Xenotransplantationen:Spenderorgane vom Schwein

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Werden Nutztiere endlich zu Organspendern? Eine neue Technik könnte das größte Hindernis beseitigen: gefährliche Viren in der DNA.

Von Kathrin Zinkant

Robert Lembke wusste schon, dass dem Menschen die Tiere nicht einerlei sind. "Welches Schweinderl hätten's denn gern?", fragte der TV-Moderator bis 1989 seine Gäste in der Show "Was bin ich?". Ausgewählt wurde dann zum Beispiel "das Rote", oder "das Grüne". George Church aber hätte wohl auf Lembkes Eingangsfrage geantwortet: "Das mit dem virenfreien Genom". Der Biochemiker vom Massachusetts Institute of Technology in Boston träumt nach eigener Aussage seit Jahrzehnten davon, die Stalltiere in Organspender für menschliche Patienten zu verwandeln. Doch trotz massiver Forschung vertragen Mensch- und Schweingewebe sich bis heute kaum - unter anderem, weil in der Entstehungsgeschichte der Tiere zahlreiche Viren mit deren Erbgut verschmolzen sind. Und die stellen für den Menschen ein schwer kalkulierbares Risiko dar.

Der Rekord an Genveränderungen wurde durch neue Genscheren möglich, die es erst seit 2012 gibt

Dank eines modernen Werkzeugs der Biotechnologie ist Church seinem Traum vom virenfreien Schweinegenom nun ein Stückchen näher gerückt. 62 der im Erbgut eingebauten Viren hat Church aus der DNA ausradiert, und zwar präzise und auf einen Schlag. Das berichtet das Team um den Genetiker in einer aktuellen Expressveröffentlichung des Journals Science. Möglich wurde dieser Rekord durch neuartige Genscheren, die es erst seit drei Jahren gibt. Die Methode namens Crispr-Cas9 hat sich in der biomedizinischen Forschung jedoch mittlerweile als Standardverfahren etabliert. Damit lassen sich Erbanlagen einfach, präzise und kostengünstig löschen oder austauschen, fast wie bei einer Textverarbeitung am Computer. Das Verfahren ist so effektiv, dass um die Patente hartnäckig gestritten wird. Zugleich haben prominente Wissenschaftler, darunter auch George Church, eine ethische Debatte um Crispr-Cas9 angestoßen. Die Methode ließe sich schließlich auch für die Manipulation menschlicher Keimzellen und Embryos verwenden.

Für die Arbeit mit Tieren ist das Verfahren unter Forschern allerdings unumstritten nützlich. Das gilt für die Grundlagenforschung, aber eben auch für ein Gebiet wie die Xenotransplantation, das die klinische Anwendung zum Ziel hat. Die nun publizierte Arbeit zeigt zunächst, dass das Prinzip in Nierenzellen funktioniert, doch seit die Forscher das Papier zur Veröffentlichung eingereicht haben, gab es weitere Fortschritte: Wie das Team in der vergangenen Woche auf einer Tagung der Nationalen Wissenschaftsakademie in Washington berichtete, lassen sich die Viren auch in ganzen Schweineembryos beseitigen. Die Tiere sollen demnächst geboren und auf einer Isolierstation herangezogen werden. Church hat auch schon ein Unternehmen gegründet. eGenesis soll die Technik zur Marktreife bringen.

Die Transplantation genetisch bereinigter Schweineorgane ist damit zwar immer noch keine Frage von wenigen Wochen; bis die Sicherheit des Verfahrens den klinischen Ansprüchen genügt, wird es mindestens Jahre dauern. Doch dürfte die Arbeit von Church und Kollegen Schwung in die Xenotransplantat-Forschung bringen. Für eines der fundamentalen Probleme, das Infektionsrisiko, gibt es erstmals eine greifbare Lösung. Bislang hatten sich Wissenschaftler darauf konzentriert, übertragbare, frei im Körper zirkulierende Erreger in Schweinen auszuschalten, indem sie die Tiere unter keimfreien Bedingungen züchteten. So leben auch die Schweine in Churchs Labor.

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In das Erbgut eingebaute Viren lassen sich so aber nicht beseitigen. Und wie Churchs Team erneut gezeigt hat, wimmelt es in Schweinegenomen nur so vor versteckten Erregern. Nicht alle machen krank, aber mindestens drei der Genomschnipsel, die jetzt gelöscht wurden, sind gefährlich. Auf den Menschen übertragen können die Porcinen Endogenen Retroviren (PERVs) das Immunsystem schwächen und sogar Leukämien auslösen.

Wenn man das Erbgut an 62 Stellen zerteilt, ist das Risiko für fatale Fehler groß

"Die Arbeit von Church kann man deshalb durchaus als Durchbruch bezeichnen", sagt Ralf Tönjes vom Paul Ehrlich-Institut im hessischen Langen. Tönjes leitet das Fachgebiet für Xenogene Zelltherapeutika, er hat Nachweisverfahren für PERVs in Schweinen und Xenotransplantaten entwickelt. Ob es dem US-Kollegen nun gelingen wird, ganze editierte Schweine heranwachsen zu lassen, bleibt nach Ansicht des Virologen allerdings noch zu beweisen. "Sie müssen bedenken, dass das Erbgut hier regelrecht zerschossen wird", sagt Tönjes. Wenn man das Genom an 62 Stellen zerteile, sei das Risiko für fatale Fehler beim Zusammenfügen der Schnittstellen groß. Tönjes zufolge ginge es auch anders. "Wir versuchen, diese Viren ganz klassisch aus den Schweinen herauszuzüchten", berichtet der Forscher. Diese Zucht allerdings wird naturgemäß länger dauern als die Redigatur mit Crispr.

Für den Moment bleiben Churchs Schweinezellen deshalb vor allem eines: eine Demonstration des ungeheuren Potenzials, das im Genome Editing steckt. Nie zuvor war der Mensch in der Lage, so spielerisch mit dem Erbgut von Lebewesen zu hantieren und unerwünschte Gene einfach zu löschen. Die Begehrlichkeiten sind deshalb groß, auch in Bezug auf die Forschung an Menschen. In Großbritannien haben Wissenschaftler erst vor wenigen Wochen einen Antrag auf das Genome Editing menschlicher Embryonen gestellt. Und Crispr-Cas9 scheint erst der Anfang der Technik zu sein. Churchs MIT-Kollege Feng Zhang hat vor wenigen Tagen eine neue Variante vorgestellt. Sie soll noch effektiver sein. Und vielleicht würde die Antwort mancher Forscher auf die Schweinderl-Frage heute schon lauten: "Ein Neues."

© SZ vom 13.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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