Erfolgreicher Internet-Händler:Angriff auf Amazon

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Sie wollen die Weltverbessern und Amazon das Leben schwer machen: Die Jungunternehmer des Internet-Händlers Buch7 profitieren von Negativ-Schlagzeilen über den Versandriesen. Von einem Augsburger Vorort machen sie ihm Konkurrenz.

Von Stefan Mayr, Langweid

Der Angriff auf den Giganten Amazon wird in einer Mittelklasse-Wohngegend im Augsburger Vorort Langweid organisiert. Ein Mietshaus, sechs Parteien. Die hellgrauen Steintreppen hoch, erster Stock links, bitte klingeln bei Gleich. Benedikt und Carmen Gleich sitzen an ihrem Holzesstisch. Vor ihnen stehen zwei Laptops, eine Karaffe Wasser und eine Flasche selbstgepresster Apfelsaft. In der Mitte eine Deko-Tischdecke und ein Zier-Kürbis. Auf dem Schoß der Mutter sitzt Sohnemann Leopold, eindreiviertel Jahre, und brabbelt vor sich hin. "Das ist unser Aufsichtsratsvorsitzender", scherzt der Papa, "der redet immer dazwischen."

Personal für das Weihnachtsgeschäft
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Mit den aktuellen Streiks habe der Schritt nichts zu tun, sagt Amazon: Das Unternehmen stellt für das Weihnachtsgeschäft mehr als 10 000 zusätzliche Saisonkräfte ein. Sie sollen genauso viel verdienen wie Festangestellte.

Das hat Klein-Leopold womöglich von seinem Vater. Denn Benedikt Gleich redet gerne, viel und schnell. Vor allem, wenn er über seine Attacke gegen Amazon spricht, also über den Internet-Buchhändler Buch7.de. "Noch hat Amazon mehr Umsatz als wir", scherzt der 31-jährige Geschäftsführer, "aber es läuft ganz gut." Natürlich ist Buch7.de nicht wirklich ein ernsthafter Konkurrent für Amazon. Aber immerhin eine Alternative. Buch7.de ist kein gewöhnlicher Internet-Buchhändler: Das Unternehmen wurde gegründet von sieben Studenten, die mit ihrem Projekt kein Geld verdienen wollten, sondern die Welt verbessern. 75 Prozent des Gewinns spenden sie für den guten Zweck, nur den Rest teilen sie untereinander auf. Zurzeit überweisen sie etwa 1000 Euro pro Monat an gemeinnützige Organisationen. "Ja, wir sind Idealisten und Weltverbesser", sagt Gleich, "aber bei uns kommt konkret was dabei raus."

Den Sprung geschafft

Gleich trägt Jeans, einen ausgewaschenen braunen Pulli, die Ärmel hochgeschoben, Studentenbrille, Lehrerscheitel. "Unser Traum ist es, dass jeder zehnte Deutsche seine Bücher bei uns kauft, dann können wir 50 Millionen Euro pro Jahr spenden." Von diesem Ziel sind er und seine Mitstreiter weit entfernt. 20 Stunden pro Woche ist er angestellt. Die andere Hälfte ist der Informatiker und Philosoph als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Uni Augsburg tätig. Seine Promotion über Rohstoffpreise hat er soeben am Institut für Materials Resource Management eingereicht.

Aber wenn sich die Geschäftszahlen von Buch7.de so weiterentwickeln wie zuletzt, steht er bald vor der Entscheidung: akademische Laufbahn oder Vollzeit-Manager? Konkrete Geschäftszahlen nennt er nicht. Aber er verrät, dass sich der Umsatz seit Januar 2013 "um den Faktor 60" erhöht hat. Ein Ende des Wachstums sei noch nicht in Sicht. "Wir sind schon gespannt, was das Weihnachtsgeschäft bringt", sagt Carmen Gleich. Die Adventszeit 2013 habe sie mit "Abend- und Nachtschichten" vor dem Laptop verbracht. Sie ist eine von inzwischen sechs Minijobbern, die sich die Arbeit aufteilen. Die Zahl der Gesellschafter ist bereits auf 15 angestiegen. "Bis vor einem Jahr haben wir alle umsonst gearbeitet", sagt die Gymnasiallehrerin. "Jetzt haben wir den Sprung geschafft." Zwischenzeitlich stand das Projekt allerdings kurz vor dem Scheitern, berichtet sie.

