Selbstfahrende Autos:Der Fahrer sollte tunlichst bei der Sache bleiben

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Der Lenkassistent in der überarbeiteten Mercedes S-Klasse unterstützt den Fahrer - überflüssig macht es ihn noch lange nicht. (Foto: Daimler AG)

Glaubt man manchem Autohersteller, steht das Zeitalter des autonomen Fahrens kurz bevor. Doch das ist ein Trugschluss. Bislang ist noch kein Auto dafür geeignet.

Analyse von Joachim Becker

Nein, die Erde ist keine Scheibe. Sie ist eher eine Straßenkarte oder ein Foto. Zumindest für die Kamera hinter der Windschutzscheibe eines Autos. Auch die Radar- oder Ultraschallsensoren zeigen nur ein zweidimensionales Abbild der Welt. Was sie in den Pixeln und Punkten sehen sollen, muss man den Systemen aufwendig beibringen. Wie im Kindergarten malen die Maschinen dann bunte Kästchen um Autos, Fußgänger oder Elche. Als Zeichen, dass sie diese Objekte erkannt haben. Doch was heißt schon erkennen? Die Zusammenhänge einer Szenerie verstehen die Assistenten nicht. Deshalb fällt es ihnen so schwer, selbständig zu fahren.

Das soll jetzt anders werden. Der Bundestag hat in der vergangenen Woche für die Zulassung des hoch automatisierten Fahrens votiert. Experten nennen das Level drei. Drei wie dreidimensional. Es ist der Aufbruch in eine ganz neue Dimension: In eine Welt, in der die Straßen auch dann automatisiert befahrbar bleiben, wenn sie keine klinisch weißen Spurmarkierungen haben.

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Von Joachim Becker

Dinge können verschieden aussehen und trotzdem dieselbe Funktion haben. Oder sie sehen einander so ähnlich wie Menschen, die sich dann völlig unterschiedlich verhalten. "Autofahren ist ein Spiel mit vielen Spielern. Die anderen da draußen sind keine autonomen Fahrzeuge, sie kooperieren nicht unbedingt. Sie sind Menschen, sie sind aggressiv und machen Fehler", sagt Amnon Shashua, Technik-Chef und Mitbegründer von Mobileye.

Bisher konnten sich Maschinen auf ein höheres Bewusstsein hinter dem Lenkrad verlassen. Sobald die Straßenverkehrsordnung geändert ist, hat der Fahrer unter bestimmten Bedingungen Pause. Dieser Übergang von Level zwei zu Level drei, also vom assistierten zum hoch automatisierten Fahren, ist erstaunlich schwierig. Es geht darum, wer die Verantwortung trägt. Sobald die Maschine eigenmächtig steuert, ist der jeweilige Autohersteller für Fehler verantwortlich. "Wenn Ihnen ein Fußgänger beim autonomen Fahren vor die Haube springt, wird es weiterhin Unfälle geben. Zwar insgesamt weniger, aber es wird welche geben", ist sich BMW-Entwicklungsvorstand Klaus Fröhlich sicher: "Dann darf der Hersteller einer Jury in den USA erklären, warum sein System alle Sicherheitsstandards erfüllt und mindestens genauso gut ist wie alle anderen."

Der Tesla-Boss will voll autonom von Los Angeles nach New York fahren

Aber was ist der "Stand der Technik"? Gibt es die "Kraftfahrzeuge mit weiterentwickelten automatisierten Systemen (hoch oder voll automatisiert)" schon, von denen im neuen Gesetz die Rede ist? Glaubt man Elon Musk, steht der hoch automatisierte Regelbetrieb unmittelbar bevor. Trotz der (tödlichen) Unfälle mit dem Autopiloten will der Tesla-Boss Ende dieses Jahres voll autonom von Los Angeles nach New York fahren. Technische Basis soll der Autopilot 2.0 sein, auf den Tesla-Fans schon seit Anfang des Jahres warten.

Herz oder besser Hirn des Systems ist die neue PX2-Plattform von Nvidia. In dem kleinen Tabletcomputer steckt ein Hochleistungsrechner. Mit der 40-fachen Leistung des vorigen Systems kann er die Daten aus acht Kameras parallel mit Radar- und Ultraschallsensoren verarbeiten. Dieser Supercomputer im Auto soll zum ersten Mal in der Lage sein, eine dreidimensionale Welt zumindest ansatzweise zu verstehen.

Wie eine Expedition in den Weltraum

Ob Tesla, Google, Uber oder Lyft: Jeder will noch in diesem Jahr Roboterautos auf die Straße schicken. BMW hat sich dagegen einen Zeitrahmen bis 2021 gesetzt - und hält schon das für ambitioniert. Entwicklungsvorstand Klaus Fröhlich vergleicht den Schwierigkeitsgrad des autonomen Fahrens mit einer Expedition in den Weltraum: "Ich habe das immer Mars Mission Project genannt." Mit Rechenpower allein sei es bei diesem Megaprojekt nicht getan. "Wir glauben, dass es in diesem Jahrzehnt noch kein Serienangebot eines autonomen Fahrzeugs geben wird, das dem Premiumanspruch unserer Kunden genügt. Wir rechnen höchstens mit Pilotversuchen in einem begrenzten Umfeld."

Steckt hinter den unterschiedlichen Zeithorizonten mehr als die übliche Sprachverwirrung rund um die verschiedenen Ebenen des automatisierten Fahrens? Oder sind Tesla und die Tech-Firmen der traditionellen Autoindustrie etwa voraus? Die Frage stellt sich auch, wenn man mit der überarbeiteten Mercedes S-Klasse unterwegs ist. Offiziell wird sie am 21. April auf der Automesse in Shanghai vorgestellt. So komfortabel das Flaggschiff mit Distronic plus und aktivem Lenk-Assistenten auch ist: Auf der Landstraße bleibt das assistierte Fahren weiterhin Stückwerk.

