Gastronomie:Geschlossene Gesellschaft

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Bayerns Wirte fühlen sich durch Mindestlohn und Arbeitszeitgesetz von der Politik gegängelt und klagen unisono über katastrophale Stimmung und Existenzbedrohung. Die Gewerkschaft hält das für maßlos übertrieben

Von Georg Etscheit, München

Wer dieser Tage spontan bei seinem Lieblingswirt vorbeischaut, um eine Halbe zu trinken oder einen schönen Schweinsbraten zu essen, steht möglicherweise vor verschlossenen Türen. Wie beim Moarwirt im malerischen Dietramszell-Hechenberg, einem auch bei Münchnern beliebten Treffpunkt für Freunde der gehobenen Regionalküche. "Bislang hatten wir im Sommer toujours geöffnet", sagt der Wirt Florian Lechner. "Jetzt sperren wir immer Montag und Dienstag zu, in den Wintermonaten auch am Mittwoch. Dabei war vor allem der Dienstag, an dem andere Gasthöfe oft geschlossen haben, immer ein umsatzstarker Tag."

Lechner kommt schnell in Fahrt, wenn man ihn nach den Gründen für diese wenig kundenfreundliche Maßnahme fragt. Schuld, sagt er, sei vor allem das Arbeitszeitgesetz, das jedem Mitarbeiter eine tägliche Höchstarbeitszeit von acht, im Ausnahmefall von zehn Stunden vorschreibt. "Das ist in der Gastronomie nicht zu machen", wettert Lechner. "Oder haben Sie schon mal einen Koch gesehen, der nach acht Stunden den Löffel fallen lässt."

Von einer "katastrophalen Stimmung" in der gesamten Branche berichtet Ulrich Brandl, der Präsident des Bayerischen Hotel- und Gaststättenverbandes (Dehoga), selbst Hotelier im Bayerischen Wald. Die "völlig überbordenden bürokratischen Auflagen" schnürten vor allem Familienbetrieben die Luft ab. Dabei sei die Dokumentationspflicht des Mindestlohngesetzes nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht habe. "Eigentlich müsste man für all diese Pflichten eine eigene Arbeitskraft abstellen", sagt Lechner. Die Dehoga Bayern hat eine lange Liste von Dokumentationstatbeständen zusammengestellt - von der Pflicht zur Ausweisung von Allergenen in Speisen und Getränken nach der Lebensmittelinformations-Ergänzungsverordnung bis zur Dokumentation der ärztlichen Bescheinigungen über die ärztliche Untersuchung von Jugendlichen beim Eintritt ins Berufsleben nach dem Jugendarbeitsschutzgesetz.

Durchgetaktet: Mitarbeiter in der Gastronomie arbeiten oft mehr als acht bis zehn Stunden am Tag - auch wenn sie das nicht dürfen. (Foto: Martin Gerten/dpa)

Doch das Arbeitszeitgesetz, das jetzt vielen Wirten auf den Nägeln brennt, gibt es schon seit mehr als 20 Jahren. Warum also erst heute dieser Aufruhr? Die Erklärung: Im Zuge der von den Sozialdemokraten in der Berliner großen Koalition durchgeboxten Mindestlohn-Gesetzgebung wurde das Gesetz zwar nicht verschärft, doch schlagen die dort verankerten schärferen Dokumentationsvorschriften auch auf die betagte Arbeitszeitregelung durch. Außerdem drohen intensivere Kontrollen und, bei Verstößen, härtere Strafen. Statt eines Bußgeldes steht Wirten, die gegen die Regelungen verstoßen, heute ein Strafverfahren ins Haus.

Bislang, so hört man aus der Branche hinter vorgehaltener Hand, hätten viele Gastwirte und Hoteliers das Gesetz einfach mehr oder weniger ignoriert oder ein wenig "getrickst". Nun aber wacht der Zoll über die Einhaltung des Mindestlohnes und der täglichen Höchstarbeitszeit. Jede Pause, jede Überstunde muss akribisch aufgezeichnet werden. "Wenn die Zollbeamten anrücken, ist das kein Spaß", sagt Lechner. "Da meinen sie, dass ein Sondereinsatzkommando anrückt", sagt Lechner. Wie viele Wirte in Bayern aufgrund der neuen Gesetzeslage ihre Öffnungszeiten eingeschränkt oder den Betrieb schon aufgegeben haben, ist nicht bekannt. Aus einer Umfrage des Dehoga Baden-Württemberg vom März dieses Jahres geht hervor, dass 44 Prozent der befragten Betriebe die Öffnungszeiten reduziert, 17 Prozent die Zahl der Ruhetage erhöht hatten.

Als Paradebeispiel für die mangelnde Flexibilität des geltenden Arbeitszeitgesetzes wird immer wieder die große Hochzeitsfeier angeführt: Die beginne um 14 Uhr mit Kaffee und Kuchen, abends gebe es ein festliches Diner und dann Schwof bis in den frühen Morgen. "Open end ist jetzt nicht mehr möglich", sagt Lechner. "Ich kann doch nicht für zwölf Uhr nachts ein ganz neues Serviceteam anheuern." Manche Wirte versuchen es mit Mitarbeitern von Zeitarbeitsfirmen - zusätzliche Kosten muss der Gast tragen. Einfach neue Leute einzustellen, rechnet sich in den Augen der Gastronomen nicht. Außerdem sei es schwer, zuverlässiges Personal zu finden.

Mustafa Öz, Geschäftsführer der Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten (NGG) in München, kennt die Klagen. Er hält sie aber, gelinde gesagt, für ungerechtfertigt. "Sich darüber zu beschweren, ein Gesetz einhalten zu müssen und die Kunden dafür in Haftung zu nehmen, das geht gar nicht", sagt Öz. Offenbar ließen die schärferen Dokumentationspflichten nur Missstände offen zutage treten, um die sich bislang niemand gekümmert habe. Etwa die Praxis, Vor- und Nacharbeitszeiten und Pausen bei der Erfassung der Arbeitszeit und der Entlohnung nicht zu berücksichtigen, zum Nachteil der Beschäftigten. Das sei nun nicht mehr so leicht möglich. Öz hält das Arbeitszeitgesetz nach wie vor für sinnvoll. "Wenn die Wirte klagen, sie bekämen nicht genug Personal, liegt das doch vielleicht an den extremen Arbeitszeiten und der schlechten Bezahlung. Viele Mitarbeiter würden sicher gerne weniger arbeiten, wenn sie einen besseren Stundenlohn bekämen."

Die Politik hat schon auf die Hilferufe der Wirte reagiert. Das Mindestlohngesetz sei "Ausdruck einer Misstrauenskultur gegenüber der Wirtschaft", ließ Bayerns Wirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) im April verlauten. Dabei gehe es nicht um die Höhe des Mindestlohnes, sondern die bürokratische Überfrachtung. Das Gesetz müsse dringend entschlackt werden. Hoffnung für die Wirte, die traditionell zu den treuesten Wählern der CSU gehören. Lechner hat schon über den Kauf einer kostspieligen, elektronischen Zeiterfassung nachgedacht, um sich das Leben mit den vielen Vorschriften zu erleichtern. Doch er wartet noch mit der Investition. "Bis Jahresende tut sich da etwas."

© SZ vom 26.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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