Garmisch-Partenkirchen:Wenn jede Minute zählt

DEMONSTRATION EINER BERGRETTUNG AUS DER LUFT

Im Zugspitzmassiv üben die Bergretter mit einem Hubschrauber der Bundeswehr den Ernstfall.

(Foto: DPA)

Bisher gab es noch keine Engpässe bei der Bergrettung. Doch die Hochsaison für alpine Notfälle kommt erst - und die Bundeswehr hat ihre Hubschrauber aus der Alpenregion abgezogen.

Von Matthias Köpf, Garmisch-Partenkirchen

Toni Gehringer erinnert sich noch gut an den Einsatz vor ein paar Jahren. Ein schweres Gewitter zog herauf, und droben am Jubiläumsgrat steckte eine Gruppe tschechischer Bergsteiger fest. Gehringers Leute von der Bergwacht Garmisch-Partenkirchen machten sich zu Fuß auf den weiten und äußerst schwierigen Weg, denn das Wetter und die schlechte Sicht erlaubten keinen Hubschrauber-Einsatz. Doch die SAR-Maschine der Bundeswehr aus Penzing wartete die ganze Zeit über direkt am Fuß der Zugspitze, und als sich die erste kleine Lücke auftat, da hob sie sofort ab.

Ohne diesen Hubschrauber-Einsatz wären damals mindestens zwei Bergsteiger gestorben, da ist sich Toni Gehringer sicher. Doch die Bundeswehr hat ihren SAR-Standort Penzing Mitte Dezember endgültig aufgegeben. Was das für die Bergretter bedeutet, muss sich erst herausstellen.

Bedenken, dass die Verlagerung der Bundeswehr-Hubschrauber von Penzing nach Niederstetten in Baden-Württemberg größere Probleme machen oder gar Menschenleben kosten wird, hat aber auch Toni Gehringer nicht. "Es ist nicht so, dass da jetzt eine Riesenlücke entsteht." In den ersten drei Monaten habe sich jedenfalls noch kein Engpass ergeben, sagt der Geschäftsführer der Garmischer Bergwacht. Der große Vorteil der Bundeswehr-Hubschrauber sei es ohnehin immer gewesen, dass sie es nicht so eilig damit gehabt haben, sich sofort wieder klar für den nächsten Einsatz zu melden.

Die zivilen Rettungshubschrauber, die man bisher bei Bedarf stets auch in ausreichender Zahl habe anfordern können, müssen schon rein wirtschaftlich möglichst viele Kosten wieder hereinfliegen, und auch die Mannschaft samt Notarzt sei im Zweifel beim nächsten Unfall auf der Autobahn besser eingesetzt. Die Hubschrauber könnten daher kaum am Fuß der Zugspitze auf eine Windstille warten wie damals die SAR-Maschine.

In den vergangenen Jahren wurden die schon lange nicht mehr standardmäßig mit einem Notarzt besetzten Bundeswehr-Helikopter ohnehin verstärkt für Sucheinsätze oder für das Bergen von Leichen eingesetzt. Da kommt es in der Regel nicht auf jede Sekunde an, und die schnellsten sind die alten Helikopter vom Typ Bell UH 1D im Vergleich zu moderneren Maschinen sowieso nicht mehr. Das Modell ist vielen aus Filmen über den Vietnamkrieg vertraut, und es stammt auch noch aus dieser Zeit. Obwohl es bei der Bundeswehr längst als Auslaufmodell gilt, fliegt es immer noch, und das konnte die Truppe zuletzt nicht von allen ihren Fluggeräten behaupten.

Der Standort Penzing, von wo aus die Maschinen etwa bis Garmisch eine gute Viertelstunde gebraucht haben, stand ebenfalls schon lange zur Disposition. Die umstrukturierte Bundeswehr hat ihre "Search-and-Rescue"-Aufgaben über Land längst von der Luftwaffe auf das Heer übertragen, der Umzug der SAR-Maschinen nach Niederstetten im Dezember war da nur ein lange hinausgezögerter letzter Schritt. Der neue Standort liegt etwa 40 Kilometer südlich von Würzburg, von hier braucht eine Bell laut der Tabelle der Bergwacht etwa 70 Minuten bis zur Zugspitze.

