Gesundheit:Leiden wegen der Fehler anderer

Gesundheitsministerin will mit einem neuen Fonds Patienten finanziell unterstützen, die Opfer von Ärzte-Pfusch wurden

Von Dietrich Mittler

Marietta Geiserts Arzt ist nicht mehr auffindbar. "Er hat sich ins Ausland abgesetzt", wie sie sagt. Die Rentnerin sieht keine Chance mehr, ihn zur Rechenschaft zu ziehen. Der Arzt hatte ihr ein künstliches Hüftgelenk mit Zement verankert. Eine in ihrem Fall offenbar äußerst unglückliche Lösung. Als die Rentnerin nach der Operation über starke Schmerzen klagte, meinte der Arzt nur, dagegen können er jetzt nichts machen. Marietta Geisert (Name geändert) ging also zu einen anderen Hüftspezialisten. Die Prothese musste herausgeschlagen und neu eingesetzt werden. Dabei wurden Muskeln und Nerven beschädigt. "Mein ganzer Lebensabend ist seitdem verpfuscht", schrieb die damals 75-Jährige an Hermann Imhof, den Patienten- und Pflegebeauftragten der Staatsregierung.

Imhof hat seit seinem Amtsantritt im Februar 2014 bereits Hunderte solcher Briefe erhalten, in denen Patienten nach missglückten medizinischen Behandlungen ihr Leid schildern. Ob der CSU-Abgeordnete nun Marietta Geisert im konkreten Fall helfen kann, ist fraglich. Der mögliche Verursacher ist weg, der Fall wird sich nicht mehr aufklären lassen. Imhof und seine Mitstreiter wollen Menschen wie Marietta Geisert dennoch helfen, und dabei sind sie nun einen Schritt weitergekommen. Am Dienstag beschloss der Ministerrat in München, Bayern müsse im Bundesrat den Anstoß zu einem Fonds geben - für jene Patienten, bei denen Behandlungsfehler wahrscheinlich, aber nicht nachweisbar sind.

Außerdem soll der Fonds auch Menschen helfen, bei denen zwar eine Fehlbehandlung festgestellt werden kann, nicht aber, dass der beklagte Schaden auch auf eben diesen Fehler zurückzuführen ist. In beiden Fällen gehen die Betroffenen bislang leer aus, und dabei handelt es sich keineswegs um Einzelfälle. Dem Bundesgesundheitsministerium liegen Zahlen des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen vor, nach welchen 2015 deutschlandweit rund 14 800 Vorwürfe über Behandlungsfehler vorlagen. Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen hätten aber nur in gut 2100 Fällen tatsächlich einen Behandlungsfehler nachweisen können.

Mit dem Ministerratsbeschluss ist nun eine wichtige Etappe genommen in jenem Entscheidungsprozess hin zu einem Fonds, der 2015 im Landtag seinen Anfang nahm. Gemeinsam mit elf Parteifreunden, unter ihnen Bernhard Seidenath, Thomas Goppel und Kerstin Schreyer, hatte Imhof dort einen entsprechenden Antrag eingebracht. Er wurde einstimmig angenommen, obwohl die Opposition Zweifel daran hat, dass der Bund bei der Finanzierung des Fonds - er soll 500 Millionen Euro umfassen - mitzieht. "Auch andere Bundesländer wissen um die Dringlichkeit dieses Anliegens", sagt Imhof selbstbewusst.

Gesundheitsministerin Melanie Huml (CSU) jedenfalls will auch um den geplanten Patientenentschädigungs- und Härtefallfonds kämpfen. "Wir wollen Menschen helfen, die in bestimmten Fällen Schadenersatzansprüche nicht geltend machen konnten", sagt sie. Die betroffenen Patientinnen und Patienten müssten künftig unbürokratischer als bisher finanzielle Unterstützung bekommen. "Wir schließen damit eine Gerechtigkeitslücke", ist sich Imhof sicher. Der neue Fonds soll bereits dann greifen, wenn lediglich die "überwiegende Wahrscheinlichkeit" vorliege, dass eine fehlerhafte Operation Schädigungen herbeigeführt hat.

Derzeit sieht die Realität anders aus: Selbst wenn ärztliche Fehler naheliegen, müssen Patienten häufig schwerwiegende gesundheitliche und finanzielle Folgen einer Behandlung selbst schultern. Ministerin Huml verspricht sich indes durch den Fonds mehr Rückendeckung für ohnehin stark belastete Menschen. "Künftig sollen Geschädigte beispielsweise einen finanziellen Ausgleich aus dem Härtefonds erhalten, wenn sie ihre Erwerbstätigkeit verlieren und jahrelange gerichtliche Auseinandersetzungen durchstehen müssen", sagt sie. Den Fonds stellt sich Huml als eine Stiftung des öffentlichen Rechts vor, die direkt dem Bund untersteht.

In Verbindung mit dem Entschädigungs- und Härtefallfonds will Imhof zudem auch noch ein neuartiges Fehlerregister etabliert wissen. Darin sollen für eine wissenschaftliche Aufbereitung selbst jene Fehlbehandlungen dokumentiert werden, die bei Patienten keine Beeinträchtigungen hinterlassen haben. "Es ist wichtig, auch diese Fehler zu erfassen, um bei den Ärzten ein Problembewusstsein zu schaffen und um zu erkennen, wo die Fehlerquellen liegen", sagt Imhof.

Krankenhäuser sind bereits jetzt zum Führen interner Fehlermeldesysteme verpflichtet. Darüber hinaus gibt es auch öffentlich zugängliche Register wie das CIRS (Critical Incident Reporting System), bei dem freiwillig und anonymisiert Fälle geschildert werden können, in denen die Behandlung beinahe schiefgegangen wäre. Imhof schwebt indes für das geplante Fehlerregister eine Art von Berichtspflicht der Ärzte vor. Patientin Marietta Geisert interessieren solche Details eher wenig. Sie erhofft sich nur eins, wie sie Imhof geschrieben hat: "Hilfe".

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