Am Berliner Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) ist man nervös. Gespräche mit Journalisten werden auf Tonband mitgeschnitten. Man wolle sicher gehen, dass man korrekt zitiert werde, heißt es. Schließlich geht es um ein heißes Thema: In einem neuen Bericht wirft eine unabhängige Gruppe von Wissenschaftlern den Kollegen von der Behörde vor, seit mehr als einem Jahrzehnt Gefahren zu verschweigen, die von Roundup ausgehen, dem meistverkauften Unkrautvernichtungsmittel der Welt.
In Kolumbien setzt die Polizei Glyphosit im Kampf gegen den Anbau von Schlafmohn ein - der Ausgangspflanze für Opium.
(Foto: AP)Die Gruppe, die sich "Earth Open Source" nennt und der hochkarätige Wissenschaftler angehören, wirft den Prüfern vor, die Datenlage zu industriefreundlich interpretiert und somit die Zulassung auf den europäischen Markt ermöglicht zu haben. Den acht Autoren zufolge hätten die Verantwortlichen spätestens 1998 gewusst, dass der Wirkstoff Glyphosat in dem Unkrautmittel Fehlbildungen bei Tier-Embryonen verursacht.
Glyphosat wurde 1970 als Wundermittel gegen Unkräuter entdeckt und von dem amerikanischen Agrarkonzern Monsanto patentiert. Es wirkt durchschlagend, weil es ein lebenswichtiges Enzym in den Pflanzen blockiert. Menschen und Tiere besitzen das Enzym nicht und müssten sich deshalb auch nicht vor einer schädlichen Wirkung fürchten, so die damalige Annahme.
Heute kann man Roundup und andere Glyphosat-haltige Produkte in jedem Baumarkt kaufen. Die Mittel werden eingesetzt, um Straßenränder und Bahndämme unkrautfrei zu halten. Der Großteil der weltweit verkauften eine Million Tonnen Glyphosat landet auf Mais- und Sojafeldern in Nord- und Südamerika und auf Baumwollplantagen weltweit. Weil Monsantos Bio-Ingenieure manche Saatgutsorten gentechnisch immun gemacht haben gegen das Herbizid, überstehen die Pflanzen den Giftregen, während unerwünschtes Grün verdorrt. Dieses Kombipaket aus Unkraut-Ex und Super-Saatgut machte Monsanto von 1996 an schnell zum Marktführer und die Glyphosatrezeptur Roundup zum meistverkauften Herbizid der Welt.
Noch bevor das Mittel 2002 in Europa zugelassen wurde, gab es Zweifel an seiner Harmlosigkeit. Frösche und Lurche zählten zu den ersten Opfer, auch Fischen bekommt es nicht. Mit dem vermehrten Einsatz häuften sich Berichte über unerwünschte Nebenwirkungen, mehrere Gerichte verboten Monsanto, das Mittel als ungefährlich zu bewerben.
Heute stammt schätzungsweise die Hälfte des weltweit gehandelten Glyphosats aus chinesischen Fabriken. Seit acht Jahren mehren sich Berichte aus Südamerika über Fehlbildungen bei Kindern, deren Eltern in der Nähe von gespritzten Feldern leben. Für Kritiker ist das ein Beleg dafür, dass der Wirkstoff nicht bloß im Tierversuch sein zerstörerisches Potential zeigt, sondern jeden Tag Menschen schadet.
Erst vor kurzem hat es das BfR geschafft, eine Erwiderung auf seine Webseite zu stellen. Darin heißt es, dass der Bericht zwar kaum neue Fakten enthalten würde, viele der aufgeworfenen Fragen dennoch "sehr ernst genommen werden sollten". Eine neue Risikobewertung sei durch den Bericht allerdings nicht notwendig geworden, meldete das Institut nach Brüssel, wo die EU-Kommission um eine Stellungnahme zu den Vorwürfen gebeten hatte.
Wie kann es sein, dass zwei Parteien auf dieselben Daten schauen und zu so unterschiedlichen Ergebnissen kommen? Lars Niemannn vom BfR zufolge, der in den 1990er-Jahren an der ersten europäischen Bewertung von Glyphosat beteiligt war, liegt es daran, wie die Studien interpretiert werden. Da ist etwa die Untersuchung an Kaninchen aus dem Jahr 1993, die von einem deutschen Hersteller bei einem indischen Prüflabor in Auftrag gegeben worden war. Die beteiligten Forscher verabreichten trächtigen Kaninchen Glyphosat, um zu testen, ob die Chemikalie dem Nachwuchs schadet. Zahlreiche Jungtiere kamen mit veränderten Herzmuskeln auf die Welt - für Kritiker ein klarer Hinweis auf die Schädlichkeit des Stoffes.