Bayerns Grünen-Chef Janecek im Gespräch:"Der Wischiwaschi-Kandidat Seehofer ist ein Geschenk für uns"

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Schwarz-Grün ist derzeit undenkbar - in der Zukunft sieht das anders aus, sagt Dieter Janecek. Im Gespräch mit Süddeutsche.de geißelt der bayerische Grünen-Vorsitzende den "primitiven Populismus" der Dobrindts und Söders, verteidigt das Recht auf religiöse Beschneidungen und erklärt, was seine Partei von Joschka Fischer besser nicht übernehmen sollte.

Oliver Das Gupta und Sebastian Gierke

Dieter Janecek, der bayerische Landesvorsitzende der Grünen, will 2013 in den Bundestag. (Foto: dapd)

An diesem Wochenende kommen die bayerischen Grünen in Rosenheim zur Landesdelegiertenkonferenz zusammen. Dieter Janecek, Jahrgang 1976 und seit 2008 Landesvorsitzender der bayerischen Grünen, stellt sich dort zur Wiederwahl. 2013 will Janecek dann für die Grünen in den Bundestag einziehen.

SZ.de: Herr Janecek, Sie sind ziemlich schmal geworden. Was ist mit Ihnen passiert?

Dieter Janecek: Seit Beginn des Sommers mache ich aktiv etwas gegen meinen Stress. Ich habe meine Ernährung umgestellt und laufe jeden Tag eine Stunde. Das macht den Kopf frei. Gerade jetzt, zu Beginn eines doppelten Wahlkampfes, hilft der Sport schon sehr.

Sie starten also mit der Methode Joschka in den Wahlkampf?

Ein bisschen. Wobei es bei mir hoffentlich zu keinem Jojo-Effekt kommt.

Was können die Grünen vom Wahlkämpfer Fischer lernen?

Joschka Fischer hat gezeigt, dass es sich auszahlt, wenn man für etwas kämpft. Fischer hat mit klaren Standpunkten die Grünen im Parteienspektrum verankert. Zu seinen vielen Verdiensten gehört das klare Ja zu Europa - mit ein Grund für mich, den Grünen beizutreten. Dass Fischer bisweilen ein wenig rücksichtslos war, sollten wir allerdings lieber nicht übernehmen.

Wollen Sie im Wahlkampf polarisieren?

Wir wollen mit Inhalten punkten. Die muss man natürlich zuspitzen.

Zwei Beispiele?

Die Energiewende. Die anderen können oder wollen nicht - wir können und wollen sie. In der Bildung propagiert die CSU die soziale Selektion - wir setzen auf Bildung für alle. Wir wollen aber nicht polarisieren um des Polarisierens willen. Es ist ja nicht alles schlecht in Bayern.

Bayerns Finanzminister Söder kündigte in seinem Doppelhaushalt an, die Staatsausgaben bis 2014 auf 48 Milliarden Euro hochzuschrauben. Ist es schwer, gegen solche Zahlen anzukommen?

Den Haushalt aufzublähen ist nun wirklich kein Allheilmittel. Ob die Wachstumsraten so bleiben, ist fraglich.

Schulden sollen auch getilgt werden. Halten Sie das für richtig?

Ja, dieses Ziel teile ich. Ich habe kein Problem damit, CSU-Politik zu unterstützen - wenn sie richtig ist. Söder hätte natürlich auch noch mehr Geld auf die Schuldentilgung verwenden können. Schließlich wuchs durch das Landesbank-Desaster der CSU der Schuldenberg um zehn Milliarden.

Was gehört zur Schnittmenge zwischen Schwarzen und Grünen in Bayern?

Bei der jüngeren Generation der CSU sehe ich durchaus manche Berührungspunkte: Nachhaltige Haushaltspolitik, Bodenständigkeit und Werteorientierung. Aber es gibt eben auch große Unterschiede. Im Agrarbereich hält die CSU unbeirrt an der Massentierhaltung fest, statt auf kleinere und qualitativ bessere Betriebe zu setzen. Die CSU will die Energiewende verschleppen und vor allem mit den Großkonzernen machen. Die Grünen setzen auf die kleineren Versorger, auf den Mittelstand. Die Energiewende darf sich nicht nur auf den Strom beschränken, sondern muss auch im Verkehr umgesetzt werden. Wir müssen weg vom Öl. In diesen Bereichen trennt uns Grüne von der CSU so viel, dass derzeit eine Zusammenarbeit undenkbar ist.

Gilt das auch noch nach September 2013?

