Gefährliche Bakterien:Großmetzgerei muss Hunderte Tonnen Wurst vernichten

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Produkte der Firma Sieber aus Geretsried sind möglicherweise mit Listerien verunreinigt. Diese Bakterien können zu Fieber und Kopfschmerzen führen. (Foto: Hartmut Pöstges)
  • Nach dem Fund von gesundheitsgefährdenden Bakterien hat die oberbayerische Fleischwarenfirma Sieber eine Rückrufaktion für ihre gesamte Ware gestartet.
  • Listerien können alten Menschen, Schwangeren und Säuglingen gefährlich werden.
  • Bereits im März war eine Probe "Original Bayerisches Wacholderwammerl" positiv getestet worden, doch noch immer ist offen, wie die Listerien in Wurst und Schinken gelangen konnten.

Von David Costanzo

Werfen Sie unsere Wurst bloß weg! Solche Sätze hört man selten von Metzgern, denen Familienrezepte und Geheimzutaten über alles gehen. Und doch muss ihn der Großbetrieb Sieber in Geretsried aussprechen, es bleibt ihm gar nichts anderes übrig. "Wir bitten die Verbraucher, die Produkte zu vernichten", lautet der Satz im Original. Am frühen Montagmorgen hat ihn das Unternehmen veröffentlicht und mit ihm eine Liste von mehr als 200 Waren. "Leberkäs fein in Scheiben 100g", "Debrecziner feurig-scharf 300g", "Gelbwurst mit Petersilie in Scheiben 100g" stehen auf der unappetitlichen Speisekarte - selbst vegetarischer Paprika-Aufschnitt, den das Unternehmen tatsächlich auch noch herstellt. Ab in den Müll.

Es geht um etliche Hundert Tonnen Fleisch, wie die Großmetzgerei bestätigt. In mehreren Proben wurden Listerien gefunden - Bakterien, die Alten, Schwangeren und Säuglingen gefährlich werden können. Die Gesundheitsbehörden vermuten einen Zusammenhang mit einem Listeriose-Ausbruch in Süddeutschland und prüfen Verbindungen zu 80 Infektionen in Bayern, Baden-Württemberg, Hessen und Rheinland-Pfalz. Darum warnt das bayerische Verbraucherschutzministerium vor den Sieber-Produkten, darum hat das zuständige Landratsamt Bad Tölz-Wolfratshausen die größte Lebensmittelrückrufaktion seit Langem veranlasst.

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Die Epidemie-Ermittler haben in den vergangenen Wochen Indiz um Indiz zu dem Fall zusammengetragen - von der Befragung früherer Patienten über die genetische Analyse der Listerien bis hin zu einer Fleisch-Razzia mit Warenproben in ganz Süddeutschland. Doch noch immer bleiben Fragen offen.

Eine lautet: Wie sind die Listerien in Wurst und Schinken gelangt? Bereits im März war eine Probe "Original Bayerisches Wacholderwammerl" positiv getestet worden. Die Lebensmittelkontrolleure des Landratsamts Nürnberger Land hatten es aus einer Kühltheke gezogen. Sie fanden statt der erlaubten 100 Kolonien bildenden Einheiten, wie die Maßeinheit bei Mikroorganismen genannt wird, ganze 190 000. So steht es in der Antwort des Verbraucherschutzministeriums auf eine Anfrage des SPD-Verbraucherschutzexperten Florian von Brunn.

Die interessanteste Antwort folgt auf Frage 4a.) nach dem Weg des Erregers ins fertige Wammerl, bei dem es sich bekanntlich um gegarten Schweinebauch mit Schwarte handelt. Die Antwort des Ministeriums: "Da Listerien beim Garprozess abgetötet werden, weisen Listerien auf dem verzehrfertigen Produkt darauf hin, dass eine Kontamination nach dem Garen, also zum Beispiel beim Aufschneiden oder Verpacken stattgefunden hat." Allerdings hätten die Experten bei einer Prüfung am 1. April keine offensichtlichen Hygienemängel gefunden.

Verzeichnet sind auch sämtliche Kontrollen der vergangenen 24 Monate: Die Regierung von Oberbayern sei als Zulassungsbehörde am 5. August 2014 vor Ort gewesen. Das Landratsamt war am 6. Mai 2015, am 12. Januar 2016 und eben am 1. April des Jahres dort. Außerdem schaue in der Regel einmal pro Woche ein amtlicher Tierarzt nach dem Rechten.

Nie sei etwas Gefährliches aufgefallen, berichtet das Ministerium, bis auf ein paar Kennzeichnungsmängel, über die es eine "kostenpflichtige Belehrung" des Betriebs gegeben habe. Auch das Unternehmen selbst habe ein externes Labor mit unangekündigten Kontrollen beauftragt. Die Hygiene-Standards sehen nämlich regelmäßige Selbstkontrollen auf Listerien vor. Nichts.

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Der Landtagsabgeordnete von Brunn versteht das nicht. Das Robert-Koch-Institut gehe von einer sehr hohe Wahrscheinlichkeit eines Zusammenhangs mit den massenhaften Erkrankungen aus. "Da stellen sich Fragen, warum man nichts fand: Wurde bei der Selbstkontrolle geschludert oder manipuliert?", fragt von Brunn. "Und warum haben die Kontrolleure vom Landratsamt nichts gefunden: Waren sie nicht in der Lage, so einen großen Betrieb zu kontrollieren oder haben sie nicht ordentlich kontrolliert?"

Das Landratsamt weist die Frage zurück, schließlich könnten immer nur Stichproben genommen werden. Sieber habe nach dem ersten Fund Produktionsabläufe geändert und etwa eine neue Verpackungsmaschine beschafft, sagt ein Sprecher, offenbar habe dies nicht mit letzter Konsequenz geholfen. Jetzt müsse die Firma sicherstellen, dass jede Listeriengefahr ausgeschaltet sei. Ein Sprecher von Sieber sieht das Unternehmen zu Unrecht angeprangert. Aus der Zentrale in Geretsried lägen 45 Proben vor - allesamt negativ. Das Landratsamt kann diese Zahl nicht nachvollziehen. Womöglich stammten die Proben aus einer eigenen Kontrolle der Firma, vermutet ein Behördensprecher. Dagegen stammt einer der fünf positiven Befunde der Behörden aus dem Werksverkauf von Sieber wenige Meter vor dem Werkstor. Es ist ruhig vor dem Gelände. Keine Laster fahren vor, die Metzger sind freigestellt. Nur das Management rotiert und drei Mitarbeiterinnen beantworteten bis Montagmittag allein 120 Anrufe am Krisentelefon. Bis zum Abend erwartete Sieber rund 200. Geschäftsführer Dietmar Schach hat erst am Dienstag Zeit, um auf Fragen zu antworten. Nur so viel vorab: "Wir können den Rückruf nicht nachvollziehen", sagt der Firmensprecher.

Der endgültige Bescheid des Landratsamts habe das Unternehmen erst am Montagnachmittag erreicht, er werde nun juristisch überprüft. Es wäre nicht der erste Fall, in dem ein Lebensmittelunternehmen gegen den Verbraucherschutz klagt. "45 negative Proben aus der Zentrale", wiederholt der Sprecher. Am Wochenende hatte noch ein gelber Klebezettel am Werksverkauf verkündet: "Heute geschlossen". Jetzt ist der Zettel weg - und die Bude immer noch dicht.

© SZ vom 31.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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