme geben, sagt Gaßner.

Antreten wollen die bislang Namenlosen vorerst nur in Bayern. Sie hoffen auf fünf Prozent bei der Landtagswahl 2018. Die lange etablierten Grünen kamen 2013 auf 8,6 Prozent. Das ist gewagt, gerade für Stamm. Zumal sie nach dann neuneinhalb Jahren im Parlament keinen Anspruch auf die Altersvorsorge der Abgeordneten hat. Und eine Wiederwahl ist mehr als fraglich. Sie gehe das Risiko ein, sagt Stamm. Wer sage, das sei ein Schuss in den Ofen, der habe Recht, sagt Lessenich. "Wir wollen in den Ofen schießen". Denn dann gebe es erst mal einen richtigen Knall.

Den gibt es am Mittwoch schon im Landtag. Die sichtlich geschockte Fraktionsvorsitzende der Grünen hat sich ein paar Sätze zurechtgelegt, von denen sie nicht abweicht. "In der Fraktion hat sich dieser Schritt nicht angedeutet", sagt Katharina Schulze. Auch nicht, dass Stamm, die ewige Rebellin, unzufrieden war? "In der Fraktion hat sich dieser Schritt nicht angedeutet", wiederholt sie. Dass Stamm zwar aus der Fraktion austreten, aber ihr Mandat behalten will, heißt Schulze nicht gut. Die Wähler hätten 18 grüne Abgeordnete gewählt. Da Stamm keine grüne Politik mehr vertrete, "halten wir es für geboten, dass sie auch ihr Mandat zurückgibt", sagt Schulze. Den Vorwurf der politischen Beliebigkeit weist sie zurück. "Unsere politischen Linien sind klar", sagt sie. Die jüngste Fraktionssitzung, die Stamm letztendlich zu ihrem Austritt veranlasst haben soll, sei ganz normal abgelaufen. Teilnehmer berichten vom Streit um die zweite Stammstrecke in München. Eigentlich lehnen die Grünen den Bau ab. Nachdem nun aber der Spatenstich bevorstehe, reiche ein reines "Dagegen" nicht mehr, soll diskutiert worden sein. "Wir diskutieren viel und gern", sagt Schulze. Nur nicht in diesem Moment offenbar. Ob sie ihre Kritikerin Stamm denn vermissen werde? "Wir bedauern den Austritt von Frau Stamm", wiederholt Schulze stoisch.

© SZ vom 23.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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