In weiterer Zukunft ist das nicht undenkbar. Aber für die nächste Wahl ist klar: Wir wollen die CSU nach 52 Jahren schwarzem Filz in Bayern ablösen. Wenn eine Konstellation jenseits der CSU möglich ist, dann machen wir sie. Da führt kein Weg daran vorbei. Die SPD ist unser Wunschpartner, mit den Freien Wählern haben wir, abgesehen von deren Europa-Kurs, ausreichend Schnittmengen.

Wie sehr nervt Sie der eurokritische Kurs der Freien Wähler?

Die europopulistischen Töne der Freien Wähler sind hart zu kritisieren. Das geht zu weit und das werden wir uns als Grüne auch nicht bieten lassen. Es gibt Grenzen. Wir sehen aber auch, dass nicht alle bei den Freien Wählern den euroskeptischen Kurs mittragen. Ich hoffe, dass sich am Ende die Vernunft durchsetzt. Die Freien Wähler müssen sich entscheiden, ob sie in Bayern eine neue, bessere Ära mitgestalten wollen.

Spitzenpersonal in spe bei den Grünen
:Roth für Grün in Ewigkeit, Amen

Katrin Göring-Eckardt, Renate Künast, Claudia Roth und Jürgen Trittin - seit Jahrzehnten wird das Bild der Grünen von den gleichen Personen bestimmt. Gibt es wirklich niemanden sonst, der an der Spitze mitmischen könnte? Wir hätten da noch ein paar Kandidaten.

Die Grünen wollen bei den nächsten Wahlen zulegen. Aus welchem Spektrum wollen Sie zusätzliche Wähler gewinnen?

Wir spekulieren nicht auf enttäuschte Wähler aus einem bestimmten Lager. Die Grünen sind inzwischen selbst ein Lager. Wir sind ökologische Moderne, eine glaubhafte Wertepartei. Auf dieser Basis wirken wir in die Gesellschaft, sowohl im ländlichen Raum als auch in den Städten. Es gibt so viele Menschen in Bayern, die sich politisch zwischen Nachhaltigkeit, Ökologie und Gerechtigkeit verorten. Wir haben ein großes Potential - und das müssen wir ausschöpfen. Wenn wir nicht wachsen, wird es auch nichts mit einem Wechsel.

Welches Ergebnis peilen Sie an?

Ein starkes zweistelliges Ergebnis. Keine 80 Prozent, aber deutlich mehr als zehn. Nur mit starken Grünen wird's einen Politikwechsel in Bayern geben.

Sind die Grünen nicht ein Elitenphänomen? Die Partei der Bio-Besserverdiener?

Es ist doch positiv, wenn jemand viel Geld verdient und dafür Bio-Lebensmittel kauft.

Aber nicht alle haben viel Geld.

Richtig, deshalb wollen wir gerechter umverteilen. Wir sind keine Partei für eine bestimmte Einkommensgruppe, wir wollen auch Vermögenssteuer und Spitzensteuersatz erhöhen. Trotzdem wählen uns diejenigen, die gut verdienen. Weil sie erkennen, dass es richtig ist.

Wie wollen Sie verhindern, dass die Grünen ausreichend Aufmerksamkeit bekommen, wo doch alle auf den Zweikampf Seehofer gegen Ude schauen?

Ude und Seehofer sind zwei alte Schlachtrösser, aber Furcht flößen sie uns keine ein. Die Grünen schillern. Wir haben mit Margarete Bause eine sehr profilierte und erfahrene Spitzenfrau. Kombiniert mit den Inhalten, die nur wir ausfüllen - Energiewende, Verkehrswende, Agrarwende - bieten wir eine echte Alternative. Wir treten an, um zu regieren.

Sind Sie eigentlich froh, dass es die CSU-Lautsprecher Dobrindt und Söder gibt?

Manche Wahlkampfstrategen schnalzen vielleicht mit der Zunge, wenn sie das primitive populistische Gerede hören. Aber als Politiker, der sich um Europa sorgt, sehe ich, wie negativ die antieuropäischen Ausfälle von Dobrindt und Söder wirken. Sie schüren Vorurteile und zerstören Vertrauen, was natürlich der Wirtschaft insgesamt schadet. In Berlin stimmt die CSU ja bislang für Rettungsschirme, was ich begrüße, auch wenn ich manches kritisch sehe. Und daheim in Bayern redet die CSU dann die eigene Stabilisierungspolitik schlecht. Das verfängt nicht, weil die Bayern nicht dumm sind.

Anderes Thema: Mehr als ein Dutzend Grüne wollen Spitzenkandidaten der Grünen für die Bundestagswahl werden. Ist das Brimborium einer Urwahl hilfreich oder lenkt es eher von Inhalten ab?