Für medizinische Notfälle ist das viel zu lang, für langwierige Sucheinsätze könnte es sich lohnen, sagt Robert Ampenberger. Der Leiter des bayerischen Bergwacht-Zentrums in Bad Tölz hat die Tabellen und Zahlen zu dem Thema parat. Demnach hat die Bergwacht in Bayern 2015 etwa 1500 Einsätze mit Hubschrauber absolviert, und an nur 70 davon waren SAR-Maschinen der Bundeswehr beteiligt. Deren Einsatzzahlen hätten über die Jahre zwar stark geschwankt, aber im Grundsatz mit dem fortschreitenden Ausbau der zivilen Hubschrauber-Flotte deutlich abgenommen.

Das Tölzer Bergwacht-Zentrum gibt es seit 2008. Es verfügt unter anderem über eine große, lichte Halle mit an Seilzügen manövrierbaren Hubschrauber-Modellen in Originalgröße samt Ausstattung. Daran und an nachgebauten Felswänden, Seilbahn-Kabinen, über Wassertanks, in Kältekammern und dergleichen mehr können Bergretter und Feuerwehrleute, Polizisten, Wasserretter aus ganz Bayern und auch SAR-Besatzungen in schneller Folge standardisierte Szenarien üben.

Zur testweisen Erstausstattung der Halle gehörte auch die Kabine einer Bell, doch mittlerweile hängen neuere Modelle in der Halle. Dieses weltweit einmalige Übungszentrum der bayerischen Bergwacht wurde unter anderem deswegen geschaffen, weil sich der Abzug der SAR-Hubschrauber lange abgezeichnet hat.

Denn nur die hatten eben noch Zeit für regelmäßige und ausführliche gemeinsame Übungen, an die sich zum Beispiel der Garmischer Bergretter Toni Gehringer gerne erinnert. Auch nach einem Einsatz sei in aller Regel noch Zeit für eine Nachbesprechung gewesen, aus der sich vielleicht wieder Erkenntnisse für den nächsten Einsatz ergeben hätten.

Die jetzigen entlang dem bayerischen Alpenbogen stationierten Rettungshubschrauber stehen für Übungen bei Weitem nicht in diesem Umfang zur Verfügung. Denn die beiden ADAC-Maschinen Christoph 1 mit Standort München und Christoph Murnau, die beiden von der Bundespolizei betriebenen Christoph 14 in Traunstein und Christoph 17 in Kempten sowie der Intensiv-Transporter Christoph München der Deutschen Rettungsflugwacht stehen im täglichen Rettungseinsatz. Für Suchaufträge und für Leichenbergungen fordert die Bergwacht statt der Penzinger SAR-Maschinen nun verstärkt Helikopter von der Landes- und der Bundespolizei vom Münchner Flughafen und aus Oberschleißheim an.

Engpässe habe es ohne die Penzinger SAR-Hubschrauber auch bayernweit bisher keine gegeben, sagt der Bergwacht-Mann Robert Ampenberger. Dies gelte auch, was den Nachtflug betrifft, denn für den seien etwa die Maschinen in Traunstein und Kempten durchaus gerüstet.

Entsprechende Befürchtungen hatten zuletzt unter anderem einige bayerische Sozialdemokraten formuliert, die das Thema SAR-Abzug zwischenzeitlich für sich entdeckt hatten. Bei aller Gelassenheit will aber auch Robert Ampenberger noch keine komplette Entwarnung geben, denn bisher gebe es nur Erfahrungen aus dem Winter. Die echte Hochsaison für alpinistische Notfälle steht dagegen erst noch bevor.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: