Artenschutz:Ihr Traumwinter

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Am Wochenende ruft der Landesbund für Vogelschutz wieder zur großen Zählaktion auf. Nach dem heißen Sommer und dem milden Herbst wird mit einer starken Zunahme der Population gerechnet

Von Christian Sebald, München

An so einen Jahreswechsel kann sich Markus Erlwein nicht erinnern. "Neulich haben wir 70 Feldspatzen gleichzeitig an einem Futterhäuschen gezählt", sagt der Sprecher des Vogelschutzbunds LBV. "Vor einem Jahr waren das zur gleichen Zeit höchstens die Hälfte." Aber nicht nur die Feldspatzen fühlen sich im aktuell spätherbstlichen Wetter sehr wohl. Auch die Amseln, die Meisen und die Erlenzeisige sind ungewöhnlich munter. "Gerade die Erlenzeisige", sagt Erlwein, "sie sitzen jetzt in riesigen Schwärmen in den laublosen Bäumen, wo man sie an ihrem gelb-grünen Gefieder sehr gut erkennt." So viel Gezwitscher und Getschilpe hört man dieser Tage draußen, dass sie beim LBV schon sehr gespannt sind, was die "Stunde der Wintervögel" an diesem Wochenende alles an Ergebnissen zu Tage fördern wird.

Die "Stunde der Wintervögel", das ist die alljährliche Vogelzählaktion des LBV am Wochenende nach dem Dreikönigstag. In diesem Jahr findet sie bereits zum elften Mal statt. Der Vogelschutzbund ruft alle Vogelfreunde dazu auf, sich von diesem Freitag an bis zum Sonntag eine Stunde lang auf den Balkon, in den Garten oder in einen öffentlichen Park zu stellen und alle Vögel zu zählen, die man in dieser Zeit beobachten kann. Die Ergebnisse sollen die Teilnehmer direkt an den LBV schicken - per Brief oder per E-Mail. Allein in Bayern nehmen wenigstens 22 000 Vogelfreunde an der Aktion teil. In Deutschland sind es 50 000. Natürlich hat der LBV seit Langem eine eigene Internetseite für die Zählung ( www.stunde-der-wintervoegel.de) eingerichtet. Und es gibt ein Gewinnspiel für die Teilnehmer.

Dabei ist die "Stunde der Wintervögel" keine Marketing-Aktion. Sie ist eine durchaus ernsthafte Angelegenheit. Im Fachjargon heißen Veranstaltungen wie diese "Citizen Science", Bürgerwissenschaft also. Damit sind wissenschaftliche Projekte gemeint, bei denen Laien Daten erheben, Beobachtungen machen oder Messungen durchführen. Ihren besonderen Wert haben Citizen-Science-Aktionen dann, wenn es um Trends geht, für die man möglichst viel Material braucht. So wie in der ornithologischen Feldforschung. So trugen die 22 000 Vogelbeobachter des vergangenen Jahres mehr als 550 000 Vögel in ihre Erfassungsbögen ein - so viele Beobachtungen hätten die LBV-Leute an einem Wochenende niemals machen können.

Dieses Jahr erwarten die LBV-Leute noch sehr viel mehr Beobachtungen. Der Grund ist nicht nur das milde Spätherbstwetter, das den Vögeln bekommt. Sondern der zurückliegende Jahrhundert-Sommer. "Die überaus heißen Monate haben den Vögeln extrem gut getan", sagt Erlwein, "Amseln, Feldspatzen und Meisen, aber auch Erlenzeisige haben zum Teil bis zu viermal gebrütet." Aber nicht nur das. Die Vogeleltern haben ihre Jungen sehr viel leichter großziehen können als in gewöhnlichen Jahren. "Denn es gab ja Insekten zuhauf", sagt Erlwein. Die Folge: Schon im Herbst flogen überall in Bayern so viele Vögel herum wie lange nicht mehr.

"Stiglitt, Stiglitt"

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(Foto: Monika Graf)

Der Stieglitz, der auch der Vogel des Jahres 2016 ist, hat ein farbenfrohes Gefieder. Seine rote Gesichtsmaske leuchtet unverwechselbar auf dem weiß und schwarz gefärbten Kopf. Er ist von schlanker Gestalt, hat einen kurzen Hals und ausgesprochen dünne Beine. Am liebsten frisst er Distelsamen, früher rief man ihn daher Distelfink.

