Flüchtlinge:Wenn Lkw-Fahrer zu unfreiwilligen Schleusern werden

Die fahrenden Lastwagen werden in Calais mutwillig beschädigt, um sie zum Anhalten zu bringen. (Foto: oh)

Zusammengeschlagene Fahrer, zerstörte Lastwagen: Ein Spediteur berichtet von brutalen Erlebnissen seiner Mitarbeiter mit Flüchtlingen auf dem Weg nach England.

Von Lisa Schnell

Eigentlich ist Georg Wittwer Spediteur. Wenn Flüchtlinge aber die blau-gelben Lastwagen seines Speditionsunternehmens aus Eschenlohe sehen, sehen sie nur eins: ihre Chance auf ein besseres Leben. Und dafür greifen sie zu drastischen Mitteln. Sie schmeißen Steine auf die Windschutzscheibe, um die Laster zum Halten zu bringen, berichtet Wittwer, manchmal werfen sie auch Latten oder Stangen.

Es sei sogar schon vorgekommen, dass Flüchtlinge seine Fahrer verprügelten, wenn diese sie aufforderten, ihren Lkw zu verlassen. Vor allem auf der Strecke zwischen Frankreich und England sei es besonders schlimm. "Einem Fahrer von uns aus Bulgarien wurde das Nasen- und das Jochbein gebrochen", sagt Wittwer.

Die Polizei anzurufen, das hätten sie aufgegeben. "Die Fahrer werden alleine gelassen", sagt er. Werden in ihren Lastwagen auf britischem Boden blinde Passagiere entdeckt, könne es sogar passieren, dass sie wegen Schleuserverdachts in die Arrestzelle kommen. Trotz der hohen Kosten, die Wittwer hat, versteht er die Flüchtlinge: "Wenn Sie das Lager in Calais mal gesehen haben, dann ist es nur logisch, dass die Leute da wegwollen." Der sogenannte "Dschungel" ist inzwischen geräumt worden. Aber mit dem neuen Lager weiter im Norden habe sich das Problem nur verlagert, sagt Wittwer.

Von Europa und der Politik ist der Unternehmer enttäuscht. Nicht nur, dass solche Lager eine Schande seien, "für uns Spediteure sind offene Grenzen oder eine gemeinsame Binnenwährung die größten Errungenschaften von Europa. Aber das Europa der offenen Grenzen zerlegt sich gerade."

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