Frankreich:Frankreichs Marsch ins Unbekannte beginnt

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Er startete als Außenseiter: Emmanuel Macron. (Foto: AP)

Das französische Parteiensystem ist zerfallen. Macron wird die Republik neu erfinden müssen, um sie zu reformieren. Eine Herkulesaufgabe.

Kommentar von Stefan Ulrich

Die Franzosen haben nicht nur zwei Präsidentschaftskandidaten ausgewählt, sondern auch ihre Fünfte Republik abgewählt. Seit deren Gründung 1958 hatten sich die bürgerliche Rechte und die sozialistische Linke an der Macht abgewechselt. Jetzt bekamen deren Kandidaten zusammen nur noch jede vierte Stimme. Bei der Stichwahl werden daher erstmals weder die Bürgerlichen noch die Sozialisten vertreten sein. Der Rechts-links-Antagonismus, der das Land teilte, aber auch strukturierte, ist Geschichte. Die Fünfte Republik existiert nur noch dem Namen nach. Frankreich beginnt einen Marsch ins Unbekannte, mit vielen Risiken - und vielen Chancen.

Der Bruch mit der Tradition hat drei Ursachen: Erstens haben nacheinander der konservative Präsident Nicolas Sarkozy und der sozialistische Präsident François Hollande die Franzosen frustriert. Beide hatten die Macht, das Land so zu verändern, dass es in einer sich rasant entwickelnden Welt mithalten kann, ohne seine Identität zu verlieren. Beide haben diese Gelegenheit vertändelt. Sarkozy aktionistisch, Hollande phlegmatisch. Damit haben sie ihre Parteien geschwächt.

Zweitens stellten Sozialisten und Republikaner für diese Präsidentschaftswahl ungeeignete Kandidaten auf. Der Sozialist Benoît Hamon ist zu farblos und auch vielen Sozialisten zu links. Der Konservative François Fillon machte den Fehler, sich extrem rechten Wählern anzudienen. Zu-gleich bestätigte er durch die anrüchige Beschäftigung seiner Frau und Kinder auf Kosten der Steuerzahler alle Vorurteile gegen eine gierige Kaste in Paris.

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Mit Macrons Sieg beginnen seine Probleme

Drittens ist da ein junger Mann namens Emmanuel Macron. Er startete als Außenseiter ohne Partei, besetzte die Mitte, stemmte sich gegen Nationalisten und Autoritäre, pries Europa - und wurde für seine Courage belohnt. Die angeblich so europaverdrossenen Franzosen verhalfen ihm zum Sieg im ersten Wahlgang. Jetzt geht er als hoher Favorit in die Stichwahl gegen Marine Le Pen.

Damit beginnt eine neue Runde in dem epischen Ringen, das in vielen Ländern zu beobachten ist. Auf der einen Seite streiten Reformer wie Macron, die akzeptieren, dass Leben die Kunst der Anpassung an Veränderungen ist. Sie wollen das System der offenen, pluralistischen Demokratien erhalten, indem sie es verbessern und die Globalisierung mitgestalten. Auf der anderen Seite kämpfen Reaktionäre wie Marine Le Pen, die sich Wladimir Putin zum Vorbild nehmen und zurückwollen in eine Welt in sich abgeschlossener, autoritär geführter Nationalstaaten.

Europa darf sich darauf freuen, dass Macron in zwei Wochen wohl siegen und Präsident werden wird. Doch damit beginnen seine Probleme. Bereits im Juni wählen die Franzosen die Nationalversammlung. Bis dahin muss Macron seine Bewegung En Marche! in eine schlagkräftige Partei oder Koalition der Mitte umwandeln. Er braucht neben den Liberalen die Unterstützung der gemäßigten Sozialisten und Konservativen, um aus dem Zentrum heraus regieren zu können. Wie schwierig das ist, zeigt das Beispiel eines anderen jungen, proeuropäischen Politstars: des Italieners Matteo Renzi. Er ist, vorerst, an den Fliehkräften in seiner Partei, an überzogenen Erwartungen und seiner Unerfahrenheit gescheitert.

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Der Druck der Straße hat in Frankreich schon manches Projekt scheitern lassen

Falls es Macron gelingt, eine stabile Regierungsmehrheit im Zentrum zu formen und so das französische Parteiensystem umzukrempeln, hat er zu beweisen, dass er reifer ist als Renzi und mehr kann als Hollande und Sarkozy. Frankreich ist ein Land mit vielen gut ausgebildeten Bürgern, einer hervorragenden Infrastruktur und einer Gesellschaft mit Esprit. Der neue Präsident sollte dieses Potenzial freisetzen und sich zugleich um die kümmern, die abgehängt sind. Er muss den Jugendlichen aus Einwandererfamilien in der Banlieue, den arbeitslosen Arbeitern im Norden und den verunsicherten Kleinstädtern im Midi wieder das Gefühl geben, dazuzugehören zur Nation.

Dies alles wäre schon in normalen Zeiten schwierig. Die Zeiten sind aber nicht normal. Mehr als 40 Prozent der Franzosen haben für die Rechtsnationalistin Le Pen und den Linksnationalisten Jean-Luc Mélenchon gestimmt. Sie werden es einem Präsidenten Macron schwer machen, ein Reformprogramm umzusetzen. Der Druck der Straße hat in Frankreich schon manches Projekt scheitern lassen.

Um sich zu behaupten, wird Macron einen klugen Partner in Berlin brauchen. Die Bundesregierung wird ihre einsame Dominanz in Europa aufgeben und in der Wirtschafts- und Finanzpolitik ein Stück auf Frankreich zugehen müssen. Es liegt in ihrem Interesse, dass Macron reüssiert. Falls auch der Mann der Mitte die Franzosen frustriert, könnte 2022 tatsächlich Le Pen Präsidentin werden.

© SZ vom 25.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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