Verkehrssicherheit:Wenn Opa aussteigt

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Ab 75 zum Test? Experten fordern ein härteres Vorgehen. (Foto: Felix Kästle/dpa)

Auf dem Verkehrsgerichtstag in Goslar plädieren Fachleute für regelmäßige Pflichttests, um die Fahrtauglichkeit von Senioren zu prüfen.

Von Thomas Harloff

Es ist ein Dialog, den viele so ähnlich schon einmal mit älteren Autofahrern geführt haben dürften. "Oh, das war aber knapp jetzt", sagt der Beifahrer, als der rechte Außenspiegel nur knapp die Hüfte des Radfahrers verfehlt. "Quatsch, das hatte ich im Blick", lautet die knappe Antwort von der Fahrerseite. Ein paar Straßen weiter kommt der Gegenverkehr beim Linksabbiegen gefährlich nahe. Als es in der nächsten Baustelle wieder enger wird als nötig, fällt ein Satz, der selten etwas Gutes verheißt: "Du, wir müssen reden."

Senioren am Steuer: Ein Thema, mit dem sich der Verkehrsgerichtstag in Goslar in dieser Woche intensiv beschäftigte. Erstaunlich viele Experten forderten dort Fahrtauglichkeitstests für ältere Autofahrer. "Spätestens ab dem 75. Lebensjahr sollten Untersuchungen verpflichtend sein", sagt zum Beispiel Verkehrsanwalt Christian Funk. Die Fähigkeit zur Teilnahme am Straßenverkehr müsse ähnlich wie beim Führerscheinerwerb von neutralen Stellen überprüft werden. Immer mehr Politiker, der Auto Club Europa (ACE) und die Versicherer sehen das ähnlich.

Kay Nehm ist anderer Meinung: "Pflichtuntersuchungen für alle bringen erhebliche Einschränkungen ohne adäquaten Sicherheitsgewinn", sagt der Präsident des Verkehrsgerichtstags. Tatsächlich zeigen viele Zahlen, dass Senioren sehr sichere Verkehrsteilnehmer sind: Im Jahr 2015 waren nur 12,9 Prozent aller Unfallbeteiligten in Deutschland 65 Jahre oder älter. Dabei beträgt der Anteil dieser Schicht an der Gesamtbevölkerung 21 Prozent. Ihr Risiko, in einen Unfall verwickelt zu werden, liegt bei nicht einmal 60 Prozent des sonstigen Durchschnitts.

Allerdings sagen diese Statistiken nicht alles. Denn je älter Verkehrsteilnehmer werden, umso stärker steigt das Unfallrisiko. Wer 75 Jahre oder älter ist, verursacht in drei Vierteln der Fälle den Unfall auch selbst. Ein höherer Wert als bei der eigentlichen Hochrisikogruppe, den Fahranfängern im Alter von 18 bis 24 Jahren. Und ein immer größeres Problem, schließlich wird die Anzahl der Senioren in den kommenden Jahren überproportional steigen und gleichzeitig die Verkehrsdichte zunehmen.

Vielen geht die Forderung nach Pflichttests jedoch zu weit. Der Deutsche Verkehrssicherheitsrat (DVR) beispielsweise oder die großen Automobilklubs ADAC und AvD bringen freiwillige Angebote ins Spiel. So böten Hausärzte Untersuchungen an oder könnten bei Fahrschulen, TÜV und Dekra Fahrstunden genommen oder Fahrtrainings absolviert werden. Auch die Stellen, die Medizinisch-Psychologische Untersuchungen (MPU oder "Idiotentest") durchführen, können Menschen auf ihre Fahrtüchtigkeit hin testen.

"All diese Angebote funktionieren", sagt Verkehrspsychologe Fritz Becker, der sich in seiner Arbeit oft mit älteren Menschen beschäftigt, die kaum noch in der Lage sind, Auto zu fahren. Allerdings helfen sie nur bei Senioren, die ihr Problem selbst erkennen. Die fahren Beckers Erfahrung zufolge aber meist besser als diejenigen, die sich für gute Fahrer halten, es aber nicht mehr sind. Diese Gruppe sei das eigentliche Problem. "Bei diesen Leuten ist die Tendenz zur Schuldabschiebung sehr ausgeprägt. Da fahren immer die anderen rücksichtslos und die anderen sind schuld. Deshalb sind Pflichttests eine gute Sache." Zumal das Ergebnis vertraulich bleibe und nur eine Empfehlung sei.

Körperliche und psychische Schwächen, die sich teilweise sogar gegenseitig verstärken, seien mit zunehmendem Alter einfach normal: "Wer seinen Kopf zum Beispiel nicht mehr im vollen Umfang drehen kann, nimmt einfach nicht so viel wahr", sagt der Verkehrspsychologe. Hinzu komme, dass die Aufmerksamkeitsleistung und die Fähigkeiten, komplexe Informationen synchron zu verarbeiten, nachlassen.

Das erklärt, dass die allermeisten von Senioren verursachten Unfälle durch missachtete Vorfahrt, beim Abbiegen, Wenden oder Rückwärtsfahren passieren. Versehen also. Zu hohe Geschwindigkeit, sonst die Unfallursache Nummer eins, spielt hier kaum eine Rolle. In den seltensten Fällen verursachen Senioren Unfälle wegen Überholfehlern oder Alkoholeinfluss.

Doch dem Psychologen Becker ist bewusst, warum vielen älteren Menschen der Abschied vom Autofahren so schwer fällt. "Manch einer fühlt sich persönlich abgewertet, und den Führerschein abzugeben, das hat ja auch etwas Endgültiges", sagt Becker. Für Senioren, die in Städten mit einem gut ausgebauten öffentlichen Nahverkehr leben, sei das noch erträglich. Schwieriger sei es für die Altersgenossen in ländlichen Regionen: "In dem Moment denken viele: Jetzt ist es aus."

Um die Konsequenzen abzuschwächen, sollten Angehörige älteren Familienmitgliedern ihre Hilfe anbieten, zum Beispiel als Chauffeur. Grundsätzlich sei eine menschliche, abgestufte Vorgehensweise sinnvoll, meint Becker: "Am Anfang muss es über Kommunikation gehen. Man sollte das Thema behutsam zur Sprache bringen und warten, wie der andere reagiert. Zum Beispiel, indem man fragt: 'Hast du gerade bemerkt, wie eng das war?'"

Doch wenn Reden nichts hilft, sollte man auch vor drastischen Maßnahmen nicht zurückschrecken. Etwa auch, die eigenen Kinder nicht mehr bei Oma und Opa mitfahren zu lassen? "Das mag sehr rigoros erscheinen, aber das wäre ein Mittel, das dem Betroffenen das Problem klar vor Augen führt."

© SZ vom 28.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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