Gutachter im Mordfall Vanessa:Unzureichende Einschätzung eines Mörders

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Ein Psychiater aus Würzburg sollte eine schwerwiegende Frage beantworten: Muss der Mörder der zwölfjährigen Vanessa in Sicherheitsverwahrung oder kann er freigelassen werden? Sein Gutachten war allerdings nur wenige Seiten lang und voller Fehler. Nun ist er vom Augsburger Landgericht von seinen Aufgaben entbunden worden.

Die Worte des Vorsitzenden Richters Lenart Hoesch waren deutlich: "Adorf hat sich als ungeeignet erwiesen." Beim Prozess am Augsburger Landgericht über eine nachträgliche Sicherungsverwahrung für den Mörder der zwölfjährigen Vanessa ist einer der Gutachter von seinen Aufgaben entbunden worden.

"Uns bleibt die Erinnerung": Der Grab von Vannessa auf dem Friedhof in Gersthofen. (Foto: dapd)

Der Würzburger Psychiater Pantelis Adorf hatte in der vergangenen Woche für Aufregung gesorgt: Er legte ein nur 25 Seiten dünnes Gutachten vor, das so offensichtlich unzureichend war, dass er zu einer Nachbesserung aufgefordert wurde. Doch in der achtseitigen Nachbesserung fanden sich zahlreiche Fehler. Es kam zu einer peinlichen Befragung vor Gericht, in der Adorf einräumte, Dinge einfach übernommen zu haben, obwohl sie für den Fall keine Relevanz haben.

Mit seiner Entscheidung, Adorf auszuschließen, folgte der Richter einem Antrag des Verteidigers Adam Ahmed. Adorf ist einer von drei Gutachtern in dem Prozess. Sowohl Ahmed als auch seine Gutachterkollegen hatten Adorfs Expertise scharf kritisiert. Ob ein neuer Gutachter benannt wird, blieb zunächst unklar. Und die Entscheidung, ob Michael W. nachträglich in Sicherungsverwahrung kommt oder freigelassen wird, verzögert sich nun. Eigentlich war für Dienstag ein Urteil des Gerichts erwartet worden.

Am Faschingsdienstag 2002 hatte Michael W. die in ihrem Kinderzimmer schlafende Vanessa mit mehreren Messerstichen getötet. Dabei trug er eine Totenkopf-Maske. Das Gericht verurteilte den 19-Jährigen daraufhin zu zehn Jahren Jugendstrafe.

Eine anschließende Sicherungsverwahrung für Straftäter, die nach Jugendrecht verurteilt wurden, ist an strenge Voraussetzungen geknüpft. Demnach darf die Sicherungsverwahrung nur verhängt werden, wenn von dem Gefangenen eine "hochgradige Gefahr" für schwerste Gewalt- und Sexualstraftaten ausgeht und er unter einer psychischen Störung leidet.

W. hat während seiner Inhaftierung den Hauptschulabschluss nachgeholt und eine Malerlehre abgeschlossen. Seit August 2008 absolvierte er in Erlangen eine Sozialtherapie, die aus Gruppen- und Einzelgesprächen und Verhaltenstraining besteht.

"Erhebliche Rückfallgefahr"

Im September 2010 kam der in der Schweiz tätige Psychiater Frank Urbaniok zu der Einschätzung, dass W. in der Therapie zwar wertvolle Fortschritte gemacht habe. Dennoch bestehe eine erhebliche Rückfallgefahr. Es müsse mit einer weiteren Therapiedauer von fünf bis zehn Jahren gerechnet werden, um die Rückfallgefahr entscheidend zu verringern.

Die Staatsanwaltschaft Augsburg stellte daraufhin im Juni 2011 den Antrag, gegen Michael W. die nachträgliche Sicherungsverwahrung anzuordnen. Darüber wird seit dem 24. Februar 2012 in Augsburg verhandelt. W. wird derzeit aufgrund eines vorläufigen Unterbringungsbefehls festgehalten.

Drei Gutachten sollen helfen zu beurteilen, ob von W. weiter eine Gefahr ausgehe. Der Psychologe Herbert Kury, der vom Gericht auf Antrag von W.s Verteidiger Adam Ahmed beauftragt wurde, konnte ausführliche Gespräche mit W. führen. Er erläuterte dem Gericht seine Einschätzung, dass eine Entlassung W.s zu verantworten sei.

Allerdings hält Kury strenge Auflagen für notwendig. W. müsse verpflichtet werden, die Therapie weiterzuführen, er dürfe keinen Alkohol zu sich nehmen, auch sein Medienkonsum müsse kontrolliert werden, insbesondere der Gebrauch von Horror- und Gewaltvideos.

Der Würzburger Psychiater Adorf hält dagegen W. weiterhin für so gefährlich, dass er unbedingt in Sicherungsverwahrung gehalten werden müsse. Doch er ist nun von seinen Aufgaben entbunden woden.

Auch Ralph-Michael Schulte, der ebenso wie Adorf sein Gutachten nach Aktenlage erstellen musste, ist - bei seinem Auftritt in der vergangenen Woche vor Gericht - zu dem Ergebnis gekommen, dass W. unter einer "kombinierten Persönlichkeitsstörung" leide, die so ausgeprägt sei, dass sie Krankheitswert habe. Insgesamt, so der Sachverständige, sehe er die Wahrscheinlichkeit für weitere schwere Straftaten bei über 50 Prozent.

Ob W. entlassen wird oder in Sicherungsverwahrung kommt - das wagt im Augenblick noch niemand vorherzusagen. Das Verfahren wurde auf nächste Woche vertagt. Der Vorsitzende Richter Hoesch sagte, es seien nun "eine Reihe zusätzlicher Termine notwendig".

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