Ohne Hilfe des Fahrers kommt der vermeintliche "Autopilot" mit dem Stern nicht weit. Verbesserte Kamera- und Radarsysteme lassen das Top-Modell zwar bis zu 250 Meter vorausschauen. Eine tiefere Vernetzung von Sensor- und Kartendaten macht zudem das Brems- und Gaspedal beinahe überflüssig. Der Mercedes passt seine Geschwindigkeit auch vor Kreuzungen und Kreisverkehren selbständig an. So weit, so gut. Sobald seitlicher Verkehr ins Spiel kommt, muss der Pilot aber weiterhin ins Steuer greifen. Auch sonst sollte er tunlichst bei der Sache bleiben.

Wer sich auf die Spurführung blind verlässt, kann böse Überraschungen erleben: Geraten an Einfahrten die Fahrbahnmarkierungen aus dem Sichtfeld der Maschine, verliert sie die Orientierung. So exakt ist die Satellitennavigation nicht, als dass ihr die S-Klasse blind folgen könnte. Die Navigationskarte liefert für den vorausliegenden Straßenabschnitt zwar eine Folge von Kurvenkrümmungen. Das hilft dem Assistenten, sich im Straßengeschlängel zurechtzufinden. Wer allerdings auf hoch genaue 3-D-Karten gehofft hat, sieht sich getäuscht. Daimler hat mit Audi und BMW zwar den Kartendienstleister Here übernommen. Bis das Straßennetz aber in HD (High Definition - hochauflösend) kartiert ist, vergeht noch ein Weilchen. Wenn es aus Kostengründen überhaupt flächendeckend verfügbar sein wird.

Kameras sind derzeit noch am wichtigsten

Deshalb setzt Mobileye weiterhin auf relativ preiswerte Kamerasysteme als Basis für das automatisierte Fahren. Mittlerweile arbeitet der Spezialist mit 27 Autoherstellern weltweit zusammen. "Die Kamera ist der einzige Sensor, der den Fahrweg und alle Objekte sieht. Sie kann beides erkennen: Umrisse und Texturen auf der Straße", so Shashua. Außerdem könne sie zwischen vermessenen Wegpunkten auch die Position des Fahrzeugs bestimmen. All das finde wohlgemerkt noch auf der relativ einfachen 2-D-Ebene statt, auf der sich auch die Radar- und Ultraschalldaten problemlos ergänzen ließen. Deshalb komme man auf dieser Ebene noch mit einem überschaubaren Rechenaufwand klar.

Das ist die frohe Botschaft für alle Autohersteller, die weder eine kostspielige Teraflop-Rechenplattform noch sündteure Lidar-Sensoren einbauen wollen. Und das dürfte auch ein wesentlicher Grund sein, warum Intel das 1999 gegründete Start-up aus Israel für stolze 15,3 Milliarden US-Dollar übernehmen will: Je mehr die Autohersteller verstehen, wie komplex das voll autonome Fahren wird, desto begehrter sind schlanke Algorithmen, um die enorme Datenflut zu beherrschen.

Die deutschen Hersteller wollen auf Nummer sicher gehen

Der nächste Schritt von der zweidimensionalen in die dreidimensionale Welt wird ohnehin teuer: "Wir brauchen sowohl für Level drei als auch die nächsten Stufen der Automatisierung eine Redundanz bei der elektrischen Lenkung, bei der Energieversorgung und natürlich bei der Bremse", sagt Elmar Frickenstein, Leiter autonomes Fahren bei BMW, "außerdem benötigen wir 26 verschiedene Sensoren - inklusive Kamera, Radar und Lidar." BMW will also wie die anderen deutschen Hersteller auf Nummer sicher gehen.

Bisher fahren Laser-Scanner (Lidar) nur auf Prototypen spazieren - zum Beispiel auf den eiförmigen Testwagen von Google. Das optische System kann den Raum auf vielen Ebenen abtasten und eine dreidimensionale Wolke von Messdaten liefern. "Das ist es, was das Silicon Valley tut: Rapid Prototyping mit dem 3-D-Ansatz. Innerhalb von sechs Monaten lassen sich damit Daten generieren", lästert Amnon Shashua. Doch der Schritt in die Serie wird teuer. Audi will mit dem nächsten A8 ab Ende des Jahres erstmals Lidar einsetzen. Der Autopilot soll bis maximal 60 Kilometer pro Stunde auf der (verstauten) Autobahn selbständig fahren. Mehr als ein Anfang ist das nicht.

Trotz der vollmundigen Ankündigungen sieht es bei Tesla nicht anders aus. Wie soll der Autopilot 2.0 die 4500 Kilometer lange Strecke von der West- an die Ostküste der USA bewerkstelligen? Ohne Lidar und ohne Eingriff des Fahrers versteht sich. Ein Teil der Antwort ist einfach: Hoch genau kartierte, kreuzungsfreie Highways sind für fortgeschrittene Level-2-Systeme keine besonders schwierige Übung. Auch die getrennten Richtungsfahrbahnen und das Tempolimit reduzieren die Unfallgefahr. Doch ein Restrisiko bleibt. Deshalb sind solche Demo-Fahrten genau kalkulierte Show-Effekte. Ein alltagstaugliches Level-drei-System ist noch nicht in Sicht.

© SZ vom 08.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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