Chiemsee Summer:Plötzlich ist es wie im Katastrophenfilm

Unwetter in Bayern - Chiemsee-Summer-Festival abgesagt

Beschädigte Zelte und Müll liegen auf dem Gelände des Chiemsee-Summer-Festivals in Übersee.

(Foto: dpa)

Ein Unwetter verwandelt das Rockfestival "Chiemsee Summer" binnen Minuten in eine Gefahrenzone. 60 Menschen werden verletzt. Haben die Veranstalter zu spät abgebrochen?

Von Oliver Das Gupta, Übersee

Die Nacht legt sich lau über den Chiemgau, als "The Offspring" beim Chiemsee-Summer-Festival spielen. Die Klänge der Punk-Rock-Gruppe aus Kalifornien wummern weit über das Konzert hinaus. Mehr als 20 000 Besucher sind in das Örtchen Übersee gekommen, das malerisch am Alpenrand liegt. 20 000 Menschen - so viele Menschen leben in Traunreut, der größten Stadt des Landkreises, wird später der Polizeieinsatzleiter Rainer Wolf sagen.

Die Stimmung ist an diesem Freitagabend ausgelassen, das Wetter hochsommerlich. Doch was dann passiert, erinnert mehrere Augenzeugen an einen "Katastrophenfilm".

Im Westen verdunkelt sich plötzlich der Horizont, eine Wolkenfront zieht heran, durchzogen mit Blitzen. Das Gewitter kündigt sich schon an, als "The Offspring" noch auf der Bühne stehen, erzählen mehrere Festivalbesucher. Dann eine Durchsage: Abbruch des Konzertabends, ein Unwetter rolle heran, man solle im Auto Schutz suchen.

Doch es bleibt kaum mehr Zeit, binnen weniger Minuten verwandelt sich das Gelände zur Gefahrenzone. "Plötzlich kam ein krasser Wind auf, und alles Mögliche flog durch die Luft", sagt Aron aus München. Die Schilderungen der dramatischen Minuten ähneln sich: Böen wirbeln den Besuchern Sand in die Augen, Hagelkörner prasseln auf sie ein, Dixi-Klos stürzen um. Einer erzählt, wie ihm ein kleines Zelt samt Gestänge entgegenflog - knapp am Kopf vorbei.

Das ganze Ausmaß der Zerstörungen wird erst am nächsten Tag sichtbar: Im großen Konzertzelt klafft ein mächtiges Loch, auf den ausgewiesenen Campingzonen sind Pavillons zusammengeschoben und Zelte zerquetscht, überall hat der Wind Müll, Plastikflaschen und Kleidungsstücke verstreut. Hunderte Meter entfernt, nahe dem Fluss Ache, liegt eine gelbe Luftmatratze im Gebüsch. 60 Menschen werden an diesem Abend verletzt. Manche müssen ins Krankenhaus, in Lebensgefahr schwebt niemand. Viele Festival-Besucher müssen psychologisch betreut werden, sagt Polizeieinsatzleiter Wolf: "Die stehen unter Schock."

Doch es hätte schlimmer kommen können, viel schlimmer: Die Menschen, die meisten von ihnen angetrunken, hätten in Panik geraten können. Stattdessen lief die Räumung des Festivalgeländes innerhalb weniger Minuten und relativ ruhig ab. Meldungen, nach denen der Wind mehrere Gondeln von einem Riesenrad auf dem Gelände geweht hat, stellten sich als falsch heraus - die Gondeln waren kontrolliert abgenommen worden.

"Wir hatten zehn, zwölf Minuten weniger als gedacht"

Unwetter in Bayern - Chiemsee-Summer-Festival

Festivalbesucher verlassen am Freitagabend das Gelände - die meisten von ihnen offenbar noch bei Laune.

(Foto: dpa)

Am Tag danach ist die Stimmung unter den Festival-Besuchern relativ gut. Viele albern im Schlamm, manche karren ihre Habe mit Ziehwagen Richtung Bahnhof. Unmut gibt es, wenn es um die Stunde geht, in der der Sturm über der großen Party in Übersee hereinbrach. "Ich verstehe nicht, warum die nicht fünf Lieder vorher abgebrochen haben", sagt ein junger Mann aus Passau. Eine junge Frau aus Ulm zeigt, dass auf ihrem Smartphone schon vorher mehrere Unwetter-Warnungen eingelaufen waren.

Was lief schief? Auf dem Festivalgelände wollte lieber niemand mit der Presse reden: "Schreiben Sie bitte eine Email." Der Veranstalter ließ eine schriftliche Anfrage bis zum frühen Samstagabend unbeantwortet.

Die Behörden dagegen können erklären, was passiert war. Gewitter und Regen, das hätten die Wetterdienste vorausgesagt, aber mit einem Unwetter dieses Ausmaßes habe man nicht gerechnet, räumt Polizeieinsatzleiter Wolf ein. In der Region kennt man heftige Unwetter, doch so heftig wie in der Nacht zuvor stürmt es selten. "Das war schon etwas Schlimmeres", sagt Kreisbrandinspektor Georg König, der die zivilen Einsatzkräfte koordiniert.

Eine Halle und ein Zug standen als Zuflucht bereit

Aus Weilheim habe man um 20.45 Uhr die Nachricht erhalten, dass das Unwetter heftiger sein werde als erwartet. Danach habe man zügig alle Verantwortlichen im provisorischen Lagezentrum in einem nahen Sägewerk zusammengetrommelt und den Abbruch des Festivals beschlossen. Doch dann sei das Unwetter schon früher als prognostiziert eingetroffen - der Sturm hatte an Tempo zugelegt. "Wir hatten zehn, zwölf Minuten weniger als gedacht", sagt Wolf.

Die Einsatzkräfte hatten vorgesorgt: Eine nahe Halle war vorbereitet worden, in der knapp 500 Menschen übernachten konnten. Auch ein Zug war im nahen Traunstein bereitgestellt worden. Doch zum Einsatz kam er nicht, weil die Bahnstrecke nach dem Sturm gesperrt werden musste.

So blieben die meisten Besucher über Nacht in Übersee, wie Olli aus Regensburg. Anders als seine Freunde war er nicht mehr zu "The Offspring" gegangen, sondern hatte sich sturzbetrunken in sein Zelt verkrochen. Am Morgen weckten ihn die Freunde auf und riefen: "Zum Glück lebst du noch!" Vom Unwetter hatte er nichts mitbekommen.

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