Wir profitieren von der Urwahl. Ich bin sicher, dass die Bürger eine Mitmach-Partei glaubwürdiger empfinden als andere, die nur über Basisdemokratie reden, aber nicht praktizieren. Die Vorstellungsrunden der Kandidaten sind spannend. Aber ich bin auch froh, wenn wir die Personalfragen endlich geklärt haben und die Inhalte in den Mittelpunkt rücken.

Welches Spitzenduo hätten Sie denn gerne? Trittin/Göring-Eckhardt?

Ich habe früher Präferenzen genannt, aber ich gebe keine Empfehlung ab. Wichtig ist, dass die Grünen von Menschen mit Erfahrung und klaren Werten in den Wahlkampf geführt werden. Ich wünsche mir ein Tandem, das in die Breite unserer Wählermilieus vordringt.

Bei der Landesdelegiertenkonferenz in Rosenheim werden die Grünen auch über Beschneidung diskutieren. Wie ist Ihre Haltung zu dem Streitthema?

Ich halte es für sinnvoll, über verbesserte medizinische Indikationen zu reden. Wir sollten aber keine apodiktische Regelung treffen. Es kann nicht sein, dass Deutschland als einziger Staat der Welt beschließt, über Jahrtausende verankerte identitätsstiftende jüdische und islamische Riten unmöglich zu machen.

Die Gegenseite argumentiert mit dem Recht der Kinder auf körperliche Unversehrtheit.

Das muss man Ernst nehmen. Andererseits: Warum ist jetzt die Aufregung da, wo doch vor drei Monaten noch kein Hahn danach gekräht hat? Es ist völlig daneben, z.B. jüdischen Eltern vorzuwerfen, das Wohl ihrer Kinder nicht im Blick zu haben. Wir dürfen das nicht zulassen, nicht nur, aber auch wegen unserer Geschichte. Wir sind gut beraten, Emotion aus der Debatte zu nehmen und genau hinzuschauen.

Herr Janecek, Sie haben die Implementierung der Umweltzone in München vorangetrieben, den erfolgreichen Volksentscheid gegen die dritte Startbahn forciert und damit Christian Ude geärgert. Mag Sie der Oberbürgermeister jetzt noch?

Also inzwischen verstehen wir uns gut. Und ich glaube, dass Ude insgeheim froh ist, dass dank der Grünen das Streitthema Startbahn abgeräumt ist.

Sie kandidieren für den Bundestag. Was halten Sie von der SPD-Kanzlerkandidatur von Peer Steinbrück?

Ich glaube, dass das eine gute Entscheidung ist. Steinbrücks Nominierung ist eine Kampfansage an die Kanzlerin - sie hätte es mit anderen gemütlicher gehabt. Ich glaube auch, dass dieses Duell den Grünen hilft. Weder Steinbrück noch Merkel stehen für ökologische Modernisierung und die Energiewende. Für uns eröffnet sich dadurch ein breites Spektrum. Wir werden uns leichter tun, zu mobilisieren und Prozentpunkte zuzulegen. Die Kanzlerschaft von Peer Steinbrück kann nur mit starken Grünen klappen.

Steinbrück steht derzeit unter Beschuss wegen seiner Nebeneinkünfte. Er sagt, er habe alle Regeln eingehalten. Sind das gute Regeln?

Der Bundestag sollte Regeln für mehr Transparenz verschärfen. Die CSU in Bayern hat dies 2007 für den Landtag erfolgreich verhindert. Deshalb sind Vorwürfe aus ihrer Ecke nichts als reine Heuchelei. Steinbrück allerdings sollte konsequent alle Nebeneinkünfte offenlegen, dann habe ich daran nichts zu beanstanden.

Sie wollen inhaltlich im Wahlkampf polarisieren - aber verfängt das gegen eine präsidiale Kanzlerin?

Angela Merkel taugt nicht zum Feindbild. Aber die Politik, die sie vertritt, ist durchaus angreifbar. Dazu kommt die CSU mit ihrem Parteichef. Seehofer hat einige Schwächen. Die größte ist seine Wankelmütigkeit. Seehofer ist heute hier, morgen dort, übermorgen ganz woanders. Eigentlich ist so ein Wischiwaschi-Kandidat ein Geschenk für uns. Er macht es uns leicht, weil wir das Gegenteil verkörpern: Zuverlässigkeit, Berechenbarkeit, Bodenständigkeit.

Immerhin klebt Seehofer offenbar nicht an seinem Sessel. Er baut Stück für Stück die CSU um, zuletzt holte er Bundesministerin Ilse Aigner nach Bayern zurück.

Seehofer verjüngt die CSU und Frauen werden - endlich - sichtbarer in seiner Partei. Aber unterm Strich wird sich trotzdem wenig ändern: Der Anteil der Frauen in der CSU-Landtagsfraktion wird nach der nächsten Wahl wohl wieder unter 20 Prozent liegen.

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