Vulkanausbruch auf Island:Am schwarzen Berg

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Drei Monate nach dem Ausbruch des Eyjafjallajökull auf Island kämpfen Anwohner noch immer gegen die Asche. Dabei war der Vulkan jahrzehntelang ein guter Nachbar gewesen.

Katrin Blawat

Unter dem Milchtank liegt die Asche immer noch - ein schwarzer Fleck, der zunächst aussieht wie eine Pfütze. Wer den Raum neben dem Kuhstall betritt, hinterlässt hässliche Fußspuren, denn auch die Wege rund um den Stall sind noch voller Asche, so ordentlich geharkt, dass man sie für die normale Bodenbedeckung halten könnte.

"Wir haben etwa ein Drittel geschafft. Alles wieder herzurichten wird noch mindestens fünf Jahre dauern", sagt Farmer Olafur Eggertsson . (Foto: bildextern)

Doch normal ist für den Hofbesitzer Olafur Eggertsson und seine Familie nichts mehr, seit vor genau drei Monaten die Ausbrüche am Gipfel des Eyjafjallajökull begannen. Der Vulkan befindet sich nur wenige Kilometer oberhalb des Gehöfts Thorvaldseyri. Dessen Bewohner sind auf ganz Island bekannt als diejenigen, die am stärksten unter den Folgen des Vulkanausbruchs leiden.

Ein Reisebus hält an der Hofzufahrt, der dritte in einer halben Stunde. Thorvaldseyri ist mittlerweile ein weiteres Fotomotiv an der Küstenstraße geworden. Außerdem gibt es die Vulkanasche hier umsonst: Einmal die Woche füllt Eggertsson einen großen Blumenkübel mit dem beliebten Souvenir.

150 Kilometer weiter westlich in Reykjavik kostet ein Esslöffel Asche sechs Euro. "Es ist normal, dass die Leute wissen wollen, wie es hier aussieht", sagt der Landwirt. Solange sie nicht ungefragt auf seinem Hof herumlaufen, sollen die Reisenden ruhig gucken - und merken, dass nicht jedes Wort stimmt, das über seine Heimat verbreitet wurde.

Eine Kanadierin, die gerade aus dem Bus klettert, sagt: "Ich habe gehört, die Häuser hier wären alle verbrannt." Eggertsson schnaubt. So wenig, wie sich viele Menschen im Rest Europas vorstellen können, direkt unterhalb eines aktiven Vulkans zu leben, so wenig kann der Isländer manche Aufregung der Besucher nachvollziehen.

Jahrzehntelang war der Vulkan ein guter Nachbar gewesen. Als suche es Schutz, schmiegt sich das Gehöft Thorvaldseyri an den Fuß der Eyja-Gebirgskette. Auch an grauen Tagen leuchtet es rot und weiß in der Landschaft. Immer noch hängt die weiße Dampfwolke über dem Vulkan. Ende Mai ist der Eyjafjallajökull zwar wieder zur Ruhe gekommen. Die Menschen dankten es ihm vor wenigen Tagen mit einem Fest. Aber mit den Folgen des Ausbruchs werden sie sich noch lange beschäftigen.

"Wir haben elf Jahre auf den Ausbruch gewartet"

An der Vorderseite des Hauses geben die Fenster den Blick frei auf 50 Hektar Ackerland. Für seinen Weizen und die Gerste hat der Hofbesitzer schon Preise gewonnen. Dahinter schäumt der Nordatlantik, bei gutem Wetter reicht die Sicht bis zu den Westmännerinseln. Eggertsson war elf Jahre alt, als 1963 die jüngste dieser Inseln durch einen Vulkanausbruch geboren wurde. Wer hier groß geworden ist, den trifft eine Eruption nicht unvorbereitet.

"Wir haben elf Jahre auf den Ausbruch gewartet", sagt der 58-Jährige. "Jetzt sind wir fast erleichtert, dass es endlich geschehen ist. Vielleicht ist danach ja wieder für lange Zeit Ruhe." Seit 1999 gibt es Evakuierungspläne. Als der Eyjafjallajökull dann am 14. April loslegte, blieb der Familie eine Viertelstunde.

Eggertssons Frau Gudny hatte schon vier Tage zuvor ihre Tasche gepackt, beunruhigt von den Eruptionen etwas weiter entfernt liegender Vulkane. Das Ehepaar flüchtete auf den Hof einer ihrer Töchter. Nur der älteste Sohn, der mit Frau und einjährigem Sohn ebenfalls auf Thorvaldseyri lebt, blieb in der Nähe. "Wegen der Tiere", sagt der Bauer.

