Gutachten:SPD: Übertrittsverfahren ist verfassungswidrig

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Das Übertrittsverfahren von der Grundschule in weiterführende Schulen verstößt gegen die bayerische Verfassung und das Grundgesetz. Zu diesem Urteil kommt Wolfgang Cremer, der im Auftrag der SPD-Fraktion ein Rechtsgutachten erstellte und am Dienstag im Landtag präsentierte. Wie der wissenschaftliche Direktor des Instituts für Bildungsforschung und Bildungsrecht der Universität Bochum schon im April vermutet hatte, widerspricht die auf Noten basierende verbindliche Übertrittsempfehlung im Freistaat den Rechten der Eltern im Grundgesetz und dem Diskriminierungsverbot.

Demnach dürfen Eltern entscheiden, welche Schule ihr Kind besucht. Nur Bayern, Sachsen und Thüringen haben den Elternwillen nicht freigegeben und knüpfen den Übertritt an Noten. Derzeit dürfen im Freistaat nur Mädchen und Buben mit einem Schnitt bis 2,33 in Mathe, Deutsch sowie Heimat- und Sachkunde an Gymnasien und mit 2,66 an Realschulen wechseln. Aber die Bildungsforschung habe erwiesen, dass Noten nie objektiv und daher ungeeignet sind, um Aussagen über die Eignung für weiterführende Schulen zu treffen, sagte Cremer. Außerdem würden Schüler aus bildungsfernen Milieus bei gleicher Leistung oft schlechter benotet. Als Beleg sieht er den Probeunterricht: Von 2012 bis 2014 kam die Hälfte der Grundschüler nach drei Schnuppertagen doch in die erwünschte Schule, obwohl sie den Schnitt verfehlt hatten. Das Bundesverfassungsgericht hatte die Gesetzgeber 1972 verpflichtet, "auf Grundlage der Ergebnisse der Bildungsforschung bildungspolitische Entscheidungen zu treffen". Ignoriert der Gesetzgeber, also die Staatsregierung, diese Pflicht, ist das verfassungswidrig.

Die SPD sieht sich bestätigt und fordert freien Elternwillen, eine verbindliche Beratung und längeres gemeinsames Lernen. Die Staatsregierung müsse reagieren. Dass sich bald etwas ändert, glaubt Bildungsexperte Martin Güll nicht, "aber die Sortierung der Kinder ist Humbug, wir wollen, dass die Übertrittsempfehlung wegkommt". Die Popularklage vor dem Verfassungsgerichtshof behält sich die SPD vor. Das Kultusministerium bleibt gelassen: Der Verfassungsgerichtshof hatte 2014 das Übertrittsverfahren abgenickt. Allerdings hatten die Richter damals keinen der Punkte geprüft, die Cremer als Beleg für die Rechtswidrigkeit angibt.

© SZ vom 07.09.2016 / angu - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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