Neue Sirenen für deutsche Polizisten:Tatütata war gestern

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Auch in Deutschland sind die schrillen Warntöne auf dem Vormarsch (Foto: Imago Stock&People)

"Flasher" und "Yelp" sind der neueste Schrei bei der Polizei. In einigen Bundesländern klingen Polizeiautos im Einsatz wie in Hollywood-Filmen. Die Bevölkerung versteht die neuen Signale noch nicht.

Von Steve Przybilla

Als der zerbeulte Nissan Micra nicht anhält, lässt es Tobias Gottlob blitzen. Der 34-jährige Hauptkommissar drückt eine Taste im Cockpit, um den "Flasher" zu aktivieren. Sofort scheint ein grell-roter Lichtstrahl vom Dach des Streifenwagens nach vorne, unterbrochen von dem Schriftzug "Stopp, Polizei". Ein weiterer Knopfdruck, und das Geheule geht los. Ein Passant auf dem Bürgersteig erschrickt, während der Nissan-Fahrer seine Faust in die Luft reckt. Irgendwie ein Friedensangebot. Keine hundert Meter weiter bleibt er stehen.

Der schrille Jaulton heißt "Yelp" und ist der neueste Schrei bei der deutschen Polizei. Wer ihn in Verbindung mit dem blitzenden Rotlicht hört, soll anhalten, um sich kontrollieren zu lassen. Blaulicht und Martinshorn bedeuten dagegen: Bahn frei machen. Viele Autofahrer kennen diese Unterscheidung noch nicht - wie auch der Nissan-Fahrer im niedersächsischen Garbsen, wo einige Polizeiautos bereits jaulen.

Die Amerikanisierung der Polizei

"Was soll der Lärm?", fragt der ältere Mann, als er verdutzt aussteigt. "Ich bin doch gleich stehen geblieben." Gottlob zeigt auf ein kaputtes Bremslicht, während Kollegin Corinna Bolz über das neue Anhaltesignal informiert: "Alles in Ordnung, damit machen wir uns nur bemerkbar." Polizeiautos und das altbekannte Tatütata - das gehörte in Deutschland jahrzehntelang untrennbar zusammen. Seit das Bundesverkehrsministerium im vergangenen Sommer die Straßenverkehrszulassungsordnung ergänzt hat, dürfen Streifenwagen ein paar Effekte mehr vom Stapel lassen.

"Bitte folgen" lautet die Aufforderung, der viele Autofahrer nicht angemessen nachkommen. Deshalb begrüßt die Polizei die neuen Signale. (Foto: dpa)

Was manche als Amerikanisierung der Polizei betrachten, hat einen ernsten Hintergrund: "Die meisten Autofahrer gucken nicht oft genug in den Rückspiegel, um uns zu bemerken", berichtet Hauptkommissar Gottlob. Was dann häufig folgt, bezeichnet die Gewerkschaft der Polizei (GdP) als "waghalsiges Überholmanöver": Die Beamten ziehen an einem Fahrzeug vorbei, um die Anhaltekelle zu zeigen.

"Deshalb ist alles in unserem Interesse, was die Erkennbarkeit der Kollegen erhöht", so GdP-Sprecher Christian Hoffmann. Dank Flasher und Yelp könnten die Beamten bei einer Kontrolle nun von hinten an ein Fahrzeug herantreten - und müssten nicht mehr befürchten, von einem Flüchtenden überfahren zu werden. Ein weiteres Argument erläutert Rainer Wendt, Vorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG): "Das bisherige Martinshorn gibt keine klare Verhaltensforderung. Autofahrer benötigen ein eindeutiges Signal, wenn sie anhalten sollen."

Rein rechtlich steht der Nachrüstung aller Streifenwagen nichts mehr im Weg. Da in Deutschland die Polizei aber Ländersache ist, gestaltet sich die Umsetzung höchst uneinheitlich. Während Hessen dank einer Ausnahmegenehmigung schon seit 2004 mit Yelp unterwegs ist, ziehen andere Länder nur langsam nach - auch aus finanziellen Gründen. Rund 4000 Euro koste der Umbau eines einzigen Streifenwagens, erklärt das mecklenburg-vorpommersche Innenministerium. Daher werde man die neuen Dachbalken "allenfalls im Zuge der planmäßigen Erneuerung" installieren. In Niedersachsen hingegen sind 443 der 2847 Streifenwagen bereits vorgerüstet. Daher seien insgesamt nur 1000 Euro für die Umrüstung angefallen.

Jenseits der Polizeiwachen hält sich die Euphorie über rote Blitze und schrille Töne jedoch in Grenzen. "Wir haben schon genug Krach in den Städten", schimpft Johannes Hübner vom Automobilclub AvD. "Warum brauchen wir noch mehr und verwirrendere Signale?" Diese seien in der Bevölkerung schließlich kaum bekannt - eine Tatsache, die selbst die Polizei bestätigt. "Das muss viel besser kommuniziert werden", fordert Hübner. Zumindest bei der nachfolgenden Autofahrer-Generation ist das bereits der Fall. "Das Thema wird von uns vermittelt", betont Gerhard von Bressensdorf, Vorsitzender der Bundesvereinigung der Fahrlehrerverbände. In Kürze komme das neue Anhaltesignal auch in der theoretischen Prüfung vor.

2000 Streifenwagen wurden in NRW umgerüstet

Ungeachtet dessen drängen die Polizeigewerkschaften zur schnellen Einführung der Technik - offenbar mit Erfolg. So sprach sich Nordrhein-Westfalen zunächst zwar dagegen aus. In seinen jüngsten Äußerungen betont Innenminister Ralf Jäger (SPD) dagegen den Nutzen der neuen Signale. Seither werden 2000 Streifenwagen in NRW umgerüstet - was sich auch in der Industrie bemerkbar macht. "Aufgrund der geänderten Gesetzeslage verzeichnen wir eine gesteigerte Nachfrage", erklärt Markus Richter vom Automobil-Zulieferer Hella. Das Unternehmen aus Lippstadt bietet mit seiner Dachbalkenanlage RTK7 ein Modul mit Yelp- und Flash-Signal an. Viel teurer als das Vorgängermodell sei das nicht.

In Garbsen schaltet Hauptkommissar Gottlob noch einmal die Yelp-Sirene an. Der vor ihm fahrende Mercedes reagiert prompt - und legt eine Vollbremsung hin. "Für viele ist so eine Kontrolle ungewohnt", sagt der Polizist, der die akustische Keule nur wohl dosiert schwingen will. "Das ist wirklich ein sehr aggressives Signal. Da ist die Stimmung schon gereizt, bevor die Kontrolle überhaupt anfängt."

© SZ vom 11.01.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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