60 Kühe ließ er im Stall zurück. Auch wenn sie die Milch nicht verkaufen konnten, mussten die Kühe zweimal täglich gefüttert und gemolken werden. Für den Weg, den er sonst in fünf Minuten schaffte, brauchte der Sohn eine Stunde, ausgerüstet mit Spezialfahrzeug, Gesichtsmaske und Schutzanzug. Die in der Luft wirbelnde Asche schluckte alles Licht, manchmal konnte er sich nur mit GPS orientieren.

So viel Schwarz, dachte Eggertsson, als er nach gut einer Woche nach Thorvaldseyri zurückkehrte. Die Familie gewöhnte sich daran, mit dem Donnern der Eruptionen einzuschlafen und darauf zu vertrauen, dass die zitternden Fensterscheiben halten würden. Fünf Zentimeter hoch lag die Asche auf den Feldern, im Garten, überall. In den Zimmern und im Stall legte sich feiner schwarzer Staub auf jede Oberfläche.

Eggertsson und seine Familie hatten Schaufeln, viele Helfer und als ständigen Gegner den Wind, der immer neue Asche auf den Hof trieb. Wochenlang ging das so. "Zum Glück scheinen die Kühe das gut überstanden zu haben", sagt der Landwirt.

Als er jetzt, drei Monate nach der ersten Eruption, am Esstisch Bilanz zieht, klingt er erschöpft. "Wir haben etwa ein Drittel geschafft. Alles wieder herzurichten wird noch mindestens fünf Jahre dauern." Die Berge hinter seinem Hof, in dieser Jahreszeit normalerweise in saftigem Grün, werden wohl noch ein halbes Jahrhundert aschgrau bleiben. Der Landwirt blickt durch die inzwischen versiegelten Fenster hinaus auf die Felder.

Kurze grüne Halme stehen noch dort, zwischen denen schwarz die Asche glänzt. Sie ist, was Eggertsson die "zweite Asche" nennt. Zuerst kam schwarzer Puder, fein wie Mehlstaub, den der Wind in den europäischen Luftverkehrsraum trug, lästig für die Flugpassagiere, aber nicht so schlimm für die Felder. Die zweite Asche kam mit dem Regen und der Schmelzwasserflut, die sich als zähflüssige Masse den Berg hinunterwälzte.

Seit vor drei Monaten der Vulkan Eyjafjallajökull im Süden Islands ausgebrochen ist, verdunkelt immer wieder Asche den Himmel über dem Gehöft Thorvaldseyri. Seine Bewohner kämpfen mit Staubmasken und Schaufeln gegen den Dreck - und mit viel Pragmatismus. (Foto: Reuters)

"Wie geschmolzene Zartbitterschokolade", sagt der Hofbesitzer. Regnet es, wird diese Asche steinhart und versiegelt den Boden. "Kein Wunder, dass die erste Heuernte nach dem Vulkanausbruch geringer ausfiel als in den vergangenen Jahren", sagt der Landwirt. Verfüttern kann er das Heu ohnehin nicht.

Noch weiß niemand, ob sich Giftstoffe aus der Asche im Heu angereichert haben. In Island kursierten Geschichten von Bauern, die angeblich Pferde, Kühe und Schafe wegen der Asche verloren haben. Ob das stimmt? Eggertsson hat Proben an die Landwirtschaftliche Universität im Westen des Landes geschickt.

Macht er sich Sorgen, wie es weitergeht? "Immerhin haben wir keine finanziellen Probleme", sagt der Landwirt. Thorvaldseyri ist eines der größten und reichsten Gehöfte auf der Insel, und das Heu für die Kühe bekommen sie jetzt kostenlos vom Staat. "Wenn wir es schaffen, hier alles wieder aufzubauen, sind wir gut davongekommen", sagt Eggertsson. Wird er es schaffen? "Natürlich."

Der 58-Jährige hat Erfahrung darin, Neues anzufangen. Vor mehr als 20 Jahren begann er, auf seinem Land nach heißem Wasser zu bohren. "Du wirst nichts finden", sagten Nachbarn und Wissenschaftler. Einen Kilometer tief musste sich Eggertsson in die Erde wühlen. Ein Jahr später war die Leitung gelegt, die Thorvaldseyri nun seit 20 Jahren mit heißem Wasser versorgt. Ein Liter pro Sekunde, 65 Grad warm. Einmal nur hat die Anlage ausgesetzt, als die Flut nach dem Vulkanausbruch die Leitungen weggerissen hatte. Vier Wochen lang lebte die Familie ohne warmes Wasser.

