Grüne Bürgermeisterin in Pullach:Politische Allzweckwaffe

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Pullach hat eine neue Bürgermeisterin: Susanna Tausendfreund von den Grünen (Foto: Claus Schunk)

Zum ersten Mal gibt es eine Grüne Bürgermeisterin in Pullach. Der ehemaligen Landtagsabgeordneten Susanne Tausendfreund ist die Sensation gelungen - denn sie kann weit mehr als nur Badekappen-Verbote kippen.

Von Jürgen Wolfram

Auf Understatement versteht sich diese Frau mindestens so gut wie auf beharrliches Aktenstudium. Wer Susanna Tausendfreund nach ihrem größten politischen Erfolg fragt, erhält, Augenzwinkern eingeschlossen, eine verblüffende Antwort: Die Abschaffung des Badekappenzwangs im Pullacher Hallenbad, das sei so ein Meilenstein gewesen, den sie und ihre Partei auf der Habenseite verbuchen könnten.

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Tatsächlich brachte die 51-jährige Rechtsanwältin noch sehr viel mehr auf den Weg, vor allem für die Partei, der sie sich seit 30 Jahren verbunden fühlt. Aus Sicht der Grünen ist sie längst so etwas wie die politische Allzweckwaffe. Zwei Legislaturperioden gehörte sie dem Bayerischen Landtag an, verpasste den Wiedereinzug 2013 relativ knapp. Sie ist stellvertretende Landrätin, Kreisrätin, Fraktionssprecherin der Grünen im Gemeinderat, bekleidet Führungspositionen im Landesvorstand und beispielsweise in der Petra-Kelly-Stiftung.

Und jetzt die Sensation: Aus der Stichwahl in ihrer konservativ geprägten Isartaler Heimatgemeinde ging sie am Sonntag als Siegerin hervor hervor. Sie ist die erste grüne Bürgermeisterin in Pullach. Auf die Kandidatin der Grünen entfielen 69,96 Prozent der Stimmen. Damit distanzierte sie ihren Rivalen von der CSU, Andreas Most - er brachte es auf 30,04 Prozent - wie schon in der ersten Abstimmungsrunde am 16. März deutlich.

Nicht nur ihre Freunde nennen sie "Die Susi"

Ausgerechnet eine Grüne, ausgerechnet in Pullach, wo die CSU seit Jahrzehnten die Kommunalpolitik dominierte und mit Jürgen Westenthanner den Rathauschef stellte. Was hat die Frau, dass ihr in Scharen auch jene Wähler zugelaufen sind, die mit dem grünen Parteibuch wenig anfangen können?

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Klar, "die Susi", wie sie nicht nur Freunde nennen, ist dank ihres unermüdlichen politischen Engagements weit über Pullachs Grenzen hinaus bekannt. Die Leute scheinen ferner ein sicheres Gespür dafür zu haben, dass ein kommunales Spitzenamt nur jemand bekleiden sollte, der dazu wirklich in der Lage ist. Der politische und juristische Erfahrung mitbringt, Kompromissfähigkeit, Dialogbereitschaft und, ja auch dies, einen ausgeprägten Hang zur Geselligkeit. Dafür steht Susanna Tausendfreund.

Ihre politischen Sturm- und Drangjahre in der Frühzeit der Grünen, als es noch aufging zu Sitzblockaden gegen Pershing-Raketen, zum Kampf gegen die Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf, die sind erkennbar vorbei. Zuschauerin ist Tausendfreund gleichwohl nie gewesen. Nachdem die Berliner Mauer gefallen war, demonstrierte sie mit Gesinnungsfreunden beim BND. Slogan: "Auch diese Mauer muss weg." Wenn es gilt, das Schreckgespenst eines Autobahn-Ringschlusses im Süden von München zu vertreiben, radelt sie noch heute verlässlich voran.

Und doch ist die Susanna Tausendfreund von 2014 eine andere als diejenige aus den Achtzigern. Als Trümpfe setzt sie heute Sachverstand und Beharrlichkeit ein, eine Kompromissfähigkeit zudem, wie sie Grünen nicht oft nachgesagt wird. Dem einen oder anderen Parteigänger ist sie fast schon wieder zu seriös, zu staatstragend. In Wahrheit verfolgt sie ihre Ziele nur auf andere Weise. Auf dieser Agenda rangieren Basisdemokratie, Naturschutz und Energiewende ganz weit oben. Wie sie dafür eintritt? In jedem Fall: unermüdlich.

Susanna Tausendfreund ist mit dem SPD-Gemeinderat Odilo Helmerich verheiratet, einem frisch pensionierten Gymnasiallehrer. Dieser Umstand bürgt allein schon für eine gewisse Debattenfestigkeit. Die kann sie als neue Bürgermeisterin in Pullach gut gebrauchen. Denn an Herausforderungen wird es ihr nicht mangeln. Die Grundschule muss erweitert, ein Hallenbad neu gebaut werden. Vor allem aber geht es um die Nachnutzung des riesigen BND-Geländes.

Unfreiwilliger Rückenwind von der CSU

Im Gemeinderat kann sich Tausendfreund nur auf eine überschaubare Fraktion stützen, was bedeutet, dass sie sehr viel Geschick brauchen wird, die vielfältigen Interessen und Positionen auszutarieren. Die SPD hat ihr schon Unterstützung signalisiert. Rückenwind hatte Tausendfreund, völlig unbeabsichtigt, auch die Pullacher CSU verschafft - indem sie sich im Sommer 2013 über die Nominierung ihres Bürgermeisterkandidaten heillos zerstritt. Das Spaltprodukt heißt "Wir in Pullach" (WIP), eine parteiunabhängige Gruppierung, die aus ihrer Sympathie für die Bewerberin der Grünen keinen Hehl machte.

Man darf Tausendfreund abnehmen, dass sie selbst am meisten überrascht gewesen war von der Favoritenrolle, die der Wähler am 16. März für sie ausersehen hatte. Als der grüne Balken auf der Ergebnistafel wuchs und wuchs, saß sie so strahlend wie perplex im großen Saal des Pullacher Rathauses. "Von diesem Resultat bin ich nicht ausgegangen", kam es ihr knapp über die Lippen.

Aber sie wäre nicht die Kämpfernatur, als die man sie im Isartal kennt, wenn sie nicht schon Minuten später die Fortsetzung ihrer Wahlkampagne in die Wege geleitet hätte. Das musste noch sein vor der Wahlparty im Lokal mit dem treffenden Namen "Treibhaus". In Pullach haben die schönsten Hoffnungen der bayerischen Grünen jetzt Blüten getrieben.

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