Linguistik:Haben Sprachen ein universelles Tempolimit?

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Politiker beim G7-Treffen in Biarritz: Auch wenn viel und schnell gesprochen wird, heißt das nicht, dass auch viel gesagt wird. (Foto: AP)
  • Sprachforscher haben gemessen, wie viele Silben Menschen in 17 verschiedenen Sprachen pro Sekunde vorlesen.
  • Die Geschwindiglkeit fiel sehr unterschiedlich aus.
  • Doch alle untersuchten Sprachen transportieren Informationen mit nahezu konstant 39 Bit pro Sekunde.

Von Hanno Charisius

Als schnellste Sprache der Welt gilt gemeinhin Japanisch. Fast acht Silben kommen im Durchschnitt pro Sekunde aus den Mündern von Japanern. Spanier sprechen ähnlich schnell, auch Italienisch und Baskisch gelten als schnelle Sprachen, wenn man allein die Zahl der gesprochenen Silben pro Zeiteinheit betrachtet. Deutsch und Mandarin rangieren in diesen Rankings hingegen auf den hinteren Plätzen.

Eine aktuelle Studie kommt nun allerdings zu dem Ergebnis, dass diese Art der Geschwindigkeitsmessung eigentlich irrelevant ist, wenn es um den Transport von Informationen geht. Denn diese reisen, so berichten Sprachwissenschaftler im Journal Science Advances, nahezu konstant mit 39 Bit pro Sekunde von Mund zu Ohr - egal welche der 17 untersuchten Sprachen man verwendet. Spanisch mag also irre schnell klingen, mehr Inhalt als in einem hingenuschelten Text auf Deutsch steckt in dem Sprachfeuerwerk nicht unbedingt.

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Die Forscher ließen pro untersuchter Sprache zehn Muttersprachler je 15 Texte vorlesen. Obwohl in der Sprache unterschiedlich, waren die Textversionen doch semantisch nahezu identisch, enthielten also gleiche Informationsmengen, egal in welcher Sprache sie geschrieben waren. Natürlich lasen nicht alle Probanden im selben Tempo vor, weshalb die Forscher die Werte der vorgetragenen Silben pro Sekunde mittelten. Ähnlich wie Informatiker messen auch Linguisten Information mitunter in Bit. Die Sprachforscher zählen damit jedoch nicht die digitalen Werte 0 oder 1, sondern den Informationsgehalt.

Die untersuchten Sprachen sind demnach unterschiedlich effizient, wenn man allein den Informationsgehalt pro Silbe betrachtet. Die aktuelle Untersuchung des französischen Informatikers François Pellegrino von der Université de Lyon und seiner Kollegen zeigt, dass die Spanne von etwa fünf bis hin zu acht Bit pro Silbe reicht. Das bedeutet: Effizientere Sprachen werden langsamer gesprochen. Der Vergleich zwischen Japanisch und Englisch macht das deutlich. Im Englischen gibt es etwa 7000 verschiedene Silben, während japanisch sprechende Menschen lediglich knapp 650 Silben zur Verfügung haben, die sie kombinieren müssen, um ihre Botschaft zu vermitteln. In der englischen Sprache kann man dank des größeren Repertoires auf Silben mit eigenständigeren Bedeutungen zurückgreifen.

39 Bit pro Sekunde scheinen eine Art Optimum für das menschliche Gehirn zu sein

Für Linguisten mag die Erkenntnis nicht besonders überraschend sein, dass es einen Kompromiss gibt zwischen Sprechgeschwindigkeit und Informationsdichte. Doch Pellegrinos Team hat dies nun erstmals für 17 Sprachen untersucht und die Annahme bestätigt. Die untersuchten Sprachen zählen zu verschiedenen Familien, sodass sich die Forscher sicher sind, dass die nun dokumentierte Informationsrate von universeller Bedeutung ist.

39 Bit pro Sekunde klingen dabei erst mal nicht besonders beeindruckend in einer Zeit, in der selbst Mobiltelefone die millionenfache Datenmenge pro Sekunde empfangen können. Und doch scheint die Rate so etwas wie ein Optimum für das menschliche Gehirn und die Sprachverarbeitung zu sein. Die Erklärung für das Tempolimit in der Sprache könnte in der komplizierten Neurobiologie des Gehirns zu finden sein. Dazu passt eine Studie, die jüngst zu dem Ergebnis kam, dass das menschliche Gehirn nicht mehr als neun gesprochene englische Silben pro Sekunde verarbeiten kann. Womöglich liegt es aber gar nicht am Hören selbst, sondern an der Verarbeitung des Gehörten zu Gedanken. Diese scheint der wirklich limitierende Faktor beim Informationstransport von Mensch zu Mensch zu sein. Schneller denken aber geht nun mal nicht.

© SZ vom 06.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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