Mit seinem Willen, auch unter widrigen Umständen zurechtzukommen, ist er nicht allein in Island. Als vor etwa 1200 Jahren ein Gesandter des norwegischen Königs von einer Islandexpedition zurückkehrte, erklärte er die Insel im Polarmeer für unbewohnbar.

Wenig später bewiesen die ersten Siedler das Gegenteil. Doch leicht hat es ihnen die Insel nie gemacht. Eggertsson erzählt die Geschichte vom Vulkanausbruch 1783. In seiner Stimme und Mimik liegt jene Mischung aus Schaudern und Stolz, mit der Isländer oft von ihrem Land berichten.

"Insel aus Feuer und Eis"

Ende des 18. Jahrhunderts brach der Vulkan Lakagigar aus. Acht Monate lang spie er Lava und Asche. Die Ascheteilchen ließen kaum noch Sonnenlicht auf die Erde, in ganz Europa gab es praktisch keinen Sommer. Jeder fünfte der damals etwa 50.000 Isländer starb an den Folgen der Naturkatastrophe, Tausende wanderten aus.

Einige Historiker vermuten gar, dass die durch den Vulkanausbruch hervorgerufenen Missernten und Hungersnöte in Europa den Ausbruch der Französischen Revolution beschleunigt haben.

Der Hausherr stapelt Bücher über Vulkanausbrüche auf dem Tisch. Einige sind so alt, dass die Aufzeichnungen im 18.Jahrhundert enden, andere so neu, dass man in ihnen das von Asche bedeckte Thorvaldseyri wiederfindet. Seitenweise Listen mit Vulkannamen, Jahreszahlen und Bestandsaufnahmen der Verluste.

Der Eyjafjallajökull ist eher selten vertreten. Seit der Besiedelung Islands ist er nur viermal aktiv geworden. Auch die anderen Vulkane waren in den vergangenen zehn Jahren auffallend ruhig. "Island wird immer die 'Insel aus Feuer und Eis' genannt", sagt Eggertsson. "Jetzt stimmt diese Bezeichnung wenigstens wieder."

Der Preis dafür zeigt sich bei einem Rundgang über den Hof. Im Stall stehen die Kälber erschrocken auf, als sich Menschen nähern. Sie sind es nicht gewohnt, eingesperrt zu sein, doch draußen finden die Kühe nichts mehr zu fressen.

Zehn ihrer ehemals 60 Kühe und all ihre Schafe hat die Familie weggegeben, um mehr Zeit für die Aufräumarbeiten zu haben. Auch die Familie von Eggertssons Sohn ist fortgezogen. Die Frau und der einjährige Sohn leben bis auf weiteres in Reykjavik. Für das kleine Kind sei die Asche sicher nicht gut, hat der Arzt gesagt.

Rosenbüsche lehnen sich im Vorgarten müde an den Zaun - kein Duft, keine einzige Blüte. Gegen Aschestürme, wie sie noch immer gelegentlich über Thorvaldseyri hinwegfegen, kann auch Eggertssons Frau Gudny die Blumen nicht schützen. Vor zwei Wochen war es besonders schlimm.

Die Menschen holten die Staubmasken hervor, die Rosen verloren die Blüten und die Bäume die Blätter. "Das war gespenstisch", sagt Tochter Inga. Im Blumenbeet stehen noch ein paar vereinzelte Stiefmütterchen. Fast könnte man die Asche zwischen den Pflanzen für besonders dunklen Mutterboden halten.

Der Kartoffelacker liegt unbestellt, und im kleinen Gewächshaus war noch nie so viel Platz wie diesen Sommer. Doch zu schaffen macht der Familie vor allem, dass es keine Zeit und keinen Ort mehr gibt wie früher den Garten, an dem sie für ein paar Minuten den isländischen Pragmatismus vergessen und erschöpft sein darf. Das Gefühl, vom Schicksal ungerecht behandelt worden zu sein, das kennt auch ein Bauer in Island.

Wenn es ganz schlimm wird, ziehen Eggertsson und seine Frau für eine Nacht in ihren Wohnwagen. Dann stellen sie sich vor, sie seien im Sommerurlaub, den sie üblicherweise in Norwegen verbringen. Dieses Jahr steht der Wagen zwar festgezurrt und ohne Nummernschild hinter dem Gewächshaus. Doch immerhin ist dies einer der wenigen Orte in Thorvaldseyri, von dem aus man den Vulkan nicht sieht.

© SZ vom 14.07.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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