Vögel als Schädlinge:Ungeliebter Star

Es wirkt wie ein Ballett der Lüfte, wenn die gewaltigen Schwärme von Staren über das weite Land Nordamerikas tanzen. Doch die Symphonie am Abendhimmel ist zu einer Bedrohung geworden. Eine skurrile Geschichte über die rasante Ausbreitung eines europäischen Vogels über amerikanischem Boden.

Von Bernd Brunner und Tania Greiner

Sie kamen zu Hunderttausenden, vielleicht war es sogar eine Million. Doch dieses Mal war es keine Szene aus Alfred Hitchcocks "Die Vögel". Als sich der Himmel über Reading, Pennsylvania im Dezember 2012 innerhalb von nur wenigen Minuten verdunkelte, wurde die amerikanische Stadt von einem riesigen Schwarm von Staren heimgesucht.

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  • natur 12/2013

    Der Text stammt aus der Dezember-Ausgabe von natur, dem Magazin für Natur, Umwelt und nachhaltiges Leben. Er erscheint hier in einer Kooperation - mehr aktuelle Themen aus dem Heft 12/2013 auf natur.de...

Er schien sich wie eine ferngesteuerte Amöbe zu drehen und zu strecken, bevor sich die Vögel niederließen, um im Bambusdickicht zu übernachten. Am nächsten Morgen fanden viele Bewohner eine übelriechende Überraschung vor: Ihre Autos waren über und über mit Exkrementen bedeckt.

Was die Einwohner von Reading erlebten, ist für Nordamerika kein Einzelfall. Im Februar 2013 belagerten riesige Schwärme von Staren Hopkinsville im US-Bundesstaat Kentucky. Sie machten den rund 32  000 Einwohnern wochenlang das Leben schwer, kreisten über ihren Häusern und landeten auf den Grünflächen, um nach Insekten, Körnern und Früchten zu suchen.

Vögel als Schädlinge: Schwärme von Sturnus vulgaris machen auch bei uns den Obstbauern das Leben schwer. In den vergangenen Jahrzehnten sind die Population aber geschrumpft - vermutlich wegen der intensiven Landwirtschaft mit ihrem hohen Einsatz von Pestiziden. Die Stare finden nicht mehr genug Insekten, um sich zu ernähren.

Schwärme von Sturnus vulgaris machen auch bei uns den Obstbauern das Leben schwer. In den vergangenen Jahrzehnten sind die Population aber geschrumpft - vermutlich wegen der intensiven Landwirtschaft mit ihrem hohen Einsatz von Pestiziden. Die Stare finden nicht mehr genug Insekten, um sich zu ernähren.

(Foto: Photographie Peter Hinz-Rosin)

Die Tiere greifen zwar nicht wie Hitchcocks Vögel Menschen an, doch ihre Hinterlassenschaften auf Bäumen, Wegen und in Vorgärten sind wenig erfreulich. Ihr Kot kann noch dazu Krankheitserreger auf Mensch und Vieh übertragen und die Lungenkrankheit Histoplasmose verursachen.

Während wir hierzulande staunend nach oben blicken und gebannt den elegant und federleicht wirkenden Formationen folgen, bringen Nordamerikaner den Staren nur wenig Sympathie entgegen. Die Tiere sind für sie zu einer regelrechten Plage geworden. Sturnus vulgaris, wie der Europäische Star mit wissenschaftlichem Namen heißt, zählt dort zu den am weitesten verbreiteten Vogelarten, und zwischen Alaska und der mexikanischen Halbinsel Baja California muss man nicht lange mit dem Feldstecher suchen, um ihn auszumachen.

Was aber kaum ein Mensch dort weiß: Vor rund 150 Jahren war kein einziger Star am nordamerikanischen Himmel zu sehen. Der Vogel kam ursprünglich nur in der "Alten Welt" vor. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts sollte sich das aber schlagartig ändern.

Stare auf Stromleitung

Stare sammeln sich auf einer Stromleitung

(Foto: dpa)

Schuld daran ist, zugegeben stark vereinfacht, William Shakespeare. Hätte der Dichter den Vogel nicht zufällig im ersten Aufzug, dritte Szene von "Heinrich IV" erwähnt, wäre es vielleicht nie zu dieser rasanten Invasion Nordamerikas gekommen. Der amerikanische Apotheker Eugene Schieffelin liebte Shakespeare so sehr, dass er sich in den Kopf gesetzt hatte, alle Vogelarten nach Nordamerika zu bringen, die der Dichter in seinen Werken erwähnt hatte. Ein ehrgeiziges Ziel: In Shakespeares Gesamtwerk sind über 600 verschiedene Vogelarten zu finden. Schieffelin war Vorsitzender der American Acclimatization Society, einer Gesellschaft, die es sich zum Ziel gesetzt hatte, ausländische Tier- und Pflanzenarten aufzunehmen, die sie für "nützlich und interessant" befand.

Und so kam es, dass Schieffelin an einem schneereichen Tag im März 1890 sechzig aus England importierte Stare im New Yorker Central Park aussetzte. Im darauffolgenden Jahr ließ er dort weitere vierzig Vögel frei.

"Inzwischen ist aus der Hundertschaft schätzungsweise ein Heer von 150 bis 200 Millionen geworden", sagt der Ornithologe Geoff LeBaron von der US-amerikanischen Umweltorganisation "National Audubon Society". Schon vor Schieffelin hatte es Versuche gegeben, Stare auf amerikanischem Boden heimisch zu machen. Doch sie waren erfolglos geblieben. Welche Gefahren mit der Freisetzung fremder Arten verbunden sind, wurde den Menschen erst nach und nach bewusst.

