Jeder Tastendruck am Computer ist ein Relikt aus dem 19. Jahrhundert. Seit der Ära der Schreibmaschine hat sich das Tastaturlayout nicht mehr verändert - weil frühe Schreibmaschinen häufig klemmten, entwarfen die Erfinder sie so, dass die meistbenutzten Tasten möglich weit auseinanderliegen. So willkürlich diese Anordnung heute anmutet, so wild sind auch die Schreibstile, die sich darauf entwickelt haben. Nur die wenigsten haben in einem Kurs mit zehn Fingern zu schreiben gelernt, also den Stil, der bis heute als Goldstandard des Tippens gilt. Die meisten hacken einfach drauflos - Puristen geißeln solche frei erfundenen Systeme als "ungelernt" und daher unterlegen.
Finnische Wissenschaftler haben Tempo und Fehlerquote dieser Freischreiber nun erstmals genauer untersucht und kommen zum Ergebnis, dass deren Können unterschätzt wird. "Selbstgelernte Schreiber können Leistungen erreichen, die mit Zehn-Finger-Schreibern vergleichbar sind", schreiben die Forscher, "sogar wenn sie weniger Finger benutzen". Für die Studie vermaßen die Informatiker der Universität Aalto die Tippbewegungen von 30 Erwachsenen mit Motion-Capture-Technik. Manche tippten nach Lehrbuch, andere abenteuerlich. Da sind etwa diejenigen, die mit dem linken Daumen die linke Shift-Taste drücken, also einmal mit der ganzen Hand neben die Tastatur greifen. Oder solche, die Leerzeichen stets mit dem Zeigefinger setzen oder mit beiden Daumen zugleich. Oder die Kandidaten, welche kategorisch die Hochstelltaste zur Großschreibung verwenden.
Ist das Zehn-Finger-System noch zeitgemäß?
Trotz der Verrenkungen schafften die Autodidakten mit 59 Wörtern pro Minute im Mittel sogar eins mehr als die Zehnfingerschreiber. Durchschnittlich kamen im Freistil sechs Finger zum Einsatz, manche erreichten schon mit zwei Fingern ein hohes Tempo. Dabei konnten selbst die Schnelleren ihre Tippstrategie nicht recht erläutern. "Es passiert einfach", bekamen die Experimentatoren häufig zu hören.
"Viel entscheidender als das System ist die Übung", sagt Anna Feit, die das Experiment leitete. So haben die Forscher ermittelt, dass die schnellen Autodidakten einen Buchstaben häufig nur mit einem ganz bestimmten Finger drücken, also konsequent ihrem System treu bleiben. Zudem planen sie die Fingerbewegungen gut voraus und bewegen ihre Hände möglichst wenig. Umgekehrt gibt es Zehnfingerschreiber, die langsam tippen, weil ihnen Schreibpraxis fehlt. Einige Unterschiede gibt es dennoch: Wer einen Schreibkurs absolviert hat, muss tendenziell seltener den Blick vom Bildschirm zur Tastatur abwenden, um nachzusehen, was die Finger gerade machen.
Die Wissenschaftler deuten die Vielfalt der Schreibsysteme auch als Zeichen dafür, dass sich die Arbeit am Rechner wandelt. So wie die Anordnung der Tasten stammt auch das Zehnfingersystem aus dem 19. Jahrhundert und ist vor allem dazu ausgelegt, möglichst schnell ganze Sätze aneinanderzureihen. "Wir tippen heute nicht nur Sätze, sondern benutzen die Tastatur für alles mögliche", sagt Feit. Ein Grafiker oder Programmierer muss nicht zwingend viel Fließtext produzieren, sondern braucht eher ganz bestimmte Tastenkombinationen. Zudem werden Tastaturen immer flacher, damit lassen sie sich auch anders bedienen. "Die Frage ist, ob das Zehn-Finger-System dafür stets das beste ist", sagt Feit. Dieses sicher zu beherrschen, erfordere häufig viele Stunden Übung. Auf jeden Fall sei es möglich, "mit alternativen Systemen Geschwindigkeiten zu erreichen, die zufriedenstellend sind".