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Das Abenteuer Amazon-Attacke begann im Jahre 2007 am Biertisch einer Kneipe. Die Studenten-Clique saß zusammen und sinnierte, wie sie die Welt verbessern könnte. 2008 gründete das Septett die Buch7.de GmbH. Mit viel Euphorie, aber wenig Geld. "Alleine die 12 500 Euro Stammkapital aufzutreiben, war schon schwer", berichtet Benedikt Gleich. "Aber wir waren uns alle sicher, das wird super laufen." Dann kam die Ernüchterung. "Am Anfang waren wir schon glücklich, wenn wir eine Bestellung pro Tag hatten." Daran änderte sich lange kaum etwas. "Nach fünf Jahren haben wir dann schon durchgerechnet: Wie lange reicht das Geld noch?" Bis 2012 machte die Firma Jahr für Jahr Verlust. "Uns war klar: Wenn nichts passiert, müssen wir zumachen", sagt Benedikt Gleich. Dann sendete die ARD im Februar 2013 eine Reportage über die Arbeitsbedingungen der Amazon-Leiharbeiter. Der Bericht trieb Buch7.de etliche Kunden in die Arme. "Das war der Wendepunkt", sagt Carmen Gleich, "seitdem läuft's."

Kein Geld für Marketing

In der Ecke vor dem Fenster stehen einige Kartons gestapelt. Rücksendungen. "Die kommen hier an und wir müssen sie weiterschicken", sagt Carmen Gleich. Ein Lager braucht Buch7.de nicht, die Bücher werden direkt vom Großhändler Libri verschickt. Libri stellt Buch7.de den Einkaufspreis der Bücher und die Versandkosten in Rechnung, danach bleibt etwa ein Fünftel des Umsatzes als Gewinn. Für Marketing gibt Buch7.de praktisch kein Geld aus, die Weiterempfehlungen der Kunden genügen. "Wo gibt es das schon, dass Kunden nach Flyern fragen, um für uns Werbung machen zu können?", fragt Benedikt Gleich. Den Rest mache Amazon selbst: Immer, wenn der US-amerikanische Konzern negative Schlagzeilen schreibe, steige bei Buch7.de der Umsatz. Vor Weihnachten 2013 testete der WDR drei deutsche Internet-Buchhändler, die mit verschiedenen Konzepten als soziale Unternehmen auftreten. Klarer Testsieger: Buch7.de.

Hier fließe der größte Umsatzanteil in soziale Projekte, hier ist der Versand für den Kunden kostenlos, zudem arbeite Buch7.de mit Ökostrom. Das Paket komme auch am Folgetag an, sofern die Bestellung vor 13 Uhr aufgegeben wird und bei der Post alles klappt. "Bei uns kann man zum gleichen Preis einkaufen und damit noch was Gutes tun", wirbt Benedikt Gleich.

Weltverbesserer: Mit Buch7.de wollen die Betreiber kein Geld für sich verdienen, sondern möglichst viel für gute Zwecke spenden. (Foto: SZ)

Eine Einschränkung müssen seine Kunden allerdings in Kauf nehmen: Mit Kreditkarten können sie nicht bezahlen. "Da würde ein großer Batzen nicht in Deutschland bleiben und unser Spendenaufkommen sinken", sagt Gleich. Während er über die Vor- und Nachteile der diversen Zahlungsmöglichkeiten reflektiert, klingelt das Kundentelefon. Eine Frau ist dran. Benedikt Gleich spricht mit ihr viel und lange. Dann legt er lächelnd auf. "Sie will ihre Internetseite mit uns verlinken", berichtet er, "um unser Projekt zu unterstützen." Da gibt es nichts zu meckern, nicht einmal für den kleinen "Aufsichtsratsvorsitzenden" Leopold.

© SZ vom 04.11.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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