Bekämpft mit Gift, Sprengstoff und Laserstrahlen

Ein Jahrzehnt nach Schieffelins Aktion, im Jahre 1900, wurde der sogenannte Lacey Act erlassen, der verbot, nicht einheimische Tierarten einzubürgern. Ab diesem Zeitpunkt hätte sich Schieffelin also mit seiner Aktion strafbar gemacht. Er hatte noch mal Glück gehabt.

Warum sich der Europäische Star auf dem nordamerikanischen Kontinent so rasant ausbreiten konnte, wissen Ornithologen nicht genau. Sie vermuten, dass die Allesfresser hier einen reich gedeckten Tisch fanden und ihnen das gemäßigte Klima entgegen kam. Die Verbreitung von Sturnus vulgaris erfolgte nicht nach einem regelmäßig fortschreitenden Muster.

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Doch anhand zahlreicher Einzelbeobachtungen kann man recht präzise nachvollziehen, wie die Invasion der Stare abgelaufen sein muss. Sechs Jahre nach Schieffelins Freisetzung waren die Tiere noch nicht außerhalb Manhattans anzutreffen. Ungefähr ein Jahrzehnt verging, bis sie sich im Großraum New York verbreitet hatten. Der für Sturnus vulgaris typische Vogelzug in wärmere Gefilde trug sicherlich zu seiner Ausbreitung gen Süden bei.

Doch auch in westlicher und nördlicher Richtung setzte sich die Invasion rasant fort: 1921 erreichten die Stare Ohio, 1928 hatten sie den Mississippi überquert, 1942 waren sie schließlich an der Pazifikküste angekommen. Schon in den 1950er Jahren soll die Zahl der Stare in der "Neuen Welt" auf 50 Millionen angewachsen sein.

Zugvögel, ein Schwarm von Staren sucht einen Rastplatz bei Algier, 2006

Ein Schwarm wie ein Wirbelsturm

(Foto: AFP)

Es war eine Entwicklung, die niemand geplant hatte, geschweige denn ernsthaft gewollt haben konnte. Die Stare plünderten Maisfelder, Obstplantagen und Weinstöcke oder machten sich über das Tierfutter in Scheunen und Viehtrögen her. Bald wurde klar, dass es unmöglich war, der kleinen Vögel Herr zu werden. Bereits im Jahre 1914 begannen Farmer und Stadtplaner, gegen die Starenplage anzukämpfen, nachdem Millionen von ihnen in Connecticut eingefallen waren.

Auf dem Gelände des Weißen Hauses schallten Eulenrufe aus Lautsprechern, um sie zu vertreiben. Im Jahr 1948 ließ der für Washington D.C. zuständige Beamte Juckpulver einsetzen, nachdem Luftballons und Eulenattrappen nicht das gewünschte Ergebnis gebracht hatten. Das wohl drakonischste Mittel, das bis heute gegen Stare zum Einsatz kommt, dürfte DRC-1339 sein, ein Vogelgift, an dem die Tiere nach ein oder zwei Tagen wegen Organversagens zugrunde gehen.

Damit besprühte man Pommes Frites - ein bei Staren beliebter Snack. Andere versuchten es mit Propangas-Explosionen oder Chemikalien, die am Federkleid der Tiere haften blieben, so dass die Vögel erfroren. Weniger aggressive Methoden sind Laserstrahlen und Knallkörper, um sie aus den Städten zu vertreiben.

Stare schwärmen zu Hunderttausenden

Ein Vogelschwarm wie eine Gewitterwolke

(Foto: dpa)

Tatsächlich nutzte das bislang alles nichts. Eine 2009 von der Cornell University veröffentlichte Studie ergab, dass Stare in der US-amerikanischen Landwirtschaft Jahr für Jahr einen Schaden von rund 800 Millionen Dollar verursachen.

So eilt dem Star kein guter Ruf voraus. Viele Nordamerikaner hassen ihn, er gilt als "schmutziger" Vogel. Dabei ist das Tier an sich - wenn man es denn Mal alleine zu Gesicht bekommt - ausgesprochen hübsch. Mit seinem metallisch grün oder purpurfarben glänzenden Gefieder ist der Star ein durchaus einnehmender Vogel.

Charakteristisch ist auch sein Gesang, ein eindringlicher Ruf. Er ist bekannt dafür, dass er sogar andere Vögel und Tiere nachahmen kann. Diese Fähigkeit bewunderte bereits Wolfgang Amadeus Mozart. "Stahrl", wie er seinen Stubenvogel recht naheliegend nannte, war offenbar sehr gelehrig und konnte einige Kompositionen des Musikers nachzwitschern.

Und noch eine Tatsache ist bemerkenswert: Die Tiere verdrängten auf ihrem Vormarsch keine einheimischen Vögel. Eine Studie des Cornell Laboratory of Ornithology in Ithaca (New York) an 27 Vogelarten der USA ergab 2003, dass sie weitgehend unbeeinflusst blieben. Die Stare haben offenbar eine eigene ökolgische Nische gefunden.

Amerikanische Farmer kann das nicht beschwichtigen. Sie führen einen schier aussichtlosen Kampf gegen die gefräßigen Vögel. Wenn sich wieder einmal der Himmel über ihnen verdunkelt, bleibt ihnen nur eins: den großen Dichterfürst William Shakespeare für einen Moment zu verfluchen.

Der Text stammt aus der November-Ausgabe von natur, dem Magazin für Natur, Umwelt und nachhaltiges Leben. Er erscheint hier in einer Kooperation - mehr aktuelle Themen aus dem Heft 11/2013 auf natur.de...

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