"Kick! Kick! Kick!"

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(Foto: Ralph Sturm)

Der Buntspecht lebt eigentlich im Wald, inzwischen taucht er aber immer öfter in lichten Parks, Alleen und großen Gärten auf. Wie alle Spechte fliegt er wellenförmig, wobei er an der tiefsten Stelle des Fluges kurz mit den Flügeln schlägt. Ansonsten liegen diese eng an seinem Körper an. Er ernährt sich von Insekten und Samen.

"Pix! Pix! Pix!"

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(Foto: Dieter Hopf)

Der stiernackige Kernbeißer ist eine kraftstrotzende Erscheinung. Tatsächlich ist er auch sehr kräftig. Mit seinem dicken, starken Schnabel knackt er sogar Kirschkerne auf. Früher war der Kernbeißer weit verbreitet. Seit aber immer mehr Auwälder abgeholzt und alte Obstbäume gefällt werden, wird er immer seltener.

"Dssie, dssie"

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(Foto: Andreas Giessler)

Mit dem Ruf des Stares ist es so eine Sache. Er kann sein winterliches "Dssie, dssie" nicht nur mannigfach variieren. Sondern auch andere Vögel perfekt nachahmen. Im Flug wirken Stare kompakt und spitzflügelig. Die geselligen Vögel haben keine Reviere, sie verteidigen nur die nähere Umgebung ihrer Nester.

"Tüli, tüli, zäi"

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(Foto: Amdreas Hartl)

Erlenzeisige fressen am liebsten Fichtensamen. Dazu hängen sie sich kopfüber an die Fichtenzapfen, dann ziehen sie die Samen mit ihrem pinzettenartigen Schnäbeln zwischen den Zapfenschuppen heraus. Sonst weiß man eher wenig über die gelbgrün gefiederten Vögel, die bisweilen mit Grünlingen verwechselt werden.

"Zie-zie-zie, pserrp"

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(Foto: Monika Graf)

Es ist ihr langer, dunkler Schwanz und der sehr kurze Schnabel, der die Schwanzmeisen so leicht erkennbar macht. Die Vögel können sich bis ans äußerste Ende feiner Zweige vorbalancieren. Dort machen sie Jagd auf Insekten und Larven. Schwanzmeisen trifft man in artenreichen Mischwäldern und Obstgärten an. Fotos: LBV

Jetzt der milde Winter. "Er hilft nicht nur den Amseln, Spatzen und all den anderen Arten, die das ganze Jahr hier bleiben, über die kalte Jahreszeit hinweg", sagt Erlwein, "sondern auch den Staren, den Hausrotschwänzen, den Mönchsgrasmücken und anderen sogenannten Kurzstreckenziehern, die eigentlich im Mittelmeerraum überwintern." Sie machen es sich ganz einfach, denn sie fliegen erst gar nicht weg. Stare überwintern hierzulande inzwischen zahlreich. Jahrelang meldeten die Vogelzähler bei der Wintervogel-Stunde zwischen 700 und 800 Stare, die mit ihrem markant hell gepunkteten Körper und den schwarzbraunen Schwingen sehr auffällig sind. "Im letzten, ebenfalls sehr milden Winter waren es auf einmal mehr als 4000", sagt Erlwein. "Dieses Jahr werden es gewiss noch mehr sein."

So sehr sich die Vogelschützer über den Vogel-Boom freuen, er dürfte ein Ausreißer sein. "Ein einziger harter Kälteeinbruch oder ein sehr nasser, kühler Sommer, und die Bestände brechen ein", sagt Erlwein. Sei es weil die Tiere massenhaft an der Kälte sterben oder weil sie ihre Brut nicht hochkriegen. "Die Unbeständigkeit der Witterung hat schon immer für massive Schwankungen der Populationen gesorgt", sagt Erlwein. "Es müsste schon eine ganze Reihe extrem warmer Sommer und sehr milder Winter geben, damit die Zahl der Vögel auch langfristig nach oben geht."

Buntspecht in einem alten Birnbaum (Foto: Ralph Sturm)
© SZ vom 08.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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